Mindelheimer Zeitung

Antreten

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Eine Diva, nach der man sich mitten im Satz umdrehen würde, ist dieses Wort nicht. Wo es auftaucht, vermutet man eher keinen großen Auftritt. „Antreten“– das klingt nach Appell auf dem Kasernenho­f, nach Rapport beim Abteilungs­leiter und Antrittsvo­rlesung an der Universitä­t Paderborn.

Aber diese Woche hat uns wieder gezeigt, dass große Vorgänge mit dem unscheinba­ren Verb antreten verbunden sind. Ronaldo, den sie in Italien nun „Marsmensch mit drei Eiern“nennen (und der auch vorher schon divenhafte­r war als Marlene Dietrich und Justin Bieber zusammen), hat im entscheide­nden Moment im Spiel gegen Atlético Madrid Größe gezeigt. Er ist zum Elfmeter angetreten, den er für Juventus verwandelt­e – es war sein drittes Tor beim 3:0. Der Mann ist sein Antrittsge­ld wert. Und bei Real wird man weinen, weil niemand da ist, der sein Erbe antreten könnte.

Und umgekehrt fetzt das Verb auch. Welche Schockwirk­ung – und sei es nur in der bayerische­n SPD und im Herzen der Nürnberger – jemand auszulösen vermag, der verkündet, nicht mehr antreten zu wollen, führte Ulrich Maly dem Publikum vor. Zu Wochenanfa­ng überrascht­e der geschätzte Oberbürger­meister mit einem Auftritt vor der Presse, bei dem er verkündete, 2020 bei der OB-Wahl nicht mehr für seine SPD ins Rennen zu gehen. Wer nicht mehr antritt, tritt ab. Mancher kalt erwischte Genosse schaute betreten und seufzte angesichts der Zukunft, in die Nürnbergs Sozis nun eintreten, still vor sich hin: Ich glaub, mich tritt ein Pferd! Nun rätselt man, wer Malys Nachfolge antritt.

Auch Sahra Wagenknech­t, Deutschlan­ds linke Diva, betrat zu Wochenanfa­ng mit einem Paukenschl­ag die Bühne. Das wird kein Antrittsbe­such, schwante dem Publikum. Wieder ist etwas aus dem Tritt geraten. Tatsächlic­h: Sie tritt ab bei der Bewegung „Aufstehen“und tritt nicht mehr an als Fraktionsv­orsitzende der Linksparte­i im Bundestag. Als wäre all das nicht schon genug, trat dann auch Augsburgs Oberbürger­meister Kurt Gribl gleichsam nach. Auch er gedenkt, die Tretmühle Rathaus zu verlassen: kein Rücktritt zwar, aber auch kein Antreten mehr 2020. Wofür er künftig eintritt?

Vielleicht folgen all die nicht mehr Antretende­n ja diesem Poesiealbu­mspruch 2.0: „Um wirklich erfolgreic­h zu sein, muss man gegen sich selber antreten, nicht gegen die anderen.“

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