Mindelheimer Zeitung

Was ist los mit dir, Deutschlan­d?

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Debatten Ich war im Urlaub, nicht weit weg. Aber so weit weg, dass ich mit dem Blick von außen Deutschlan­d betrachten konnte. Und ich muss sagen: Ach du meine Güte! Was ist los mit dir, Deutschlan­d?

Ich habe inzwischen manches nachgelese­n, auch auf Twitter. Dort schrieb mein Journalist­en-Kollege Christian Jakubetz am 7. März: „In den ersten 20 Tweets meiner heutigen Timeline waren: @AKK muss weg, @CDU muss das C streichen, alte weiße Männer sind scheiße, die Frage danach, warum dieses ,Scheißland‘ nicht endlich brennt. Und ich muss jetzt mal hier raus. Dringend.“

Es müssen schlimme Tage gewesen sein, gut, dass ich weg war. Ich war raus, mir ging es wunderbar.

Weil ich die Debatten über Doppelname­n, Faschingsh­umor, Bernd Stelter, AKKs Karnevalsr­ede und AKKs Diagnose („Wir sind das verkrampft­este Volk“), Indianerko­stüme in der Kita, einen (immerhin denkbaren) muslimisch­en Kanzler und Gender* verpasste.

Ich möchte es mal mit

Nils Mink- mar vom Spiegel sagen: „Deutschlan­d lebt in einer neuen Epoche, der des Minimalska­ndals.“Man rege sich, so Minkmar, „kurz und heftig über ein Thema auf, dessen Irrelevanz nicht bezweifelt werden kann“. Gleichwohl sollte „die Lächerlich­keit der einzelnen Fragen … nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Nervosität und Empörungsb­ereitschaf­t über Fragen der Identität auf eine Schwäche in dieser Hinsicht schließen lässt“. Nachdem ich das gelesen hatte, quollen die sozialen Medien fast über – wegen einer Geburtstag­sparty. Der ExSpiegel-Ressortche­f und Ex-Welt-Autor Matthias Matussek hatte zu seinem 65. geladen, und es kamen nicht nur Journalist­enfreunde. „Offenbar ist mir die Party des Jahres gelungen“, schrieb Matussek (Screenshot links) auf Facebook. Er war mal ein irre guter Journalist, heute ist er dagegen nur noch … ach, lassen wir das. Matussek krauche „mittlerwei­le im Blutund-Boden-Morast herum“, befand taz-Autor Juri Sternburg und gab den Party-Crasher: „Jene, welche gestern mit Rechten reden, sind die, die heute mit Rechten feiern und morgen mit ihnen marschiere­n.“

Denn Matussek feierte unter anderem mit, in eigenen Worten, „meinem Identitäre­n Freund Mario“(Müller) – einem wegen Körperverl­etzung vorbestraf­ten Neonazi – sowie (Halb-)Promis der Neuen Rechten und der AfD (Dieter Stein, Erika Steinbach, Gauland-Referent Michael Klonovsky). Zudem unter seinen illustren Gästen: Journalist­en von Spiegel, Bild, Stern, Focus, Zeit und Cicero.

Matussek postete fleißig auf Facebook. Fotos, die im Netz die Runde machten, vielfach geteilt, vielfach kommentier­t wurden. Er postete, dass er ein Trump-Spiel geschenkt bekam („I’m back and you’re fired!“– Ich bin zurück und du bist gefeuert), oder dass Spiegel Online-Kolumnist Jan Fleischhau­er eine scharfzüng­ige Rede „über die Eitelkeit unseres Berufsstan­des“(Matussek) gehalten habe. Oder dass TV-Moderator Reinhold Beckmann ein glänzendes Ständchen dargebrach­t habe (Screenshot rechts).

Beckmanns Auftritt war es dann auch, der die Party für ein größeres Publikum zum Aufreger werden ließ. Darf man das – für Rechte singen? Dürfen renommiert­e, kritische Journalist­en mit Rechten feiern? Der Spiegel reagierte (auch genötigt von Satiriker Jan Böhmermann) mit einem Statement: „Die Einladung zur Geburtstag­sfeier von Matthias Matussek an einzelne Kollegen war privater Natur … Selbstvers­tändlich distanzier­en sich @DerSPIEGEL und alle seine Mitarbeite­rInnen ausdrückli­ch von rechtsextr­emen Gesinnunge­n.“

Beckmann postete: „…ich habe mich da verlaufen, ich hätte dort nicht hingehen sollen. Wir kannten uns ja lange und ich erkannte ihn nicht mehr wieder. Es ist einfach nichts mehr da vom alten Matussek, kaum noch alte Freunde, dafür viele neue rechte Gesinnungs­kumpel. Wie bitter.“Er habe ihm ein „vergiftete­s Geschenk“mitgebrach­t, „meine Version des Bob-DylanKlass­ikers ,Things have changed‘. Er sollte was zu kauen haben.“

Auch Medien- und TwitterDeu­tschland hatte zu kauen. Und ich bin schon wieder urlaubsrei­f.

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