Das Ende der Kreidezeit
Bildung Der Digitalpakt verspricht auch den Schulen im Unterallgäu einen Geldsegen. Warum die Schulleiter die Diskussion entspannt beobachten können – und trotzdem besorgt sind
Der Digitalpakt ist beschlossene Sache, in alle Klassenzimmer soll jetzt modernste Technik Einzug halten. Was die Schulen im Unterallgäu erwarten, steht auf
Mindelheim Wüste, Entwicklungsland, Steinzeit: Spricht man vom Fortschritt der Digitalisierung in Deutschland, fällt das Urteil in der Regel vernichtend aus. Eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern setzt nun dort an, wo sich der Erfolg der Digitalisierung entscheidet: an den Schulen. Aber was bringt der fünf Milliarden schwere „Digitalpakt Schule“konkret in der Region?
Eines vorneweg: Die meisten Schulen im Kreis Unterallgäu sind vergleichsweise gut ausgerüstet. „Wir machen zwar derzeit in manchen Bereichen noch Ersterfahrungen, haben aber Vorarbeit geleistet“, sagt Josef Reif, Leiter des Joseph-Bernhart-Gymnasiums in Türkheim. „Wir haben uns früh breit aufgestellt und nicht erst, seitdem die Politik darüber diskutiert.“
Ähnlich geht es seinem Amtskollegen Gottfried Wesseli. Der Rektor des Gymnasiums am Mindelheimer Maristenkolleg kann das politische Geplänkel gelassen verfolgen, schließlich hat das Schulwerk der Diözese Augsburg als Sachaufwandsträger schon vor Jahren stark in die digitale Ausstattung investiert: Dazu gehören eine eigene Glasfaserleitung mit Highspeed-Internet (200 Mbit pro Sekunde), aktuelle Betriebssysteme an allen Rechnern, Wlan in weiten Teilen der Schule – und ein spezieller Medientisch, den ein ehemaliger Lehrer konzipiert hat. Er ist sozusagen ein digitales Rundum-Paket mit PC, Touchscreen-Monitor, Dokumentenkamera, Internetanschluss und weiteren technischen Details.
Brauchen die Schulen bei so viel Ausstattung überhaupt noch zusätzliche Mittel aus dem Digitalpakt? Die Antwort der Schulen: Ja, unbedingt. „Die Arbeitswelt wird immer digitaler, deshalb müssen auch die Schulen innovativ sein und den Schülern das Know-how mit auf den Weg geben“, sagt Wesseli. Man müsse sich den ständigen technischen Neuerungen anpassen, dafür brauche es Geld – „und zwar nicht nur einmal, sondern fortlaufend“.
Um an das Geld zu kommen, muss jede Schule ein Medienkonzept vorlegen, das genau festlegt, wie welche Medien im Unterricht zum Einsatz kommen. Durchschnittlich sollen nach Angaben des Bildungsministeriums 500 Euro pro Schüler investiert werden. Nach ersten Befürchtungen, die Summe würde letztlich deutlich geringer ausfallen, geht auch Wesseli inzwischen von diesem Richtwert für jeden Schüler aus. Hochgerechnet auf Gesamtschülerzahl stehen dem Gymnasium so zusätzlich insgesamt 321 500 Euro zur Verfügung.
„Das Geld ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, sagt Josef Reif vom Türkheimer Joseph-Bernhart-Gymnasium. „Entscheidend ist aber die maßvolle und nachhaltige Umsetzung. Auch herkömmliche Medien wie die klassische Kreidetafel sind sinnvolle Unterrichtshilfen. Das Lehren mit digitalen Medien ist aber definitiv eine weitere wichtige Option im Unterricht.“
Zumal manche Lehrer ohnehin mit den digitalen Geräten fremdeln und für Umgang und Wartung nicht ausreichend geschult sind. Elisabeth Fuß, Leiterin des Mindelheimer Schulamts und als solche für sämtliche Grund- und Mittelschulen im Umkreis zuständig, sieht deshalb den Zeitpunkt für eine Fortbildungsoffensive gekommen: „Die Qualifikation der Lehrer ist entscheidend. Ausstattung allein wird keinen Fortschritt schaffen.“Schon seit zwei Jahren setze man etwa verstärkt auf Online-Selbstlernkurse. Das entspricht auch einem konkreten Bedürfnis der Lehrkräfte: Laut einer aktuellen Umfrage des ITVerbands Bitkom wünschen sich 85 Prozent der Pädagogen der Sekundarstufe I eine Weiterbildung für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht. 54 Prozent gaben an, dass sie gerne häufiger digitale Technik einsetzen würden.
Dass Schüler künftig nicht nur privat, sondern auch in der Schule ständig mit digitalen Medien kondie frontiert sind, sieht Rektor Reif allerdings auch kritisch. „Wir dürfen unsere Augen vor problematischen Entwicklungen nicht verschließen. Hier entstehen Gefahren, auf die wir hinweisen müssen.“Sorgen mache er sich vor allem um die Lesekompetenz seiner Schüler. Sie sei für das spätere Leben entscheidend, deshalb müssten Lehrer den Einsatz der digitalen Medien auch immer sinnvoll an das jeweilige Alter der Schüler anpassen.
Um auch nicht-digitale Fähigkeiten und Interessen der Schüler zu fördern, bietet das Türkheimer Gymnasium verschiedene Wahlfächer und Arbeitsgruppen an. Dazu gehören musikalische Ensembles und Chöre ebenso wie sportliche Aktivitäten, aber auch Kurse wie „Kartenlesen“oder „Robotik“. „Ich bemerke immer wieder eine beachtliche Offenheit der Kinder für Themen auch abseits der Digitalisierung“, sagt Reif. Über die Hälfte der rund 680 Schüler nehme das außerschulische Angebot bereits wahr.
Maria Schmölz, Leiterin der Realschule des Maristenkollegs, sieht die Verantwortung im Umgang mit der Digitalisierung aber nicht nur bei den Schulen. „Die Elternhäuser sind in der Pflicht, auf den Medienkonsum ihrer Kinder zu achten. Wir wollen die Schüler digital fit machen, aber die wichtigste Rolle spielen immer noch die Eltern.“Dabei gehe es um Grundsätzliches: „Der Mensch muss die Technik beherrschen – nicht andersherum.“
Jede Schule muss ein eigenes Medienkonzept vorlegen