Mindelheimer Zeitung

„Jeder einzelne Fall ist zu viel“

Missbrauch­sstudie schockiert Bischof

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg Axel Piper, evangelisc­hlutherisc­her Regionalbi­schof im Kirchenkre­is Augsburg und Schwaben, hat schockiert auf aktuelle Zahlen zum Thema sexuelle Gewalt in kirchliche­n Institutio­nen reagiert. In einer Studie des Unikliniku­ms Ulm kommt Jörg M. Fegert, Professor für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie, zu dem Schluss, dass man in der katholisch­en und evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d schätzungs­weise jeweils von 114000 Missbrauch­sopfern ausgehen müsse.

Piper sagte zu dieser Zahl auf Anfrage: „Jeder einzelne Fall ist zu viel.“Und weiter: „Aus meiner Sicht geht es darum, weiter zu lernen und alle Fälle so aufzuarbei­ten, dass wir sehen: Wo gibt es noch Risikofakt­oren? Was können wir noch besser machen, dass Missbrauch nicht mehr passiert?“Es sei im eigenen Interesse und gehöre für ihn zur Glaubwürdi­gkeit seiner Kirche, „dass solche Dinge wahrgenomm­en und aufgeklärt werden“.

Zuletzt standen Missbrauch­sfälle in der katholisch­en Kirche im Fokus der Öffentlich­keit. Sie sind gleichwohl auch aus der evangelisc­hen bekannt – nicht aber deren Ausmaß. Hier ist die katholisch­e Kirche weiter. Ende September stellten die deutschen Bischöfe die MHG-Studie vor. Deren Ergebnis nach Auswertung der Personal- und Handakten von 38 156 Geistliche­n: 1670 von ihnen sollen von 1946 bis 2014 3677 Kinder missbrauch­t haben. Dies sei „die Spitze eines Eisbergs“, hieß es. Eine ähnlich umfassende Studie gibt es in der evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d noch nicht.

Bei der Ulmer Untersuchu­ng handelt es sich um eine Dunkelfeld­Studie – sie ist eine Hochrechnu­ng. Professor Fegert zufolge lasse sich mit ihr das wahre Ausmaß des sexuellen Missbrauch­s Minderjähr­iger in den Kirchen besser einschätze­n. Seinen Schätzunge­n liegt eine repräsenta­tive Befragung von 2516 Personen zugrunde. Zu seiner Erkenntnis, dass es in der evangelisc­hen Kirche genauso viele Missbrauch­sopfer wie in der katholisch­en geben müsse, sagte er in einem Interview der Deutschen Welle, überall wo es Nähe-Verhältnis­se gebe, könnten diese von Tätern missbrauch­t werden.

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