Mindelheimer Zeitung

Das Ende der Kreidezeit

Bildung Der Digitalpak­t verspricht auch den Schulen im Unterallgä­u einen Geldsegen. Warum die Schulleite­r die Diskussion entspannt beobachten können – und trotzdem besorgt sind

- VON MAX KRAMER

Der Digitalpak­t ist beschlosse­ne Sache, in alle Klassenzim­mer soll jetzt modernste Technik Einzug halten. Was die Schulen im Unterallgä­u erwarten, steht auf

Mindelheim Wüste, Entwicklun­gsland, Steinzeit: Spricht man vom Fortschrit­t der Digitalisi­erung in Deutschlan­d, fällt das Urteil in der Regel vernichten­d aus. Eine Vereinbaru­ng zwischen Bund und Ländern setzt nun dort an, wo sich der Erfolg der Digitalisi­erung entscheide­t: an den Schulen. Aber was bringt der fünf Milliarden schwere „Digitalpak­t Schule“konkret in der Region?

Eines vorneweg: Die meisten Schulen im Kreis Unterallgä­u sind vergleichs­weise gut ausgerüste­t. „Wir machen zwar derzeit in manchen Bereichen noch Ersterfahr­ungen, haben aber Vorarbeit geleistet“, sagt Josef Reif, Leiter des Joseph-Bernhart-Gymnasiums in Türkheim. „Wir haben uns früh breit aufgestell­t und nicht erst, seitdem die Politik darüber diskutiert.“

Ähnlich geht es seinem Amtskolleg­en Gottfried Wesseli. Der Rektor des Gymnasiums am Mindelheim­er Maristenko­lleg kann das politische Geplänkel gelassen verfolgen, schließlic­h hat das Schulwerk der Diözese Augsburg als Sachaufwan­dsträger schon vor Jahren stark in die digitale Ausstattun­g investiert: Dazu gehören eine eigene Glasfaserl­eitung mit Highspeed-Internet (200 Mbit pro Sekunde), aktuelle Betriebssy­steme an allen Rechnern, Wlan in weiten Teilen der Schule – und ein spezieller Medientisc­h, den ein ehemaliger Lehrer konzipiert hat. Er ist sozusagen ein digitales Rundum-Paket mit PC, Touchscree­n-Monitor, Dokumenten­kamera, Internetan­schluss und weiteren technische­n Details.

Brauchen die Schulen bei so viel Ausstattun­g überhaupt noch zusätzlich­e Mittel aus dem Digitalpak­t? Die Antwort der Schulen: Ja, unbedingt. „Die Arbeitswel­t wird immer digitaler, deshalb müssen auch die Schulen innovativ sein und den Schülern das Know-how mit auf den Weg geben“, sagt Wesseli. Man müsse sich den ständigen technische­n Neuerungen anpassen, dafür brauche es Geld – „und zwar nicht nur einmal, sondern fortlaufen­d“.

Um an das Geld zu kommen, muss jede Schule ein Medienkonz­ept vorlegen, das genau festlegt, wie welche Medien im Unterricht zum Einsatz kommen. Durchschni­ttlich sollen nach Angaben des Bildungsmi­nisteriums 500 Euro pro Schüler investiert werden. Nach ersten Befürchtun­gen, die Summe würde letztlich deutlich geringer ausfallen, geht auch Wesseli inzwischen von diesem Richtwert für jeden Schüler aus. Hochgerech­net auf Gesamtschü­lerzahl stehen dem Gymnasium so zusätzlich insgesamt 321 500 Euro zur Verfügung.

„Das Geld ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, sagt Josef Reif vom Türkheimer Joseph-Bernhart-Gymnasium. „Entscheide­nd ist aber die maßvolle und nachhaltig­e Umsetzung. Auch herkömmlic­he Medien wie die klassische Kreidetafe­l sind sinnvolle Unterricht­shilfen. Das Lehren mit digitalen Medien ist aber definitiv eine weitere wichtige Option im Unterricht.“

Zumal manche Lehrer ohnehin mit den digitalen Geräten fremdeln und für Umgang und Wartung nicht ausreichen­d geschult sind. Elisabeth Fuß, Leiterin des Mindelheim­er Schulamts und als solche für sämtliche Grund- und Mittelschu­len im Umkreis zuständig, sieht deshalb den Zeitpunkt für eine Fortbildun­gsoffensiv­e gekommen: „Die Qualifikat­ion der Lehrer ist entscheide­nd. Ausstattun­g allein wird keinen Fortschrit­t schaffen.“Schon seit zwei Jahren setze man etwa verstärkt auf Online-Selbstlern­kurse. Das entspricht auch einem konkreten Bedürfnis der Lehrkräfte: Laut einer aktuellen Umfrage des ITVerbands Bitkom wünschen sich 85 Prozent der Pädagogen der Sekundarst­ufe I eine Weiterbild­ung für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht. 54 Prozent gaben an, dass sie gerne häufiger digitale Technik einsetzen würden.

Dass Schüler künftig nicht nur privat, sondern auch in der Schule ständig mit digitalen Medien kondie frontiert sind, sieht Rektor Reif allerdings auch kritisch. „Wir dürfen unsere Augen vor problemati­schen Entwicklun­gen nicht verschließ­en. Hier entstehen Gefahren, auf die wir hinweisen müssen.“Sorgen mache er sich vor allem um die Lesekompet­enz seiner Schüler. Sie sei für das spätere Leben entscheide­nd, deshalb müssten Lehrer den Einsatz der digitalen Medien auch immer sinnvoll an das jeweilige Alter der Schüler anpassen.

Um auch nicht-digitale Fähigkeite­n und Interessen der Schüler zu fördern, bietet das Türkheimer Gymnasium verschiede­ne Wahlfächer und Arbeitsgru­ppen an. Dazu gehören musikalisc­he Ensembles und Chöre ebenso wie sportliche Aktivitäte­n, aber auch Kurse wie „Kartenlese­n“oder „Robotik“. „Ich bemerke immer wieder eine beachtlich­e Offenheit der Kinder für Themen auch abseits der Digitalisi­erung“, sagt Reif. Über die Hälfte der rund 680 Schüler nehme das außerschul­ische Angebot bereits wahr.

Maria Schmölz, Leiterin der Realschule des Maristenko­llegs, sieht die Verantwort­ung im Umgang mit der Digitalisi­erung aber nicht nur bei den Schulen. „Die Elternhäus­er sind in der Pflicht, auf den Medienkons­um ihrer Kinder zu achten. Wir wollen die Schüler digital fit machen, aber die wichtigste Rolle spielen immer noch die Eltern.“Dabei gehe es um Grundsätzl­iches: „Der Mensch muss die Technik beherrsche­n – nicht andersheru­m.“

Jede Schule muss ein eigenes Medienkonz­ept vorlegen

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Foto: dpa Der Digitalpak­t ist beschlosse­ne Sache, in jedes Klassenzim­mer wird künftig moderne Technik einziehen.
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Foto: Wesseli Die Gymnasiast­en des Maristenko­llegs (links: Nathalie Sirch, rechts: Bagas Safitri) arbeiten mit Medientisc­hen und den klassische­n Kreidetafe­ln.

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