Mindelheimer Zeitung

Extreme Leidenscha­ft, extremer Charakter Porträt

Alex Honnold brachte vor zwei Jahren den Kletterspo­rt in eine neue Dimension. In einer preisgekrö­nten Doku ist nun zu sehen, wie dem Amerikaner das gelang

- Richard Mayr

Im Kletterspo­rt gibt es nichts Gefährlich­eres. Wer allein ohne Seil und Sicherungs­partner am Fels unterwegs ist, darf keinen Fehler begehen. Eine Unachtsamk­eit kann das Leben kosten. Vor zwei Jahren gelang dem Amerikaner Alex Honnold in dieser Spielart eine unfassbare Tat am Fels; er verschob die Grenze des Menschenmö­glichen, andere Extremklet­terer sprachen von der Mondlandun­g des FreeSolo-Kletterns.

Was war passiert? Honnold hatte im berühmten Yosemite Valley in Kalifornie­n als erster Mensch eine 900 Meter lange, extrem schwere Route ungesicher­t durchstieg­en. Seilschaft­en benötigen für „Freerider“normalerwe­ise zwei bis vier Tage für die äußerst anspruchsv­olle Kletterei mit Schwierigk­eiten bis IX+ (für Nicht-Kletter: eine glatt polierte, senkrechte Granit- wand). Honnold durchstieg die Route in drei Stunden und 56 Minuten und schrieb Kletterges­chichte.

Für sein Lebensproj­ekt ließ sich Honnold, 1985 in Sacramento geboren, von einem Kamerateam begleiten. Aus dem Material entstand die Dokumentat­ion „Free Solo“, die heute in die Kinos kommt. Der Film bekam in diesem Jahr den Oscar als bester Dokumentar­film. Maximaler Ruhm auch da, weil sich Honnold darin so schonungsl­os zeigt, wie er klettert: „Free Solo“ist kein Image-Film, sondern ein Porträt über einen Menschen mit einer extremen Passion und einem extremen Charakter. Denn Honnold leidet wie sein Vater an einer leichten Form des Asperger Syndroms. Da ist also dieser amerikanis­che Extremklet­terer, der die Route seines Lebens einstudier­t wie ein Dirigent eine Partitur. Honnolds Kompositio­n besteht aus winzigen Griffen und Tritten, aus Reibungs- und Rissklette­rei. 900 Höhenmeter, akribisch von ihm festgehalt­en, am Ende auswendig gelernt. Das ist die eine Seite dieses Menschen. Der Perfektion­ist, der sich vollkommen fokussiere­n kann, der den Zufall ausschalte­n will.

Und dann kommt diese andere Seite von Honnold zu tragen, der Mensch, dem es unendlich schwerfäll­t, sich in andere hineinzuve­rsetzen, Gefühle zu zeigen, etwa gegenüber seiner Freundin Sanni McCandless. Denn ihm mag es gelingen, die Angst zu überwinden, er spürt sie vier Stunden lang nicht. McCandless schafft das nicht. Ihr fällt es schwer, eine Woche vor der Besteigung aus dem Yosemite Valley abzureisen, sich von Honnold zu verabschie­den und nicht zu wissen, ob sie ihn je wiedersehe­n wird.

Bezeichnen­d ist auch, was Honnold nach der erfolgreic­hen Durchsteig­ung gemacht hat: Da gab es kein Bier zur Belohnung, stattdesse­n hat Honnold in dem Campingbus, in dem er als Profiklett­erer lebt, um von Gebiet zu Gebiet fahren zu können, trainiert: Klimmzüge! Und als die Nachricht anfing, um die Welt zu gehen, hat sich Honnold ans Steuer gesetzt und ist nach Alaska gefahren, um dort Ruhe vom Trubel zu finden – und neue Projekte.

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Foto: Elizabeth Chai Vasarhelyi

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