Mindelheimer Zeitung

Theresa Mays schwerer Gang

Europa Die britische Premiermin­isterin muss die EU um eine Verlängeru­ng der Brexit-Frist bitten. Vieles deutet darauf hin, dass es in drei Monaten zum Schwur kommt. Trotz vieler Demütigung­en könnte Mays Taktik dabei am Ende aufgehen

- VON KATRIN PRIBYL Daily Express

London Wieder beginnt der Brief mit „Dear Donald“, „Lieber Donald“, doch anders als vor knapp zwei Jahren hat Premiermin­isterin Theresa May dieses Mal auf die persönlich­e Note verzichtet. Während sie sich in dem damaligen Schreiben, mit dem die britische Regierungs­chefin den EU-Austrittsp­rozess eingeleite­t hat, handschrif­tlich und in schwarzer Tinte an EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk wandte, war die Anrede nun Teil des Gedruckten. Es mag nur eine Randnotiz sein, aber sie zeigt, wie frostig das Verhältnis zwischen London und Brüssel mittlerwei­le zu sein scheint. Dennoch hatte May keine andere Wahl, als ihre Bitte an Tusk zu richten.

Neun Tage vor Ablauf der Zweijahres­frist am 29. März bat May jetzt offiziell um eine Verlängeru­ng des Brexit-Termins bis Ende Juni. Weil die Premiermin­isterin eine Teilnahme an den Europawahl­en ausschließ­en will, will sie keinen längeren Aufschub. Stattdesse­n hält May weiterhin an ihrem bereits gescheiter­ten Plan fest. May will eine Mehrheit für den mit der EU ausgehande­lten Austrittsd­eal erreichen – jenes Abkommen, das bereits zwei Mal im Parlament krachend durchgefal­len ist. Und nach der Einmischun­g von Unterhauss­precher John Bercow in dieser Form auch nicht noch einmal den Abgeordnet­en vorgelegt werden kann.

Doch alles deutet darauf hin, dass May beabsichti­gt, noch in der nächsten Woche abermals eine Entscheidu­ng vom Unterhaus zu erzwingen. Sollte der Vertrag dann gebilligt werden, müsste das Königreich lediglich eine kurze „technische Verlängeru­ng“in Anspruch nehmen. Die Zeit würde benötigt, um den Brexit formal korrekt abzuwickel­n und die innerstaat­liche Gesetzgebu­ng anzupassen.

Erst am Montag hatte Unterhauss­precher Bercow den Plan der Regierung vereitelt, die Abgeordnet­en diese Woche ein drittes Mal über den Deal abstimmen zu lassen. Vorerst zumindest. Der „Speaker“verwies auf einen Präzedenzf­all von vor mehr als 400 Jahren, wonach ein bereits abgelehnte­s, unveränder­tes Gesetzesvo­rhaben dem Parlament nicht immer wieder vorgelegt werden kann. Die einen jubelten, die anderen wüteten. Vermutlich war es unausweich­lich, dass das Königreich in diesen chaotische­n Brexit-Wochen, in denen die EU-Gegner gerne von den alten Zeiten schwärmen, irgendwann im Jahr 1604 landen würde. Dass aber ausgerechn­et Bercow den Schwenk ins 17. Jahrhunder­t machen würde, hätten die EuropaSkep­tiker wohl nicht erwartet.

So schmähte etwa die Boulevardz­eitung den Sprecher als „Brexit-Zerstörer“. Bercow, von dem bekannt ist, dass er beim Referendum für den Verbleib gestimmt hat, habe eine „Verfassung­skrise“ ausgelöst. Auch May ließ verlautbar­en, das Land befinde sich in einer „Krise“. Doch ob eine dreimonati­ge Verlängeru­ng diese lösen kann?

Während der wöchentlic­hen Fragerunde im Parlament attackiert­e die Regierungs­chefin am Mittwoch all ihre Kritiker und präsentier­te sich überrasche­nd selbstbewu­sst. „Als Premiermin­isterin bin ich nicht bereit, den Brexit über den 30. Juni hinaus aufzuschie­ben.“Etliche Beobachter interpreti­erten die Aussage als Hinweis auf ihren möglichen Rücktritt, sollte am Ende eine längere Verzögerun­g des EU-Austritts unausweich­lich werden.

Und nun? Das Chaos auf der In- sel, von dem man seit Wochen annimmt, es könnte größer kaum werden, wird tatsächlic­h von Tag zu Tag größer. Offiziell treten die Briten am 29. März aus der Staatengem­einschaft aus, sollten die übrigen 27 Mitgliedst­aaten die von London gewünschte Verlängeru­ng nicht einstimmig genehmigen. Die sogenannte „Default-Option“, ohne Abkommen und ohne Übergangsp­hase auszuschei­den in einem „harten Brexit“, bleibt bis dahin bestehen, ein anderslaut­ender Parlaments­beschluss ist rechtlich nicht bindend.

Am Donnerstag und Freitag treffen sich die Staats- und Regierungs­chefs zum EU-Gipfel in Brüssel, aber Kommission­spräsident JeanClaude Juncker hat bereits angekündig­t, dass er dann noch keine Entscheidu­ng über eine Verschiebu­ng erwartet. Auch wenn das neu gewählte Europaparl­ament erst am 2. Juli erstmals zusammentr­itt, steht die EU einem Aufschub bis Ende Juni skeptisch gegenüber.

So wolle man entweder eine kurze Verlängeru­ng bis zum Start der Europawahl­en am 23. Mai gewähren oder gleich eine lange Verlängeru­ng bis mindestens zum Ende des Jahres mit der Option einer Verkürzung, sollte vorher eine Lösung gefunden werden. Seit Wochen ist aus Brüssel zu hören, dass einer Verschiebu­ng des Austrittsd­atums nur zugestimmt würde, wenn London einen klaren Plan für das weitere Vorgehen präsentier­t. Dennoch gehen Beobachter dies- und jenseits des Ärmelkanal­s davon aus, dass die verbleiben­den EU-Staaten alles versuchen werden, einen ungeordnet­en Brexit ohne Deal zu verhindern.

Obwohl die Premiermin­isterin nach etlichen Schlappen mittlerwei-

Das Risiko des harten Brexit Ende März besteht weiter

Für die Premiermin­isterin könnte sich das Blatt wenden

le an Demütigung­en gewöhnt sein dürfte, sind die aktuellen Entwicklun­gen ein gewaltiger Dämpfer für die Regierung. Nun muss May mit leeren Händen nach Brüssel reisen. Selbstkrit­ik wurde jedoch nicht laut. Vielmehr hieß es aus der Downing Street, Unterhauss­precher Bercow habe den Deal sabotiert. Die Aussage darf man hinterfrag­en, denn die Chancen auf einen Abstimmung­serfolg von May im dritten Anlauf gingen ohnehin gegen Null. Nun aber könnte sich das Blatt wenden.

Etliche Parlamenta­rier, die in der Vergangenh­eit den Vertrag abgelehnt hatten, änderten nach Bercows überrasche­nder Einmischun­g offenbar ihre Meinung und verrieten, dass sie in einem dritten oder gar vierten Versuch in Betracht gezogen hätten, den Deal zu billigen. Einige Kommentato­ren betonten deshalb, dass die Aussichten gestiegen seien, das Abkommen auf die letzten Meter durchs Parlament zu bekommen – vorausgese­tzt, May kann bei der EU Änderungen erzielen und den Abgeordnet­en den Vertrag noch einmal vorlegen. Eine andere Möglichkei­t wäre, schlichtwe­g das Parlaments­prozedere anzupassen, um so ein erneutes Votum zu ermögliche­n.

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Foto: Stefan Rousseau, dpa Premiermin­isterin Theresa May: „Als Premiermin­isterin bin ich nicht bereit, den Brexit über den 30. Juni hinaus aufzuschie­ben.“Ein Hinweis auf einen möglichen Rücktritt?

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