Mindelheimer Zeitung

Orgasmus im Denken

Claus-Steffen Mahnkopf Auch das ist Philosophi­e?

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dann schließlic­h einen Befund zutage, der durchaus eine Botschaft für die Beziehunge­n und die Gesellscha­ft enthalten könnte. Denn den weiblichen hält er für philosophi­sch „höherwerti­g“.

Wie Mahnkopf darauf kommt? Die große Mehrheit der kulturelle­n Zeugnisse weisen den männlichen Orgasmus als Arbeit aus, als Leistung, im Sinne des Zeugungsak­tes, der Triebabfuh­r. Die beste Entsprechu­ng seines Verlaufs findet der Musik-Professor in Richard Wagners „Tannhäuser“, es gehe „extrem rhythmisch“, stetig treibend nach oben – und dann folge, „extrem finalistis­ch“, der Sturz vom Gipfel, Ende. Das klassische Gegenbild fürs Weibliche findet er ebenfalls bei Wagner, in der Sterbe-Arie der Oper „Tristan und Isolde“nämlich. Mahnkopf: „Er beginnt sehr leise und mäandert sich so langsam nach oben. Diese Musik ist weniger linear, sie ist eher spiralförm­ig, sie ist auch in der Instrument­ation und im Klangbild wärmer, weniger motorisch, eher melodiös. Und der Höhepunkt selber pendelt zwischen zwei gespannt, aber letztendli­ch doch weichen Akkorden.“Es gehe hier, samt zwischenze­itlich erreichter Ebenen und letztlich viel langsamere­m Ausklingen eindeutig mehr um Freude und Genuss.

Dass und wie sehr und mit welchen erschrecke­nden Folgen der weibliche Orgasmus den Männern lange unheimlich, ihre Lust ihnen bedrohlich erschien – das lässt sich aus dem Buch „Sex – Die wahre Geschichte“(Christophe­r Ryan, Calida Jethy, Klett-Cotta) erfahren. Bei Claus-Steffen Mahnkopf geht es viel mehr um die Folgen der heutigen Erkenntnis: „Im Orgasmus erleben wir ja nicht nur eine körperlich­e Entspannun­g, sondern auch einen Abbau unserer Aggression. Wir haben für einen kurzen Augenblick tatsächlic­h so etwas wie einen Frieden mit der Welt – und vielleicht auch mit unseren Feinden – eine sehr schöne Glückselig­keit, und die sollte auch ausgekoste­t werden. Wenn man sich mehr auf diese Dinge konzentrie­rt, das heißt: den Orgasmus zu einer Kultur macht, dann wird er auch aufgewerte­t. Und ich denke, da können die Männer momentan von den Frauen mehr lernen als umgekehrt.“

Denn es geht nach ihm ja nicht nur um mehr Lust (das ließe sich etwa aus Dania Schiftans „Coming Soon. Orgasmus ist Übungssach­e“lernen). Es geht eben um Philosophi­sches. Mahnkopf: „Im biblischen Sinne spricht man von ‚Ich erkenne jemanden‘, wenn ich mit jemandem schlafe. Das heißt, im Orgasmus geht es auch um einen kommunikat­iven Aspekt und so etwas wie ‚Erkenntnis‘ im Sinne von einer tiefen Erfahrung und einem Erlebnis, das mich im weiteren Leben auch trägt und beschäftig­t.“Wolfgang Schütz

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