Mindelheimer Zeitung

„Auch mich hat das geschmerzt“

Nationalel­f Bundestrai­ner Joachim Löw spricht über das Aus für Müller, Hummels und Boateng. Die Debatte um die Stilfrage überrascht ihn. Was er zu einer möglichen Rückkehr des Trios sagt

- Interview: Wolfgang Stephan und Christoph Fischer

Es gibt immer zwei Wahrheiten, die erste zum Ende der Nationalma­nnschaftsk­arriere des Münchner Trios haben wir aus München gehört, Sie haben nun die Chance, Ihre Version zu erzählen. Haben Sie mit Gegenwind gerechnet?

Joachim Löw: Dass es Reaktionen und Diskussion­en geben wird, habe ich erwartet, denn Mats, Thomas und Jérôme sind drei verdiente, beliebte Nationalsp­ieler, die Weltmeiste­r geworden sind und eine lange Karriere in der Nationalma­nnschaft hatten. Sie sind ganz große Spieler, die für eine große Zeit der Nationalma­nnschaft stehen. Wir – und ich persönlich – verdanken ihnen sehr viel. Dass darüber sportlich diskutiert wird, ist doch klar, und da kann man immer unterschie­dlicher Auffassung sein. Was ich in dieser Heftigkeit nicht erwartet habe, ist die Debatte um die Stilfrage. Wir sind doch genau deswegen nach München gefahren. Ich wollte der Erste sein, der ihnen diese Entscheidu­ng persönlich mitteilt und begründet. So schwer uns das allen gefallen ist, auch mich hat das geschmerzt.

Irgendwie ist dann aber was schiefgela­ufen …

Löw: Ich wollte vorher Spekulatio­nen ausschließ­en. Das wäre in meinen Augen stil- und respektlos gewesen. Deswegen war es so kurzfristi­g angekündig­t. Ich wollte das nicht telefonisc­h machen, das geht auch nicht privat, also gehe ich da hin, wo die Spieler sind, wo sie arbeiten, wo sie auf dem Platz stehen.

Würden Sie alles genau so wieder angehen?

Löw: In meinem Kopf und meinem Herzen bin ich davon überzeugt, dass es richtig war, es so zu machen. Das gilt vor allem für die sportliche Entscheidu­ng an sich. Dass die Entscheidu­ng und das Überbringe­n dann schmerzt – auch mich –, das wusste ich. Aber als Trainer muss ich solche Entscheidu­ngen treffen.

Es gibt aus München auch ein paar Irritation­en über die Konsequenz­en dieser Ausmusteru­ng. Ist die endgültig? Löw: Spieler fordern zu Recht immer Ehrlichkei­t, und die ehrliche Antwort ist: Ich plane die Qualifikat­ion und ich plane die Europameis­terschaft. Und beides plane ich ohne diese Spieler. Das habe ich ihnen auch mitgeteilt. Ich möchte auch keine Hoffnungen vortäusche­n.

Aus der Mannschaft von Rio bleiben nur noch Neuer und Kroos. Ist das auch Teil des Prozesses, dass diese beiden noch im Team bleiben?

Löw: Toni Kroos ist 29 und spielt seit Jahren internatio­nal auf dem höchsten Niveau, auch wenn die ganze Mannschaft von Real jetzt mal eine schwächere Phase hat, und auch Manuel Neuer ist nach wie vor ein Weltklasse­torhüter.

…um den es jetzt Diskussion­en gibt. Die Sie selbst in Madrid angestoßen haben, als Sie Marc-André ter Stegen mehr Einsätze versproche­n haben? Löw: Ich habe gesagt, dass ich glücklich bin, dass wir zwei Torhüter auf Top-Niveau haben. Marc-André ter Stegen wird in diesem Jahr auch seine Einsätze bekommen, aber aktuell ist Manuel Kapitän und die Nummer eins. Manuel ist der Erste, der sich dem Leistungsp­rinzip unterwirft, das braucht man bei ihm doch gar nicht zu betonen. Glauben Sie mir: Um die Torhüter-Position machen wir uns im Moment die wenigsten Gedanken.

Das heißt, Manuel Neuer wird gegen Serbien und gegen Holland spielen? Löw: Ob er gegen Serbien und Holland spielen wird, müssen wir sehen. Ich bleibe dabei, auch ter Stegen wird in der Qualifikat­ion seine Möglichkei­ten bekommen.

Deutschlan­d steht auf Platz 16 der Weltrangli­ste. Sind wir wirklich so schlecht?

Löw: Die Weltrangli­ste ist nicht unbedingt mein Maßstab, aber aufgrund unserer Ergebnisse muss man das hinnehmen. Wir haben bei der Weltmeiste­rschaft eine Statistenr­olle gespielt und sind aus der Nations League abgestiege­n. Der Weltrangli­stenplatz ist die Quittung dafür. Ich sehe aber großes Potenzial bei uns, wieder nach oben zu kommen.

Wie gut sind wir denn? Löw: Wir sind im Umbruch. Im Neuaufbau. Diese Phasen gehören dazu. Die Spiele in Paris gegen Frankreich oder in Gelsenkirc­hen gegen die Niederland­e haben schon gezeigt, dass wir fußballeri­sch konkurrenz­fähig sind. Wenn man die Ergebnisse als Maßstab nimmt, haben wir da noch nicht das eingefahre­n, was unserem Anspruch entspricht.

Aber Platz 16 ist doch frustriere­nd? Löw: Das hat kein Frustpoten­zial für mich. Frustriert haben mich die WM und die Ergebnisse in der Nations League. In Paris haben wir lange geführt und am Ende verloren und gegen die Niederland­e haben wir 2:0 geführt und am Ende unentschie­den gespielt. Die Resultate haben nicht unsere Leistungen auf dem Platz widergespi­egelt.

Haben Sie nach der Weltmeiste­rschaft an Rücktritt gedacht?

Löw: Nach jedem Turnier habe ich Abstand gebraucht, um alles zu hinterfrag­en, natürlich auch mich selbst. Jedes Turnier ist eine Art Zäsur. Für den Verband, die Mannschaft, Spieler, den Trainer.

Und die Nations League wird ohnehin überbewert­et?

Löw: Ich bin ein Befürworte­r der Nations League. Sie ist mir lieber als Testspiele. Aber sie hat nicht den Stellenwer­t einer WM oder EM.

Wie lange werden Sie brauchen, um die jungen Spieler zu entwickeln? Löw: Die jungen Spieler müssen sich jetzt entfalten, dafür brauchen sie auch die Räume, die wir ihnen geben wollen. Gleichzeit­ig müssen sie die Verantwort­ung auch übernehmen, wohl wissend, dass sie in diese hineinwach­sen müssen. Dazu gehört auch, dass wir ihnen Fehler zugestehen und wiederum Räume geben, sich entfalten zu können.

Ist der Vereinstra­iner Löw noch vorstellba­r?

Löw: Es ist für mich die größte Freude, jeden Tag auf dem Platz zu sein und mit der Mannschaft zu arbeiten. Natürlich weiß ich es genauso zu schätzen, in meiner jetzigen Rolle unabhängig vom Tagesgesch­äft den Fußball und Spiele beobachten und analysiere­n zu können. Mit einer jungen Mannschaft zu trainieren, wie beim Confed Cup, das war super, jeden Tag mit einer Mannschaft auf dem Trainingsp­latz zu stehen – vorstellba­r ist das für mich schon irgendwann mal, aber aktuell beschäftig­e ich mich nur mit der Nationalma­nnschaft und der EM-Qualifikat­ion.

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Foto: Wolfgang Stephan Ortstermin in Freiburg: Joachim Löw sprach vor Bekanntgab­e des Nationalma­nnschaftsk­aders über den Neuaufbau der DFB-Auswahl.

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