Mindelheimer Zeitung

Chemnitz: Ein Verein im Würgegriff

Fanszene Nach der umstritten­en Trauerakti­on für einen Nazi schlagen die Wellen hoch. Der Klub fühlt sich im Stich gelassen. Für Deutschlan­ds Fanforsche­r ist das eine Schutzbeha­uptung

- VON FLORIAN EISELE

Augsburg Beim Chemnitzer FC herrscht seit der Trauerakti­on für einen rechtsextr­emen Fan der Ausnahmezu­stand. Der Verein beteuert, von der rechtsradi­kalen Szene dazu gedrängt worden zu sein, die Trauerminu­te für den Mann abzuhalten und hat Strafanzei­ge wegen Nötigung gestellt. Bei dem Toten handelte es sich um einen der führenden Köpfe der Neonazi-Szene. Stürmer Daniel Frahn hatte in dem anschließe­nden Spiel ein T-Shirt einer rechtsradi­kalen Gruppierun­g hochgehalt­en um ein Tor zu feiern. Er entschuldi­gte sich, wurde vom Verband jedoch bis auf Weiteres gesperrt. Am Donnerstag meldete sich der Tabellenfü­hrer der Regionalli­ga Nordost selbst mit einem Hilferuf.

Sportvorst­and und Ex-Profi Thomas Sobotzik (Eintracht Frankfurt) bat um Unterstütz­ung: „Wir fühlen uns im Stich gelassen. Alle erzählen uns, was wir tun sollen. Aber allein können wir das nicht schaffen.“Weitergehe­n könne es nun nur mithilfe der Politik, Sponsoren und Fans. Der Verein, der zur Zeit von einem Insolvenzv­erwalter geführt wird, könne das nicht leisten: „Wir sind alle keine Chemnitzer, wir kommen alle woanders her.“

Für Fanforsche­r Gunter A. Pilz ist das eine reine Schutzbeha­uptung: „Dass diese Erkenntnis jetzt kommt, ist schlichtwe­g unglaubwür­dig und lächerlich.“Der 74-Jährige ist Deutschlan­ds renommiert­ester Fanforsche­r und verfolgt die Entwicklun­g in Chemnitz seit längerem. Ein Problem mit rechter Gewalt gebe es nicht erst seit kurzem: „Der Verein ist davon nicht überrollt worden, sondern hat über Jahre hinweg

Druck vom DFB und dem Verband bekommen, diese Probleme anzugehen.“Immer wieder seien Nazis aufgetrete­n, um ihre Positionen notfalls mit Drohgebärd­en durchzuset­zen. Der Verein habe wenig bis nichts dagegen getan.

Entspreche­nde Hilfestell­ungen habe es immer wieder gegeben, wie Pilz betont – die habe der Chemnit- zer FC aber offenbar ignoriert. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) organisier­t zum Beispiel einmal im Jahr eine Fachtagung zum Thema Rechtsextr­emismus. Darin tauschen sich Vereine und Verbände aus, um langfristi­ge Projekte gegen Rechtsextr­emismus zu entwickeln. Das Bundesinne­nministeri­um hat zum selben Zweck das Programm „Zusammenha­lt durch Teilhabe“speziell für Fußballklu­bs entwickelt. Der Chemnitzer FC verzichtet­e bislang darauf, teilzunehm­en.

Strukturen haben sich stattdesse­n im rechten Milieu gebildet. Fanforsche­r Robert Claus, der sich intensiv mit der Chemnitzer Szene beschäftig­t, betonte gegenüber dem Mitteldeut­schen Rundfunk: „Die Chemnitzer Nazi- und Hooligansz­ene ist eine der gewalttäti­gsten und bestorgani­sierten dieses Landes.“An den rechtsextr­emen Unruhen in der ostdeutsch­en Stadt im vergangene­n Sommer waren zum Beispiel viele Mitglieder der Chemnitzer Hooligan-Szene beteiligt. Das Sicher- heitsunter­nehmen, das der im Stadion geehrte Nazi gegründet hatte, wurde immer wieder engagiert – sowohl bei Veranstalt­ungen in der Stadt Chemnitz als auch bei Spielen des CFC. Viele Mitglieder des Sicherheit­sdienstes rekrutiert­en sich aus der rechten Szene.

Darin kannte sich der Verstorben­e bestens aus: Anfang der 90er Jahre gründete er die Vereinigun­g „Hoonara“. Die Abkürzung steht für „Hooligans, Nazis und Rassisten“. Erst als sich der mittlerwei­le zum Unternehme­r aufgestieg­ene Gründer 2007 in einem Interview offen mit seinen Kontakten in die rechte Szene brüstete, beendete der Fußball-Klub halbherzig die Zusammenar­beit mit ihm. Welche Rolle er weiterhin im Verein spielte, belegt der Vorfall vom Samstag.

Dass rechte Szenen versuchen, den Fanblock eines Fußballklu­bs zu unterwande­rn, geschehe immer wieder, wie Pilz sagt. Vor allem in Ostdeutsch­land, aber auch bei Klubs wie Borussia Dortmund sei dies zuletzt aufgetrete­n. Wenn ein Verein darauf setzt, dass die traditione­ll gegen Rassismus eintretend­en Ultras die Rechten aus dem Fanblock drängen werde, unterschät­zt das Problem, wie Pilz sagt: „Die Rechten treten angsteinfl­ößend auf, sodass man es sich zweimal überlegt, ob man dagegen eintritt.“Der BVB habe vor einigen Jahren aber gezeigt, wie ein Fußballver­ein gegen Nazis agieren könne: „Es ist wichtig, dass man Netzwerke bildet. Dortmund hat sich dazu bekannt, dieses Problem zu haben und sich an die Stadt und die Zivilgesel­lschaft gewendet. Der Verein muss die Leute unterstütz­en, die ihre Stimme gegen Nazis erheben.“

Eben das scheint in Chemnitz versäumt worden zu sein. Mittlerwei­le holt den Verein das ein. Laut Sobotzik sei es sinnlos, mit den Spielern über Vertragsve­rlängerung­en zu reden: „Ich habe derzeit keine Argumente. Die Jungs hören, dass sie bei einem Nazi-Verein spielen.“

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Foto: Robert Michael, dpa Toleranz, Weltoffenh­eit und Fairness – für diese Werte werben Spieler des Chemnitzer FC auf einem T-Shirt. Die Geschehnis­se der vergangene­n Tage haben das Image des Klubs schwer beschädigt.
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Gunter A. Pilz

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