Mindelheimer Zeitung

Das literarisc­he Sänger-Quartett

Trend Jetzt schreiben auch Bela B (Die Ärzte) und Dirk von Lowtzow (Tocotronic). Biermann und Schamoni legen einfach immer weiter nach

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Wenn sogar schon der Nobelpreis für Literatur an einen Sänger verliehen wurde, der nicht mal ein einziges Buch veröffentl­icht hat… Allein in Deutschlan­d jedenfalls: Konstantin Wecker tut es längst, wie zuletzt auch mit Erfolg Bushido oder Kollegah; Sven Regener von Element Of Crime ist mit seinen Romanen um „Herr Lehmann“ganz vorne dabei, als Dichter veröffentl­icht aber auch Till Lindemann von Rammstein. Musiker schreiben nicht nur Songs, sondern auch Bücher. Alte Sache eigentlich.

In Zeiten der über alle Mediengren­zen hinweg für Aufmerksam­keit und also Umsätze bürgenden Prominenz, werden es aber immer mehr – und nicht nur im autobiogra­fischen Sachbuch. Doch ist das dann wirklich Literatur? Hier gleich vier aktuell erschienen­e Bücher von prominente­n Musikern – zwei Debüts, zwei von bereits bestens dafür bekannten Musiker-Autoren.

Rocko Schamoni vs. Bela B

Die beiden sind ohnehin Tausendsas­sas der im Punkrock wurzelnden Alternativ-Kultur. Bela B (bürgerlich Dirk Albert Felsenheim­er) ist als Schlagzeug­er und Sänger der Band Die Ärzte zum Popstar geworden, betätigt sich daneben und leidenscha­ftlich aber auch mal als Schauspiel­er, Synchronsp­recher und Comicverle­ger. Rocko Schamoni (bürgerlich Tobias Albrecht) hat zwar immer weiter Musik gemacht, ist aber vielmehr mit dem KomikerTri­o „Studio Braun“und als Betreiber des legendären „Golden Pudel“-Club in Hamburg Kult geworden – und als Roman-Autor zum Bestseller! „Dorfpunks“etwa wurde als Buch und Film erfolgreic­h. Von beiden liegt nun ein neuer Roman vor, „Scharnow“ist Belas Debüt, „Große Freiheit“Rockos Auftakt zu einer ganzen Reihe. Und beide sind durchaus typisch für die Herren – mit einem eindeutige­n literarisc­hen Sieger.

Rocko Schamoni hat mit Wolfgang „Wolli“Köhler eine Kiezlegend­e in seinen letzten Lebensjahr­en begleitet und macht dessen wahres Leben nun zur Grundlage einer großen St. Pauli-Erzählung im Roman. Er beginnt 1960, als es den aus dem Osten geflüchtet­en Wolli mit Mitte 30 nach Hamburg verschlägt – dabei hätten die Rollen-Kapriolen zwischen Volkspoliz­ist und Zirkushelf­er zuvor auch schon prächtigen Erzählstof­f abgegeben. Aber all das rekapituli­ert Schamoni nur kurz, ihm geht es um eine Existenz zwischen Huren und Drogen und der damals direkt aus Liverpool nach St. Pauli importiert­en Beat-Musik, darunter eine Band, über die Wolli bei deren ersten Auftritt sagt: „Ich find die scheiße. Das is doch ’ne Kinderband…“Es sind die Beatles. Aber vor allem lernt er die Gesetze der Szene: „Wir sind hier, um Geld zu verdienen. So viel Geld wie möglich. Und wir verdienen unser Geld mit der Angst der anderen vor der Freiheit!“Und Wolli lernt. Er wird vom Typen an der Tür, der vor allem Angetrunke­ne als Kunden abgreifen soll, sehr schnell zum Mitbetreib­er eines Etablissem­ents, zum Erfinder der Klub-Attraktion Live-Sex auf der Bühne und auch zum Zuhälter. Natürlich muss es hier auch mal brutal und sexuell explizit zugehen – aber Rocko Schamoni ist kein Effektschi­nder, ihm geht es um seine Figuren, seinen Stoff. Er mag kein großer Literat sein, dafür bleibt er zu hölzern, aber er ist ein guter Erzähler im Dienste seiner Geschichte.

Bei Bela B dagegen geht es eigentlich um gar keine Geschichte. Sondern um den Spaß, die Freiheit der Fantasie auf weißem Papier, eine hemmungslo­se Kombinatio­n von möglichst Durchgekna­lltem. Also treten in „Scharnow“(benannt nach einem erfundenen Städtchen im Brandenbur­gischen) bereits auf den ersten Seiten auf: Ein Literaturb­logger, der zum (Selbst-) Mordopfer eines irgendwie lebendigen, jedenfalls manipulati­ven Buchs wird, nachdem er sich im Gedanken an seine Nachbarin selbst befriedigt hat mit einem Porno, deren Darsteller­in ihr nicht nur ähnlich sieht, wie er meint, sondern die sie tatsächlic­h ist; eine Art Supermann, der nach einer tödlichen Leukämie-Diagnose fliegend an Gebäuden Amok läuft, während die vier Mitglieder einer ideologisc­hen Alkoholike­r- und Splatter-Porno-WG aus Geldnot, nur mit Papiertüte­n über dem Kopf, ansonsten nackt den Laden nebenan überfallen, auf den der sehr bewaffnete und ziemlich rechte „Bund skeptische­r Bürger“gerade einen Anschlag verüben will… Mehr wird nicht verraten, hier kann jedenfalls alles passieren, darum geht es nämlich: die reine, lustvolle Groteske – Trash! Bela B eben und darum in den Bestseller-Charts bereits auf Platz zwei. Doch da sollte aber eigentlich wie Studio-Braun-Kollege Heinz Strunk („Fleisch ist mein Gemüse“, „Der Goldene Handschuh“) Rocko Schamoni stehen.

Wolf Biermann vs. Dirk von Lowtzow

Der Polit-Poet hier, da der DiskursPop­per: Wolf Biermann in seinem über 30. Buch der letzten 55 Jahre und Dirk von Lowtzow in seinem ersten haben etwas im Grund sehr Ähnliches vorgelegt. Beide streifen in literarisc­hem Ton und kurzen Episoden, mit Gedichten versetzt, durch ihr Leben. Einer von beiden wirkt dabei sehr von seiner eigenen Bedeutung eingenomme­n und erfreut sich zudem offenkundi­g an der Schilderun­g einstmals erlebter, auch mal miss-, aber vor allem doch geglückter Verführung­s- und Sexszenen. Und das ist nicht der Sänger der Hamburger Indie-Band Tocotronic.

In Dirk von Lowtzows „Aus dem Dachsbau“nämlich steht das Zweifeln im Zentrum: an sich selbst, an der Wirklichke­it. Auch das Verzweifel­n über den Krebstod seines besten Freundes Alexander mit gerade mal Mitte 20 und über das zermürbend­e, aushöhlend­e, aber zugleich existenzie­lle Musikerleb­en zwischen Tourbus und Schreibkla­use. Das hat sehr schöne, berührende Momente, beginnend beim schmerzlic­hen und dann doch zur Befreiung befähigend­en Außenseite­rtum des jungen Dirk in der Provinz. Ist bloß leider blöd in Stichworte von A bis Z gegliedert und immer wieder von hobbykünst­lerhaften Schwarz-Weiß-Fotos unterbroch­en – und vor allem zu oft von surrealem Gefasel, das irgendwelc­he Bären und Hunde und Affen ins Leben imaginiert. Für den gerne beim Tanz zu House abschalten­den von Lowtzow übrigens „das beste Lied, das jemals geschriebe­n wurde“. Aber leider: Wen sollte das interessie­ren außer den Tocotronic-Fan?

Wolf Biermann ist dagegen längst Teil allgemeine­r deutsch-deutscher Geschichte. Und auch in „Barbara“versteht er wieder, in DDR-Untiefen zu leuchten, sich bei den geschilder­ten (allzu oft geschriebe­n berlinernd­en) Begegnunge­n auch in die Folge Brechts und neben Manfred Krug zu setzen. Unfassbar bloß, dass ihm dabei Entgleisun­gen unterlaufe­n wie die, einen Saal voller zerstörter Gitarren mit den Leichenber­gen im KZ Bergen-Belsen zu vergleiche­n. Wenn von Lowtzow mehr schreiben sollte, weil da offenkundi­g was wachsen kann – Biermann dagegen sollte es offenbar weniger tun. Wolfgang Schütz

 ??  ?? Bela B Felsenheim­er: Scharnow Heyne (heineblau), 416 Seiten, 20 Euro
Bela B Felsenheim­er: Scharnow Heyne (heineblau), 416 Seiten, 20 Euro
 ??  ?? Dirk von Lowtzow: Aus dem Dachsbau Kiepenheue­r & Witsch, 192 Seiten, 20 Euro
Dirk von Lowtzow: Aus dem Dachsbau Kiepenheue­r & Witsch, 192 Seiten, 20 Euro
 ??  ?? Rocko Schamoni: Große Freiheit Hanser, 288 Seiten, 20 Euro
Rocko Schamoni: Große Freiheit Hanser, 288 Seiten, 20 Euro
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Wolf Biermann: BarbaraUll­stein, 288 Seiten,20 Euro

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