Der Kampf mit der Mutterschaft
Sheila Heti Die Autorin liefert in ihrem Buch viel Munition für eine hitzige aktuelle Debatte
Auweia. Eine Frau, die nicht Mutter sein will, die ihre evolutionäre Bestimmung nicht erfüllt und ihre Fruchtbarkeit nicht nutzt – wer sich bisher als solche äußerte, musste sich, bestenfalls, auf erstaunte Gesichter, oder, schlimmstenfalls, auf Anfeindungen im Internet gefasst machen. Die hingebungsvolle Mutterschaft als Ideal einer Frau – mit diesem Mythos wird nun über 300 Seiten aufgeräumt.
Die kanadische Autorin Sheila Heti befasst sich in ihrem neuen Buch „Mutterschaft“auf sehr kluge, kreative und auch facettenreiche Art mit der grundsätzlichen Frage „Will ich Mutter überhaupt sein?“. Und liefert damit interessanterweise Munition für beide Fronten der jüngst entfachten hitzigen Anti-Natalismus-Debatte. Zudem hebt sich der Text durch seine ungewöhnliche Erzählweise und durch das Spiel mit der Sprache von anderen Veröffentlichungen zum gleichen Thema ab: Etwa von Ora Donaths „Regretting Motherhood“, in dem isrealische Mütter ihr Muttersein bereuen. Auch von Antonia Baums Selbsterfahrungsbericht „Stillleben“, in dem sie das Muttersein komplett ohne rosarote Brille betrachtet. Und auch von dem jüngst erschienenen Manifest „Kinderfrei statt kinderlos“, in dem Verena Brunschweiger aus ökologischen Gründen vom Kinderkriegen absieht. In „Mutterschaft“aber werden nicht bloß interessante Gedanken serviert, sie sind auch noch kunstvoll, wenn auch nicht immer leicht verdaulich, angerichtet.
Sieben Jahre lang hat Sheila Heti, die 2010 mit ihrem Selbstfindungsroman „Wie sollten wir sein“für Aufsehen sorgte und laut New York Times eine der 15 einflussreichsten Autorinnen unserer Zeit ist, an „Mutterschaft“gearbeitet. Darin spielt sie wieder mit Realität und Fiktion, verbindet wie auf einer großen Patchworkdecke ihre Tagebucheinträge, Episoden ihrer Familiengeschichte, Gespräche mit Freunden und private Bilder mit fiktionalen Texten. Herausgekommen ist eine persönliche Geschichte, die als Sachbuch ein Seelenstriptease wäre, als Roman aber den Leser immer im Unklaren lässt, wann nun die reale und wann die fiktive Sheila spricht. Durch diesen stilistischen Kunstgriff beleuchtet Sheila Heti das Thema noch virtuoser, überraschender und zuweilen sogar witzig.
„Ein Geheimnis, das ich vor mir selbst verberge“
Autorin und Protagonistin sind sich ziemlich ähnlich. Die Parallelen: Schriftstellerin, um die 40, Nachkomme jüdisch-ungarischer Holocaustüberlebender, wohnhaft in Toronto, Strafverteidiger als Freund. Im Gegensatz zur ihrer Romanfigur sei der Autorin jedoch schon immer klar gewesen, dass sie keine Kinder haben möchte, weil sie sich voll und ganz dem Schreiben widmen möchte, sagt sie in Interviews. Ihre Roman-Sheila lässt sie zunächst sagen: „Ob ich Kinder will, ist ein Geheimnis, das ich vor mir selbst verberge – das größte Geheimnis.“Dieses Geheimnis wird alsdann peu à peu gelüftet.
Sheila ist hin und her gerissen, ob sie Mutter werden will oder nicht. Ihre Gefühle fahren Achterbahn. Sie wirft nach einer alten chinesischen Orakelmethode Münzen, damit sie ihre Gedanken immer weiter und in neue, überraschende Richtungen treiben kann. Sie spricht mit Freundinnen, mit Müttern, mit ihrem Freund Miles, der bereits ein Kind hat und ihr die Mutterschaft-Entscheidung überlässt. Es wird schnell deutlich: So eine Entscheidung ist ein Prozess, der mit Schmerzen, Zweifeln und Ängsten verbunden ist. Was verliere ich, wenn ich ein Kind habe? Was gewinne ich?
Bald ist sich Sheila klar: „Mein Gefühl, dass ich kein Kind will, ist das Gefühl nicht zu jemandes Vorstellung von mir werden zu wollen. Eltern haben mehr, als ich je haben werde, etwas Größeres, das ich aber nicht will . ... Es liegt eine Art Traurigkeit darin, etwas nicht zu wollen, was dem Leben so vieler anderer Bedeutung verleiht.“Und dann stellt sie fest: „Meine gläubige Cousine, die genauso alt ist wie ich, hat sechs Kinder. Und ich habe sechs Bücher.“Irgendwie sind Bücher für sie auch wie Kinder, sie bedeuten Arbeit und Hingabe, sie überleben einen – gut, im Altersheim kommen sie einen nicht besuchen.
„Mutterschaft“ist aber mehr als nur ein Buch über den Kampf einer Frau mit diesem Thema. Es geht um die Beziehung zwischen Mutter und Tochter, zwischen Mann und Frau, um Verantwortung und Schuld den Vorfahren gegenüber, um Familie und Feminismus. Es ist ein Buch für Mütter und Nichtmütter, für Wissende und Suchende. Eine goldene Antwort gibt es darin nicht. Aber das war auch nicht Sheila Hetis Absicht. Sie wollte mit „Mutterschaft“Frauen aus sich herauslocken – und das ist ihr gelungen. Lea Thies Sheila Heti: Mutterschaft