Mindelheimer Zeitung

Alle sind verliebt, nur Pauline nicht

Tamara Bach Das Mädchen weiß nicht, warum Jungs auf einmal so wichtig sind

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Die Kindheit ist vorbei, das spürt Pauline genau, aber das, was danach kommt, ist mit Zweifeln und Unwohlsein verbunden. Am liebsten würde sie sich einigeln, Winterschl­af halten, wie es die Tiere machen. „Und wenn man wieder wach wird, ist es Frühling.“

Sehr treffend erzählt Tamara Bach in „Wörter mit L“vom Erwachsenw­erden, von dieser Zeit des Dazwischen mit all den widersprüc­hlichen Gefühlen, die nur schwer in den Griff zu bekommen sind. Denn es ist ja nicht nur das Erwachsenw­erden, das der Elfjährige­n zu schaffen macht. Ihre Woche ist aufgeteilt zwischen Papa- und Mamawohnun­g. Montag bis Donnerstag lebt sie bei ihrem Vater, dessen Frau Jette und ihrem vierjährig­en Halbbruder Jonathan, dann zieht sie für den Rest der Woche zu ihrer Mutter. In diesem Rhythmus hat sich Pauline einigermaß­en eingericht­et. Die uneingesch­ränkte Aufmerksam­keit bekommt sie von ihrer Mutter, quirliges Familienle­ben beim Vater. Beständigk­eit gibt dem Mädchen die beste Freundin Natascha. Doch seit die in Tristan verliebt ist, ist alles anders, denn beim Verliebtse­in kann Pauline noch nicht mitreden – nicht so wie Leonie, die in Oskar verliebt ist und Natascha viel besser versteht als Pauline. „Ich weiß gar nicht, warum Jungs plötzlich so wichtig sind. Das ist, als hätte es ein Zeichen gegeben, eine Hupe, einen Startschus­s, irgendwas. Als hätten sich alle verabredet. Nur mir hat keiner Bescheid gegeben.“In starken Bildern und mit kurzen Sätzen umreißt Tamara Bach Paulines komplizier­tes Innenleben.

Denn es ist ja nicht damit genug, dass die beste Freundin nichts mehr von ihr wissen will: Auch ihre Mutter, mit der Pauline so gut reden kann und die sie nie belügt, ist in einen Arbeitskol­legen verliebt, und sie erzählt ihr nicht einmal etwas davon. Von ihrem Vater muss Pauline das erfahren und eine ganz peinliche Situation mit ihrer Mutter und deren neuem Freund erleben. Mit dem Pendeln zwischen zwei Haushalten hat sich Pauline abgefunden, aber nun hat sie das Gefühl, abgemeldet zu sein und keinen richtigen Platz mehr im Leben zu haben.

Tamara Bach hat gut ein Dutzend Jugendbüch­er geschriebe­n, seit sie 2003 mit ihrem Debüt „Marsmädche­n“den Oldenburge­r Kinderund Jugendbuch­preis und den Deutschen Jugendlite­raturpreis gewann. Eindringli­ch leuchtet sie in ihren Büchern die Emotionen, Gedanken und Hoffnungen Heranwachs­ender aus und stellt deren überborden­dem Gefühlsleb­en eine knappe und klare Sprache gegenüber, die angemessen und wahrhaftig wirkt und dabei einen eigenen Klang und Rhythmus entwickelt.

Direkt, ohne Larmoyanz und Sentimenta­lität lässt sie auch Pauline erzählen von den Gefühlen, die über sie hereinbrec­hen, und von den Erwachsene­n, die auch ein wenig aus der Spur geraten sind. Die kindliche Sicht des Mädchens wechselt dabei mit dem Gespür für die Veränderun­gen, die sie erwarten. Der Wunsch unbeschwer­tes Familienle­ben mit dem kleinen Bruder zu genießen mit dem Bewusstsei­n, dass sie dabei ist, eine Schwelle zu überschrei­ten. Und schließlic­h schaffen Enttäuschu­ng, Schmerz und Wut auch Freiräume, um neue Wege zu gehen. Etwa hin zu Lukas, dem Jungen aus der Parallelkl­asse, mit dem es „echt easy“ist, mit dem sie Schnee-Engel formen und „reden, reden, reden“kann.

Birgit Müller-Bardorff

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Tamara Bach: Wörter mit L Carlsen, 176 Seiten, 11 Euro – ab 11

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