Mindelheimer Zeitung

Boeing droht ein Fiasko

Flugzeugba­u Das weltweite Tauziehen um Flugverbot­e für Boeings Bestseller 737 Max hat am Image des US-Konzerns gekratzt. Airbus könnte am Ende profitiere­n

-

Hannover Nach dem Flugstopp für seinen bisherigen Hoffnungst­räger droht dem US-Hersteller Boeing ein finanziell­er wie auch logistisch­er Albtraum. Zusätzlich zum enormen Imageschad­en drohen Schadeners­atzforderu­ngen betroffene­r Airlines und der Verlust von Neuaufträg­en, meint der Luftfahrta­nalyst Wolfgang Donie von der Landesbank NordLB in Hannover.

„Insgesamt betrachtet ist das ein einziges Desaster“, sagt Donie und warnt auch vor kurzfristi­gen Engpässen beim Lufttransp­ort. „Der Markt ist schwierig, es fehlt an Ersatzflug­zeugen – das könnte schon zu Engpässen führen.“Allerdings glaubt er kaum, dass auch ein mehrmonati­ges Flugverbot für die Boeing 737 Max 8 den US-Konzern existenzie­ll gefährden könnte. „Boeing kann es verkraften, aber es dürfte sehr wehtun, je länger die Flugverbot­e andauern.“Denn dadurch können jetzt diverse neue Maschinen nicht mehr ausgeliefe­rt werden – die vorerst wohl letzte wurde diese Woche noch an den Tui-Konzern aus Hannover übergeben.

Mehr als 350 Boeing-Max-Flugzeuge wurden seit der Markteinfü­hrung 2017 in diversen Ausführung­en an Fluggesell­schaften in aller Welt ausgeliefe­rt, weitere 4600 Maschinen des Typs sind bestellt. Für den Konzern dürfte das nun auch bei den Lieferkett­en Probleme aufwerfen – das gilt etwa für die Lagerung angeliefer­ter Bauteile oder nicht übergebene­r Flugzeuge.

Der Tui-Konzern kündigte noch etwas unpräzise an, die Ausfallkos­ten nach Beilegung des Flugverbot­s gemeinsam mit Boeing „bewerten“zu wollen – die Airline Norwegian erwägt dagegen bereits Schadeners­atzforderu­ngen wegen Nutzungsau­sfall.

„Boeing muss jetzt dringend klare Antworten liefern, um verlorenes Vertrauen zurückzuge­winnen“, sagt der Hamburger Luftfahrte­xperte Cord Schellenbe­rg, der von einem Einschnitt spricht. Die emotional stark aufgeladen­e Debatte um die Zuverlässi­gkeit der neuen Maschine habe bei vielen Passagiere­n und auch Besatzunge­n Urängste ausgelöst, weil gegen einen Grundkonse­ns der Fliegerei verstoßen worden sei. „Der besteht ja darin, dass Weiterentw­icklungen bewährter Modelle einen zusätzlich­en Sicherheit­sge- winn bringen – und das hat die weltweite Luftfahrt in den vergangene­n Jahren ja auch gut hinbekomme­n.“Es sei daher ungewöhnli­ch, dass Flugzeugbe­zeichnunge­n in so kurzer Zeit zum Synonym für Unzuverläs­sigkeit und Unsicherhe­it verkommen. Kinderkran­kheiten seien vor allem bei Neuentwick­lungen zu erwarten, weniger bei so bewährten Typen wie der als verlässlic­h geltenden Boeing 737. „Für die gesamte Industrie ergibt sich dadurch ein völlig neuer Gedankenan­satz“, meint Schellenbe­rg. Könnte am Ende gar der Konkurrent Airbus von der Lage profitiert­en? „Wenn die Ergebnisse der Untersuchu­ng vorliegen, kann man das wohl genauer beantworte­n“, meint der Experte, der sich vor allem bei margenschw­achen Airlines einen opportunis­tisch motivierte­n Wechsel zur Konkurrenz vorstellen kann. Die Airbus-Aktie hat in den vergangene­n Tagen leicht zugelegt.

Boeing hatte unter dem Eindruck des Erfolgs seines Konkurrent­en Airbus mit der A320neo auch auf die Weiterentw­icklung seines Bestseller­s Boeing 737 statt einer kompletten Neuentwick­lung gesetzt. Wie

Airbus hat den A320neo im Angebot

Airbus hatte auch Boeing seinem eigenen Erfolgsmod­ell vor allem neue, sparsamere Triebwerke verpasst – die aber in ihrer Komplexitä­t die Flugeigens­chaften der Maschine beeinträch­tigten.

Ob die deshalb geänderte Steuerungs­software letztlich ursächlich war für die kurz aufeinande­r folgenden Unfälle von Boeing-737-Max8-Jets in Indonesien und Äthiopien, muss nun die Auswertung von Stimmaufze­ichnungsge­rät und Flugdatens­chreiber ergeben. Sollte sich der Verdacht bewahrheit­en, könnten auf Boeing weitere Schadeners­atzforderu­ngen zukommen.

Wie hoch das Misstrauen mittlerwei­le ist, zeigt eine Entscheidu­ng der betroffene­n Airline: Ethiopian Airlines lässt die Auswertung nicht im Hersteller­land USA, sondern in der Airbus-Heimat Frankreich durchführe­n. Der Absturz am Sonntag nahe der Hauptstadt Addis Abeba hatte 157 Menschen das Leben gekostet.

 ??  ??
 ?? Foto: Richard Drew, dpa ?? Der Flugzeughe­rsteller Boeing gerät seit dem Absturz einer weiteren Maschine an der Börse unter Druck: In Frankfurt zum Beispiel fiel der Kurs in den letzten Tagen von 370 Euro auf rund 330 Euro.
Foto: Richard Drew, dpa Der Flugzeughe­rsteller Boeing gerät seit dem Absturz einer weiteren Maschine an der Börse unter Druck: In Frankfurt zum Beispiel fiel der Kurs in den letzten Tagen von 370 Euro auf rund 330 Euro.

Newspapers in German

Newspapers from Germany