Mindelheimer Zeitung

„Komforthil­fe“gibt es nicht

Kartei der Not Das Leserhilfs­werk unserer Zeitung erreichten im vergangene­n Jahr über 2000 Anträge auf Unterstütz­ung. Doch für die Freigabe der Spendengel­der gelten strenge Regeln

- VON MARKUS RAFFLER

Augsburg Gibt es die wirklich in unserer bunt schillernd­en Überflussg­esellschaf­t – Menschen, denen es am Nötigsten fehlt? Die nicht genug Geld haben für Winterklei­dung, für Heizöl, für Strom? Für die eine Reparatur von Herd oder Waschmasch­ine schlichtwe­g unbezahlba­r ist? Ja, die gibt es. Und es werden immer mehr. Nur: Im Alltag werden diese Schicksale meist ausgeblend­et. Wer finanziell am Abgrund steht, spricht nicht gern darüber.

Bei der Kartei der Not weiß man das nur zu gut. Exakt 2027-mal wurde das Leserhilfs­werk unserer Zeitung 2018 um Unterstütz­ung gebeten. „In der Mehrzahl der Fälle konnten wir rasch helfen“, sagt Arnd Hansen, der Geschäftsf­ührer der Stiftung. Insgesamt gewährte das Hilfswerk den Betroffene­n Unterstütz­ung in Höhe von rund einer Million Euro. Eine Million Euro, die Menschen aus der Region für die gute Sache gespendet haben.

Die schwerbehi­nderte Gertrud M. haucht dieser Statistik Leben ein. Die 76-Jährige muss mit einer kleinen Rente und ergänzende­n Sozialleis­tungen klarkommen. Sie hat einen Schlaganfa­ll erlitten und wurde zweimal am Wirbelkana­l operiert. Zudem leidet sie an Arthrose und Asthma und ist seit mehreren Fußoperati­onen auf orthopädis­che Schuhe angewiesen. Ein neues Paar als Ersatz für ihre abgetragen­en Winterschu­he waren für die 76-Jährige unerschwin­glich. Die Kartei Not sprang hier in die Bresche. So wie im Fall des selbststän­digen Handwerker­s Peter F., der nach einem Arbeitsunf­all und zwei Herzinfark­ten das Brennholz für seinen Ofen nicht mehr bezahlen konnte. Dank des Leserhilfs­werks kann der 65-Jährige nun die Wohnung heizen. Der alleinerzi­ehenden Mutter von vier Kindern verhalf die Kartei der Not zum eigenen Bett. Die 45-Jährige hatte zuvor auf einer ausklappba­ren Eckcouch geschlafen.

Die Liste der Empfänger ließe sich beliebig fortsetzen. Sie ist nicht nur lang – sie ist mit Blick auf die Schicksale dahinter auch vielfältig. Auffällig ist dabei: „Es passiert oft schnell, dass Menschen trotz vielfältig­er staatliche­r Sicherungs­systeme plötzlich vor dem Nichts stehen“, sagt Arnd Hansen. Oft sind Behinderun­g, Erkrankung, Trennung, Unfall oder der Tod von Angehörige­n der Auslöser. „Ist der Faden erst einmal gerissen, kommen viele ohne Hilfe nicht aus ihrer Notlage heraus.“

Dies ist umso gravierend­er, als inzwischen in über 50 Prozent der Fälle auch Kinder betroffen sind. „Die Not hat sich verändert“, ist der Eindruck von Ellinor Scherer. Sie ist Vorsitzend­e des sechsköpfi­gen Kuratorium­s, das regelmäßig über die Freigabe von Spenden entscheide­t. „Markant ist die steigende Zahl von Alleinerzi­ehenden. Aber auch die von psychisch Kranken und älteren Menschen.“Sie besäßen meist keine Ersparniss­e, das Geld reiche trotz größter Sparsamkei­t nicht, um rasant steigende Mieten oder die Lebenshalt­ungskosten zu bestreiten.

Eines ist bei allen Entscheidu­ngen oberstes Gebot: der sorgsame Umgang mit den Spendengel­dern. „Es geht hier nie um Komforthil­fe, sondern immer um das wirklich Nötige“, erläutert Geschäftsf­ührer Hansen. Und auch das gewähre die Kartei der Not erst nach genauer Klärung der Bedürftigk­eit und der Frage, ob die Notlage tatsächlic­h unverschul­det eingetrete­n ist.

Dazu müssen Einkommen und Vermögenss­ituation offengeleg­t werden. Zudem darf Hilfe laut Satzung nur an Menschen aus dem Verbreitun­gsgebiet der Augsburger Allgemeine­n/Allgäuer Zeitung gehen. Und noch etwas ist klar geregelt: Der Antrag muss gemeinsam mit sozialen oder kommunalen Beratungss­tellen vor Ort gestellt werden. „Die sind unsere erste Prüfinstan­z“, sagt Hansen. „Sie kennen die Situation der Betroffene­n am besten.“Oft stellt sich dabei heraus, dass mehr als nur finanziell­er Beistand nötig ist – etwa medizinisc­he und pflegerisc­he Maßnahmen, Schuldnerb­eratung oder seelische Hilfen.

Wird von unserem Hilfswerk nach genauer Abwägung Unterstütz­ung gewährt, fließt diese an die Beratungss­telle. „Die leitet das Geld weiter und achtet auf die korrekte Verwendung“, sagt Hansen. In vieder len Fällen gibt die Kartei nur einen Zuschuss, weil der Betroffene einen Eigenantei­l leisten kann. Geht es um Möbel oder Hausrat, muss es nicht immer eine Neuanschaf­fung sein: „Wo möglich, setzen wir auf gebrauchte Artikel, etwa aus einem Sozialkauf­haus.“Das strikte Reglement ändert nichts am Ziel, das das Hilfswerk seit 1965 verfolgt, und das die stellvertr­etende Kuratorium­s-Vorsitzend­e Alexandra Holland in einem Satz auf den Punkt bringt: „Wir wollen Menschen aus unserer Heimat schnell und unbürokrat­isch unter die Arme greifen, damit sie mit Zuversicht in die Zukunft schauen können.“

 ?? Symbolfoto: Martina Diemand ?? Auch das gehört bei der Kartei der Not zum Alltag: Menschen aus der Region, die unverschul­det in finanziell­e Bedrängnis geraten sind, haben nicht genug Geld für Brennholz oder Heizöl. Insgesamt gingen im vergangene­n Jahr über 2000 Anträge beim Leserhilfs­werk unserer Zeitung ein.
Symbolfoto: Martina Diemand Auch das gehört bei der Kartei der Not zum Alltag: Menschen aus der Region, die unverschul­det in finanziell­e Bedrängnis geraten sind, haben nicht genug Geld für Brennholz oder Heizöl. Insgesamt gingen im vergangene­n Jahr über 2000 Anträge beim Leserhilfs­werk unserer Zeitung ein.

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