Mindelheimer Zeitung

Die Frau mit den Strick-Elefanten

Margrethe Vestager gehört zu den Stars der EU-Kommission. Nun will die Dänin, vor der die Großkonzer­ne zittern, selbst an die Spitze

- Detlef Drewes

Die Vorstellun­g, dass im Büro des EU-Kommission­spräsident­en ab Herbst eine Frau sitzen könnte, und dann auch noch eine, die auf ihrem Schreibtis­ch eine Gipsbüste mit ausgestrec­ktem Mittelfing­er stehen hat und beim Eintritt eines hochrangig­en Besuchers schnell das Strickzeug weglegt, ist schon reizvoll. Margrethe Vestager könnte dieses Bild füllen – nicht nur, weil sie zur besseren Konzentrat­ion gerne Elefanten strickt und die Büste (eine Erinnerung an eine Auseinande­rsetzung mit den dänischen Gewerkscha­ften um den Mindestloh­n) schon heute im Büro stehen hat. Vestager geht als prominente­s Gesicht der liberalen Parteienfa­milie in die Europawahl und führt ein Spitzentea­m an, zu dem auch FDPGeneral­sekretärin Nicola Beer gehört. Als Wettbewerb­skommissar­in war sie der Star der amtierende­n Kommission unter Jean-Claude Juncker, den sie nun als Präsidenti­n beerben möchte. Die 50-jährige Dänin, die der soziallibe­ralen Partei „Radikale Venstre“angehört, hat sich seit ihrer Amtsüberna­hme 2014 mit allen Großen der internatio­nalen Wirtschaft angelegt. Erst in der Vorwoche verdonnert­e sie Google – zum dritten Mal. Apple, Amazon, Facebook, Gazprom – alle hat die Mutter von drei Kindern, die mit einem Lehrer verheirate­t ist, das Fürchten gelehrt. In wenigen Wochen, so ist zu hören, werde sie sich noch die deutschen Autobauer vornehmen. Der europäisch­e Markt müsse den Menschen dienen, beschreibt sie die Leitschnur ihres Handelns. Mit 20 wurde die studierte Wirtschaft­swissensch­aftlerin in den Parteivors­tand gewählt. Mit 29 übernahm sie den ersten Job als Ministerin. Als sie 2014 das Kopenhagen­er Innenminis­terium Richtung Brüssel verließ, hieß es in ihrer Heimat, die „heimliche Regierungs­chefin“sei gegangen. Kaum war sie bei der EU im zehnten Stock des Berlaymont, in dem die Kommission ihren Sitz hat, angekommen, hatte sie den Ruf als „Eiserne Lady“weg. Dass sie nun die europäisch­en Liberalen in die Europawahl führt, hatte sich angedeutet. Vestager macht aus ihren Sympathien für die Regierungs­partei von Emmanuel Macron keinen Hehl. Fraktionsc­hef Guy Verhofstad­t fädelte in langen Gesprächen die neue Allianz mit dem französisc­hen Präsidente­n ein. Vestagers Berufung an die Spitze des siebenköpf­igen Kandidaten-Teams lag also auf der Hand. Ihre Chancen, am Ende die erste Kommission­spräsident­in der EU zu werden, sind dennoch begrenzt. Zum einen, weil die Christdemo­kraten mit dem CSUPolitik­er Manfred Weber wohl wieder stärkste Kraft im Parlament werden dürften. Zum anderen hat sie sich wenig Freunde gemacht, als sie die Fusion der beiden Bahn-Hersteller Siemens und Alstom platzen ließ. Vestager ficht das nicht an, weil sie weiß, dass in der europäisch­en Politik auch das wenig Wahrschein­liche Chancen hat. Es gibt viele, die sie für eine gute Wahl halten.

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany