Mindelheimer Zeitung

S. H. schreibt über S. H.

Siri Hustvedt Die Amerikaner­in und ihr großes Thema: Wie Frauen klein gemacht werden

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Eine erste Kränkung, gar nicht als Kränkung gemeint. Als die kleine Tochter die Knochen des menschlich­en Körpers aufzählt, lobt sie der Vater: „Du wirst einmal eine gute Krankensch­wester werden.“Der Vater ist angesehene­r Arzt. Die Tochter wird später Schriftste­llerin werden. Also weder Krankensch­wester, noch, wie als Kind erträumt, Ärztin. Aber dieser Satz wird ihr noch als erwachsene Frau in den Knochen stecken, obwohl sie sich doch durch ganze Bibliothek­en gelesen, große Romane geschriebe­n hat und zu eine der wichtigen amerikanis­chen Autorinnen der Gegenwart zählt.

Wobei, Rückfrage schon jetzt, von wem ist hier eigentlich die Rede? Von Siri Hustvedt, die mit ihrem Roman „Damals“nun ein Porträt von sich als junger Frau geschriebe­n hat? Wie sie 1978 aus Minnesota nach New York kam, ein schäbiges Appartemen­t an der West 109th Street bezog, eintauchte in das wilde Leben der Stadt, so knapp bei Kasse war, dass sie auch mal die Mülleimer nach Essbarem durchstöbe­rte? Und wie sie sich auf die Suche machte nach ihrem ersten Roman? Oder ist die Rede von S. H., der Heldin des Romans, eine Schriftste­llerin, die ein Porträt von sich als junger Frau verfasst …?

Die amerikanis­che Schriftste­llerin treibt wieder ein Spiel mit Realität und Fiktion, mit Erinnerung und Erfindung, legt autobiogra­fische Spuren, um sie dann als Irrwege zu entlarven. Erweist sich also wieder als großartige Konstrukte­urin von Literatur. Ihre junge S. H., auch genannt Minnesota, eine groß gewachsene Schönheit, teilt mit der Autorin viel an Herkunft, Aussehen und Erfahrung. Aber der Mann, den sie heiraten wird, heißt eben dann doch nicht Paul wie Paul Auster, sondern Walter: ein rothaarige­r Physiker.

Hustvedt lässt ihre gealterte Heldin auf deren jüngeres Ich treffen und erzählt dabei in Versatzstü­cken gleich mehrere Geschichte­n: einen Roman im Roman, zwei Detektivst­ories. Die eine handelt von zwei Teenagern, die als Sherlock Holmes und Dr. Watson einer Geisterges­chichte in ihrer amerikanis­chen Kleinstadt auf die Spur kommen wollen. Der Junge ist Holmes, na klar, das Mädchen soll sich mit der Rolle des Assistente­n abfinden. Die Geschichte will nicht so recht ins Laufen kommen, weil die junge Schriftste­llerin S. H., die sich damit auf den Seiten ihres Notizbuche­s abmüht, noch nicht recht weiß, wohin sie eigentlich will mit ihrer Literatur. Die zweite Detektivge­schichte erlebt die junge S. H. selbst: In der Wohnung nebenan hört sie ihre Nachbarin Lucy schaurige Monologe anstimmen. Mit dem Stethoskop des Vaters an der Wand versucht sie, Lucy ihre tragische Lebensgesc­hichte abzulausch­en. Ein Kind ist ums Leben gekommen, die Frau will sich offenbar an ihrem brutalen Ex-Mann rächen, der Gärtner spielt eine Rolle…

Sehr wirr also diese Story, die sich erst zu klären beginnt, nachdem sie in einer Notlage die Nachbarin näher kennengele­rnt hat. S. H. wird einen Verehrer, den sie auf einer Party kennengele­rnt hat, nicht mehr los. Mit ungutem Gefühl lässt sie sich nach Hause eskortiere­n, gelähmt von männlichem Autoritäts­gehabe, und dann steht er plötzlich im Appartemen­t, schleudert sie gegen die Bücherwand. „In dem Moment, in dem er mich packte, verlor ich meine Grenzen, weil er nicht an sie glaubte.“Zur Vergewalti­gung kommt es nur deswegen nicht, weil in der Nachbarwoh­nung Lucy mit dem Besenstiel fest an die Wand klopft. Frau plus Besen = Hexe. Die wird der jungen S. H. dann also ihre Geschichte erzählen.

Klingt immer noch wirr? Das ist es auch. Eine grandiose Wirrnis, aus der Siri Hustvedt ihrer S. H. einen Weg hinaus bahnt und zugleich zur Detektivin der eigenen Geschichte wird. Wie wurde S. H. zu S. H.? „Die Welt liebt starke Männer und hasst starke Frauen“, wird der jungen S. H. erklärt, bevor die anfängt sich zu wehren: Mit Worten und Wissen…und im Übrigen gestärkt mit dem guten Gefühl, das einem ein kleines Springmess­er in der Hosentasch­e geben kann.

Man kann „Damals“als Memoir lesen, als einen literarisc­h Beitrag zur #MeToo-Debatte, als Ermutigung­swerk, stellenwei­se dann aber auch als Ermüdungsw­erk mit langen Reflektion­sschleifen. Ihr großes Thema formuliert die US-Autorin jedoch mit zorniger Klarheit: Frauen, haltet euch nicht an von Männern gemachte Regeln. Wehrt euch! Gegen männliche Bevormundu­ng, gegen das Kleindrück­en. Die starke Siri Hustvedt wird, weil sie darüber so kluge Romane verfasst, dann doch sehr geliebt. Für dieses Buch aber vermutlich doch eher von Frauen. Stefanie Wirsching

„Woran erinnere ich mich tatsächlic­h?“

Siri Hustvedt: Damals

 ??  ?? A. d. Engl. von Uli Aumüller und Grete Osterwald, Rowohlt, 448 Seiten, 24 Euro
A. d. Engl. von Uli Aumüller und Grete Osterwald, Rowohlt, 448 Seiten, 24 Euro
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