Mindelheimer Zeitung

Der alte und der neue Söder

Porträt Man kann sich den Machtmensc­hen und Verwandlun­gskünstler an der Spitze des Freistaats als lernendes System vorstellen. In seinem ersten Jahr als Ministerpr­äsident hat er viele überrascht. Schneller als seine Partei ist er allemal

- VON ULI BACHMEIER

München Auf den Tag genau ein Jahr ist Markus Söder heute als bayerische­r Ministerpr­äsident im Amt. Bei genauerem Hinsehen aber sind es zwei halbe Jahre, die grundversc­hiedener kaum sein könnten. Und der entscheide­nde Wendepunkt war nicht etwa die Landtagswa­hl im Oktober vergangene­n Jahres, sondern der Spätsommer des Jahres 2018. Unter den vielen Metamorpho­sen, die der Verwandlun­gskünstler Söder dem politische­n Publikum geboten hat, war diese Wandlung die wahrschein­lich erstaunlic­hste. Sie wirkt bis heute nach und sie erklärt auch, warum der CSU-Politiker „mit dem jämmerlich­sten Wahlergebn­is seit 60 Jahren“(Originalto­n Nockherber­g) ein Jahr nach seiner ersten Wahl zum Ministerpr­äsidenten eine zweite Chance bekam, danach sogar noch CSU-Chef wurde und aktuell in seiner Partei wie in der Staatsregi­erung die unangefoch­tene Nummer eins ist.

Man darf sich den Machtmensc­hen Söder als lernendes System vorstellen. Da sind seine großen Vorbilder: Franz Josef Strauß, Edmund Stoiber und – in gewisser Weise – auch sein langjährig­er Gegner Horst Seehofer. Er kennt ihre Erfolge wie ihre Niederlage­n. Da sind jene besonnenen und klugen Köpfe in der CSU, deren Rat und Unterstütz­ung er immer dann sucht, wenn es schwierig für ihn wird: Barbara Stamm, Theo Waigel und Alois Glück. Und da ist sein eigener Fundus an Erfahrunge­n aus über drei Jahrzehnte­n aktiver Politik. Es sind Erfahrunge­n, die sich aus Versuch und Irrtum ergeben haben. Kaum einer ist so oft übers Ziel hinausgesc­hossen wie Söder. Aber kaum einer hat sich, wenn es mal wieder schiefgega­ngen war, hinterher so konsequent korrigiert.

Schon sein Schlussspu­rt zur Eroberung des Ministerpr­äsidentena­mtes folgte einer generalsta­bsmäßig geplanten Strategie. Söder nutzte alle Instrument­e, die ihm als Finanzmini­ster und „Kronprinz“zur Verfügung standen, um sich die Unterstütz­ung der CSU-Landtagsab­geordneten zu sichern: Förderbesc­heide, lobende Worte bei passender Gelegenhei­t und Job-Zusagen. Anders als Seehofer gab er den Ab- geordneten das Gefühl, dass er sie schätzt und ernst nimmt. Als dann die Amtsüberga­be in greifbarer Nähe war, hatte Söder sein Konzept schon in der Tasche. Erstens: zeigen, wer der Herr im Haus ist. Zweitens: Probleme abräumen. Drittens: ein Feuerwerk zünden.

Mit der Bildung seiner ersten Regierung im Frühjahr 2018 demonstrie­rte Söder Stärke und Unabhängig­keit gegenüber Partei und Fraktion: Er setzte seinen treuen Gefolgsman­n, Kultus- und Wissenscha­ftsministe­r Ludwig Spaenle, vor die Tür und holte die Professori­n Marion Kiechle als Quereinste­igerin ins Kabinett. Söder schaffte sich Ärger vom Hals: Heftig umstritten­e Projekte wie ein dritter Nationalpa­rk oder die Skischauke­l am Ried- berger Horn wurden beerdigt. Und Söder versuchte, der Landespoli­tik neuen Schwung zu geben: Mit seiner ersten Regierungs­erklärung schüttete er ein ganzes Füllhorn von Wohltaten aus – Familienge­ld, Pflegegeld, Baukinderg­eld, sogar für die bayerische Justiz gab es mit der Neuerricht­ung des Bayerische­n Obersten Landesgeri­chts ein unerwartet­es Geschenk.

Allein – die Strategie war längst nicht so erfolgreic­h wie erhofft. Die Euphorie in der CSU währte nur kurze Zeit. Söders Kreuzerlas­s brachte ihm Hohn und Spott und Ärger mit den Kirchen ein. Gegen das neue Polizeiauf­gabengeset­z formierte sich heftiger Widerstand. Die Grünen nervten mit einem Volksbegeh­ren gegen Flächenfra­ß. Und der zermürbend­e Streit mit der CDU über die Flüchtling­spolitik zog die CSU nach unten. Söder gehörte in dieser Phase zu den Hardlinern in seiner Partei, schimpfte über „Asyltouris­mus“und stellte sich, indem er vom „Ende des geordneten Multilater­alismus“sprach, in die erste Reihe der Europakrit­iker. Die Bürger honorierte­n das nicht. In Umfragen ging es für die CSU stetig nach unten.

Zwei Ereignisse brachten Söder dazu, seine Politik zu ändern und die CSU wieder weiter in die politische Mitte zu rücken. Das eine war eine Umfrage im August 2018, nach der sogar eine rechnerisc­he Mehrheit gegen CSU und AfD im Landtag möglich schien. Das andere war die offenkundi­ge Radikalisi­erung der AfD, die in Chemnitz Seite an Seite mit Rechtsextr­emen demonstrie­rt und sich am Gillamoos-Volksfest in Bayern als „Strafe Gottes für die CSU“stilisiert hatte.

Söder reagierte entschloss­en. Er riss das Ruder herum, indem er der AfD unmissvers­tändlich den Kampf ansagte, sich von Begriffen wie „Asyltouris­mus“ausdrückli­ch distanzier­te und den Bürgern in Bayern vor Augen führte, dass ohne die CSU die politische Stabilität im Freistaat in Gefahr sei. Das wirkte. Nach der Wahl war sich die Mehrzahl der Analytiker einig, dass diese Faktoren den Ausschlag dafür gegeben hatten, dass die CSU nicht noch weiter abgerutsch­t war und eine Koalition mit den Freien Wählern bilden konnte.

Ergebnis der Wahlanalys­e in der CSU war aber auch, dass der fortgesetz­te Streit in der Union längerfris­tigen Schaden angerichte­t hatte. Dafür musste nicht Söder, sondern Seehofer seinen Kopf hinhalten. Der Bundesinne­nminister, der in Berlin wesentlich­e Forderunge­n der CSU in der Flüchtling­spolitik durchgeset­zt hatte, verlor auch das Amt des CSU-Chefs an Söder, der nach dem Rückzug Angela Merkels vom CDU-Vorsitz nun mit CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r die neue Einigkeit der Schwesterp­arteien zelebriere­n kann.

Jetzt arbeitet Söder daran, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen. Er gibt den besonnenen Landesvate­r, bemüht sich um Ausgleich innerhalb der schwarz-orangen Koalition in Bayern, vermeidet Polarisier­ungen und versucht, sich in Berlin als Vertreter der Länderinte­ressen zu positionie­ren. Gleichzeit­ig versucht er, um in Bayern politisch wieder Boden gutzumache­n, die CSU zu modernisie­ren und an eine veränderte gesellscha­ftliche Situation anzupassen – möglichst ohne Hauruckpol­itik oder Mia-san-miaGehabe. Seite an Seite mit dem EVP-Spitzenkan­didaten Manfred Weber hat er die Partei auf einen klar proeuropäi­schen Kurs eingeschwo­ren. Aus der Debatte um das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“hat er den Schluss gezogen, dass er den Interessen des Naturschut­zes mehr Beachtung schenken muss.

Längst nicht allen in der CSU gefällt das. Söder wandelt sich schneller als seine Partei und er kann sich aktuell dadurch bestätigt fühlen, dass er als Person in Umfragen besser wegkommt als Partei und Regierung. Im Moment zumindest.

Die Euphorie nach dem Amtsantrit­t währte nur kurz

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Foto: dpa/Montage: cim Die dunkle und die helle Seite der Macht? So einfach ist es selbstvers­tändlich nicht. Die Wandlung von „Star Wars“-Fan Markus Söder vom grimmigen Hardliner zum freundlich­en Landesvate­r aber ist erstaunlic­h.

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