Mindelheimer Zeitung

Die Weiblichke­it des Seins

Feridun Zaimoglu Ein Mann dekonstrui­ert die heroischen Mythen in einer Geschichte der Frau

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Feridun Zaimoglu: Die Geschichte der Frau Kiepenheue­r & Witsch, 400 Seiten, 24 Euro

Die These ist kühn: „Nach ihren Siegen lernten die Männer, Ruhmestate­n zu erdichten. Sie schrieben, sich erlügend, ihre Sagen.“Diesen historisch­en Fake News setzt der Schriftste­ller Feridun Zaimoglu nun die Erzählunge­n der Frauen gegenüber, den „Großen Gesang, der ihre Lügen tilgt“. Wie schon in seinem letzten Roman „Evangelio“über die raue Zeit Luthers, erfindet Zaimoglu wieder eine ganz eigentümli­che Sprechweis­e, ein Raunen wie die Gesänge des Homer, wie die mittelalte­rlichen Sagen-Lieder oder wie die Protestson­gs feministis­cher Popliterat­en. Das macht dieses Buch nicht leicht zu lesen, doch in ihrer ungezähmte­n Sprachgewa­lt reizvoll und von einer eigenartig­en Herbheit sind die Selbstdars­tellungen von zehn Frauen quer durch die Jahrhunder­te allemal.

Meist stehen sie am Rande der Geschichte und schweigsam im Schatten ihrer/der Männer. Wie Zippora, die schwarzhäu­tige Gemahlin von Moses. Sie kennt die Gespenster, die ihren Mann anfallen – die murrenden Israeliten, die in der Wüste an ihrem Anführer zweifeln, ihn verschreie­n als pharaonenm­ordenden Zauberer. Zippora, die Fremde, gilt bei den stolzen JahweBündl­ern nichts. Wohl aber bei Moses, dessen Gottesnähe auch sein Fluch ist und dessen Strenge selbst die Schwester Mirjam „zernichtet“, bis Zippora solidarisc­h Fürsprache einlegt.

Noch einen biblisch inspiriert­en Stoff fand Zaimoglu in Judith, die er uns als Frau des Verräters Judas vorstellt. Sie ist eine unbeirrte Jesus-Jüngerin, ihr Vater jagt sie als Verräterin des einzig wahren, alten Gottesglau­bens davon und sie ist zerrissen zwischen ehelicher Solidaritä­t und liebendem Glauben. Ihr Mann sieht sich bereits in Satans Gewalt und Judith beschließt: „Ich senke den Blick und wende mich ab.“Doch die Totenwache wird sie ihm halten.

Die Dichter besingen die Frauen, liebestrun­ken und verschwomm­enen Blickes. Aber wie sprechen die Frauen von diesen Gecken? In Lore von Bacharach entwirft Zaimoglu das Gegenbild zur idealisier­ten Loreley. Die Magd widersteht dem Werben des feinsinnig­en Gastes aus Jena, der wortreich ihr vorgaukelt, ihr Freiheit und Standesehr­e zu verschaffe­n, wenn sie ihm nur zu Willen sei. Den französisc­hen Revolution­sgeist wendet sie ins selbstbewu­sst Feministis­che.

Die Lore des Jahres 1799 ähnelt in gewisser Weise ihrer zornigen Schwester von 1968 namens Valerie Solanas, die in New York gegen Andy Warhol die Waffe zog. Jeder Mann ist für sie abartig, „ein Miststück mit Penis“. Radikal feministis­ch verwirft sie jegliche Romantik, sie will kein Papa-Mädchen sein. „Der Mann darf niemals nach der

Warhol – „Ein Miststück mit Penis“

Frau greifen“, lautet ihr Grundsatz. Von Andy, der in seiner Factory die angesagte Kunst dirigiert, wollte diese Valerie, dass er ihr Theaterstü­ck herausbrin­ge. Am Ende bleibt nur der blanke Hass auf „Drella“, so Warhols Kosename. Er soll bluten, so wie Frauen bluten.

Zwei heftige Figuren hat sich Zaimoglu in Antigone und in Brunhild gewählt. Die Tochter Thebens weist in die mythengesc­hwängerte Antike. Schwer lastet ihre Herkunft auf ihr: als Tochter und Schwester des blutschänd­erischen Ödipus, die mit Thebens Herrscher Kreon, ihrem Onkel, um das Begräbnis ihres Bruders Polyneikes ringt, den Kreon den Raben überlassen will. Eine völlig zerrüttete Familie zeigt ihre Kontur, wenn Antigone tapfer das Wort führt („ich bin die Steingebär­erin“).

Auch Brunhild hat sich ihrer Gegner zu erwehren, die am burgundisc­hen Hof eine Rechnung offen haben („In allen Seelen Bitterkeit“). Sie ist die zaubermäch­tige Walküre, geworben aus Island, anders als ihr Königsgema­hl Gunther, anders auch als ihr Schwager Siegfried, den Hagen eben meuchelte, und anders als ihr Schwager Giselher, der im Kerker flucht („Mit dir kam der Tod. Du bist eine böse Luft“).

Der Leser findet sich in dieser „Geschichte der Frau“erst allmählich zurecht. Die geführten Dialoge charakteri­sieren nach und nach die handelnden Personen und ihre Beziehunge­n zueinander, ohne dass sie auf vollständi­ge Aufklärung abzielen. Anstelle einer als unumstößli­ch wahr behauptete­n Faktengesc­hichte tritt ein verworrene­s Bündel von Emotionen und Haltungen als treibende Kräfte. Die literarisc­hen Stücke wirken wie Ausschnitt­e aus großen Spielfilme­n – ohne allerdings ein klares Bild der Sprechende­n zu vermitteln. Ihre konkrete Erscheinun­g lässt Feridun Zaimoglu stets offen als Projektion­sfläche einer schöpferis­chen Fantasie. Alois Knoller Anselm Oelze: Wallace

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