„Wir sind vor allem trauernde Eltern“
Interview Friederike und Clemens Ladenburger verloren ihre Tochter durch einen Mord in Freiburg. Nun reden sie erstmals öffentlich über ihre Gefühle. Und darüber, warum ihnen Hass fremd ist
Maria Ladenburger war 19 und Medizinstudentin in Freiburg, als sie 2016 von einem afghanischen Flüchtling vergewaltigt und getötet wurde. Der Fall der in Brüssel aufgewachsenen Frau löste bundesweit heftige Debatten aus. Der Täter erhielt 2018 eine lebenslange Haftstrafe. Statt in Wut zu verharren, gründeten Marias Eltern Friederike und Clemens Ladenburger eine Stiftung, die Studenten in schwierigen Lebenslagen hilft. Dafür wurden sie nun mit dem Bürgerpreis der deutschen Zeitungen ausgezeichnet. Erstmals äußern sie sich öffentlich zum Mord an ihrer Tochter.
War Freiburg nach dem Verbrechen an Ihrer Tochter kein kontaminierter Ort für Sie?
Clemens Ladenburger: Also, ja, natürlich … Sag du mal!
Friederike Ladenburger: Wir sind zuerst und vor allem trauernde Eltern. Darum ist es uns nach Marias Tod natürlich schwergefallen, wieder gerne nach Freiburg zu kommen. Das braucht Zeit. Aber wie Maria uns in Gesprächen, Briefen und anderen Aufzeichnungen so vieles hinterlassen hat, was uns Kraft gibt, so hat uns auch der Gedanke geholfen, dass sie in Freiburg bis zu ihrem Tod eine glückliche Zeit hatte.
Clemens Ladenburger: Nicht zuletzt hat die Stiftungsarbeit uns wieder ein positives Verhältnis zu Freiburg gewinnen lassen. Die Vorstellung der Stiftung im vorigen November war für uns ein sehr freudiges Ereignis. Es war eine emotionale Anstrengung hinzufahren, aber zurückgekehrt sind wir mit einem Gefühl großer Erleichterung. Sollte es einen eigenen Gedenkort in der Nähe des Ortes des Verbrechens geben?
Clemens Ladenburger: Wir sind darüber im Gespräch mit dem Oberbürgermeister.
Sind Sie schon einmal dort gewesen?
Clemens Ladenburger: Nein. Das ist ein Ort, der uns aufgezwungen wurde und den wir in nächster Zeit nicht aufsuchen wollen.
Friederike Ladenburger: Wir haben stattdessen den Friedhof in Brüssel, auf dem Maria begraben ist.
Clemens Ladenburger: Aber es hat uns gefreut, dass es Marias Freunden und Kommilitonen ein Anliegen ist, dort an der Dreisam, wo Menschen schon jetzt an Maria denken, den Ort besonders zu gestalten, weil es ihrem Gedenken an Maria hilft.
Im Prozess gegen den Täter waren Sie Nebenkläger. Wie sind Sie an das Verfahren herangegangen? Friederike Ladenburger: Wir haben es als unsere Pflicht angesehen, als Nebenkläger unseren Beitrag zur juristischen Aufarbeitung zu leisten. Dafür haben wir uns einen sehr kompetenten Anwalt gesucht, Bernhard Kramer. Er hat uns in der Begleitung des Prozesses sehr geholfen und uns fortlaufend detailliert informiert. Wir waren selbst bewusst nicht im Gerichtssaal. Wir wollten uns so ein Stück Distanz bewahren.
Welche Marschroute haben Sie Ihrem Anwalt aufgegeben?
Clemens Ladenburger: Wir wollten ein möglichst konstruktives, sachliches Vorgehen im Dienste der Rechtsprechung. Aber keinen von unserem Anwalt zusätzlich angefachten Medienrummel, keine politischen Begleitstatements, keine Überlagerung des Prozessverlaufs durch emotionale Einlassungen seitens der Opfer, also von uns. Nur zum Prozessbeginn und am Tag des Urteils haben wir jeweils eine Erklärung veröffentlicht.
Wer im Gerichtssaal saß, konnte einen weisen, fast milden Stil Ihres Prozessvertreters erleben, der nicht die Spur von Bitterkeit, dem Wunsch nach Vergeltung oder politischer Anklage erkennen ließ.
Friederike Ladenburger: Der Stil entsprach unseren Vorstellungen. Mein Mann und ich, wir sind beide Juristen. Wir wollten, dass die Wahrheit gesucht und die Tat angemessen geahndet wird – so gut es in einem Rechtsstaat geht. Und wir glauben, das ist in diesem Verfahren geradezu vorbildlich gelungen. Unabhängig davon bestehen unsere persönliche Trauer und unsere Fassungslosigkeit über diese grauenhafte Tat.
Hatten Sie nie den Gedanken, dem Täter einmal Auge in Auge gegenüberzustehen?
Clemens Ladenburger: Wir haben das offengehalten. Es war jedenfalls nicht von vornherein klar, dass wir dem Prozess von Anfang bis Ende fernbleiben würden. Aber im Verlauf des Verfahrens haben wir uns dann gefragt: Möchte Maria, dass wir da hingehen? Und wir sind zum Ergebnis gekommen: Nein, das möchte sie nicht. Außerdem haben wir aufgrund des Täterprofils und seines Verhaltens vor Gericht zunehmend den Eindruck gewonnen, dass wir mit einer persönlichen Konfrontation nichts erreichen und auch uns damit nicht helfen würden. Friederike Ladenburger: Sie kommen an der Person des Täters nicht vorbei. Etwas anderes anzunehmen, wäre naiv, und nach einer Erfahrung, wie wir sie machen mussten, ist man vieles, aber naiv ist man nicht mehr. Der Täter hat uns und allen, denen Maria etwas bedeutet hat, unermessliches Leid zugefügt, das er durch sein Verhalten im Prozess noch gesteigert hat. So haben wir es zum Prozessende formuliert und mehr möchten wir auch heute nicht sagen. Da kommen Fragen auf, die zu schwer für uns sind… Clemens Ladenburger: … und die wir deshalb an unseren Gott abgeben.
Als den höchsten Richter?
Clemens Ladenburger: Gott weiß, was aus diesem Menschen noch werden kann.
Das klingt, verzeihen Sie, alles so rational, so reflektiert. Woher nehmen Sie die Kraft, auf nur allzu verständliche Gefühle wie Wut, vielleicht sogar Hass und Rachegelüste zu verzichten? Clemens Ladenburger: Ich würde nicht von Hass oder Rache sprechen. Aber dass wir keine Momente der Bitterkeit, der Wut, auch der Niedergeschlagenheit und Resignation gehabt hätten, könnte ich sicher auch nicht behaupten.
Friederike Ladenburger: Ohne Zweifel mussten und müssen wir als trauernde Eltern einen schwierigen Weg gehen – wie viele andere Eltern auch. Die größte Kraftquelle war und ist – Maria selber.