Mindelheimer Zeitung

Mein Traum, dein Traum Verlaufen in den Erinnerung­en der anderen

- Doris Wegner

In welcher Welt bewegen sich unsere Träume, unsere Erinnerung­en, unser Empfinden von Zeit? Kann man all dies im Nachhinein verändern? Und wie wäre es, wenn wir in das Bewusstsei­n eines anderen einfach hineinwand­eln könnten, wie in einen anderen Raum? Wenn man die Gedanken, das Innerste des anderen, einfach erleben könnte? Ganz ohne Worte. Um nichts Geringeres geht es in Peter Høegs Roman Durch deine Augen. Das klingt komplizier­t. Und so ist es auch.

Nach einem Selbstmord­versuch seines Pflegebrud­ers Simon nimmt Peter Kontakt zu der Wissenscha­ftlerin und Therapeuti­n Lisa auf. Die drei haben seit Kindertage­n eine enge Beziehung, haben sich aber mit den Jahren aus den Augen verloren. Lisa ist es gelungen, Erinnerung­en von Menschen zu scannen und in Hologramme­n, die sie in einen Raum wirft, sichtbar zu machen. Die Neuropsych­ologin forscht, ob Erinnerung­en veränderba­r sind, indem sich andere Geschichte­n über die Ereignisse von einst legen. „Wenn die Wirklichke­it eine Erzählung ist, ein Traum, etwas künstlich Hergestell­tes, was ist dann wirklich?“Könnte auf diese Weise dem an einem Endpunkt angekommen­en Leben Simons eine neue Wende gegeben werden? Könnte ihm zu einer Geschichte verholfen werden, mit der er leben kann? Das ist Peters Hoffnung.

Doch die Sache entwickelt sich für ihn weit komplexer. Lisa bittet ihren Freund um Mithilfe bei den Therapiesi­tzungen. Durch die Hologramme, in die er hineingeht, spürt Peter am eigenen Leib die Todesangst eines verunglück­ten Seglers, die Verzweiflu­ng eines Missbrauch­sopfers, die tiefen Ängste einer älteren Frau, die Kriegserle­bnisse nicht verarbeite­n kann.

Lisa und Peter kommen sich mit der Zeit näher, neben der Arbeit im Labor nimmt ihre Vergangenh­eit immer mehr Raum ein. Therapie in eigener Sache. Lisa kann sich an ihre ersten sieben Lebensjahr­e nicht erinnern. Peter erzählt von den Kindertage­n, von ihren fantastisc­hen Traumreise­n, aus denen sie sogar Gegenständ­e in die Wirklichke­it mitgebrach­t haben, von gemeinsame­n Visionen und von Simons erster Todeserfah­rung, als sie alle als Kinder den Krebstod von Simons Mutter miterlebte­n.

Høeg will nichts weniger, als das große Ganze erklären – und macht es genau damit seinen Lesern unheimlich schwer. Viel zu viel packt er in die Geschichte von Lisa, Simon und Peter, die er sehr persönlich in seinem dänischen Geburtsort Christansh­avn anlegt. Auch seine Mutter spielt in dem Buch eine Rolle. Seinen Lesern aber gibt er dennoch viele Rätsel auf. Oft tippt er mächtige Themen nur kurz an: Schicksal, menschlich­e Abgründe, die Zeit, Einsamkeit, Schuldgefü­hle, gibt es ein kollektive­s Bewusstsei­n? Kriegsfolg­en seien über acht Generation­en in den Menschen spürbar – und schon geht es wieder um das nächste große Menschheit­sthema. Weder Autor noch Leser finden in diesem Roman zur Ruhe. Es fällt schwer, sich in diese Geschichte hineinfall­en zu lassen. Und trotz des spannenden Grundgedan­kens darf man schlussend­lich wenig Erhellende­s mitnehmen.

Alles schlecht also? Nein. Es gibt immer wieder bewegende Szenen in diesem auch sehr feinsinnig und mit großer Ehrlichkei­t geschriebe­nen Buch. Oft hadert Høeg auch mit sich selbst, macht kein Hehl daraus, dass auch er bei diesen hochkomple­xen Themen an seine sprachlich­en Grenzen stößt. „Keiner hat Lust, diese Geschichte zu hören. Sie kann von der Sprache gar nicht erfasst werden.“Allein das ist bemerkensw­ert.

 ??  ?? Peter Høeg: Durch deine AugenA. d. Dänischen von Peter Urban-Halle, Hanser,336 Seiten,24 Euro
Peter Høeg: Durch deine AugenA. d. Dänischen von Peter Urban-Halle, Hanser,336 Seiten,24 Euro

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