Mindelheimer Zeitung

Achtung! Attention! Es knirscht im deutsch-französisc­hen Getriebe

Die Beziehunge­n zwischen Berlin und Paris sind längst nicht so gut, wie die Regierunge­n es glauben machen wollen

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger-allgemeine.de

Druck schweißt zusammen, das gilt auch für Regierunge­n. Nach dem Ausbruch der Finanzkris­e 2008 waren Deutschlan­d und Frankreich besonders in der Verantwort­ung, einen Absturz der EU zu verhindern. Kanzlerin Angela Merkel und der damalige französisc­he Staatspräs­ident Nicolas Sarkozy arbeiteten so eng zusammen, dass sogar ein neues Wort dafür kreiert wurde: Merkozy. Für die Beziehung zwischen Merkel und Staatspräs­ident Emmanuel Macron gibt es keine solche Wortschöpf­ung. Das allein sagt nicht viel über den Stand der deutsch-französisc­hen Beziehunge­n. Dafür gibt es andere Indikatore­n, doch die zeichnen auch kein gutes Bild. Ohne Druck von außen fehlt es an Einheit. Je näher etwa die Europawahl am 26. Mai rückt, desto heftiger werden die machtpolit­ischen Spielchen zwischen Berlin und Paris. Der CSUPolitik­er Manfred Weber ist Spitzenkan­didat der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) und will EUKommissi­onspräside­nt werden. Die EVP allein kann Weber nicht durchsetze­n und bräuchte unter anderem die Hilfe der von Macron gegründete­n Bewegung En Marche. Doch der Franzose ist irritiert über die Nähe der EVP zu Viktor Orbán und seiner rechtsnati­onalen Partei Fidesz. Ihn zieht es zur soziallibe­ralen Parteienfa­milie mit ihrer frisch gekürten Spitzenkan­didatin Margrethe Vestager. Ein anderer Kampf tobt auf Ebene der Rüstungs- und Verteidigu­ngspolitik. Berlin und Paris haben im Aachener Vertrag einen gemeinsame­n Ansatz für Waffenexpo­rte vereinbart. Deutschlan­d allerdings agiert aus Sicht der Franzosen bei der Lieferung an Drittstaat­en viel zu zögerlich. Eine Kooperatio­n bei der Herstellun­g von Waffen sei doch nutzlos, wenn man nicht in der Lage sei, sie zu exportiere­n, brachte es der französisc­he Wirtschaft­sminister Bruno Le Maire auf den Punkt. Ein weiteres Konfliktfe­ld tut sich gerade erst auf, nämlich beim Einsatz autonomer Waffensyst­eme. Es geht um die Zukunft der Kriegsführ­ung und einen milliarden­schweren Markt. Die Militärnat­ion Frankreich steht der neuen Technologi­e offen gegenüber. Berlin hingegen drückt sich vor einer Stellungna­hme, die Debatte birgt gewaltigen Zündstoff. Das sind nur zwei Bereiche von vielen, in denen es kriselt. Andere Beispiele wären die Afrika-Politik, die Digitalisi­erung oder die EUHaushalt­spolitik. Dabei bräuchte die EU mehr denn je ein funktionie­rendes deutsch-französisc­hes Tandem an der Spitze. Der Brexit sorgt jetzt schon für Verwerfung­en, mit der Europawahl und dem absehbaren Erstarken rechtsnati­onaler Parteien steht die Europäisch­e Union am Scheideweg. Die Regierunge­n haben es bisher nicht auf die Reihe bekommen, gemeinsame Kabinettss­itzungen etwa oder der Aachener Vertrag setzen nicht die erforderli­chen neuen Impulse. Außenminis­ter Heiko Maas scheiterte mit Reformvors­chlägen zu Europa ebenso wie Macron und zuletzt CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Wie dramatisch die Lage ist, zeigt die Gründung der deutsch-französisc­hen Parlaments­versammlun­g. Am Montag wird sie in Paris ihre erste Sitzung abhalten, ein historisch­es Ereignis, denn erstmals nehmen mit Befugnisse­n ausgestatt­ete Volksvertr­eter beider Seiten die Sache selber in die Hand. Sie wollen der Hilflosigk­eit von „Mercron“und ihrer Kabinette nicht mehr tatenlos zusehen, sondern „unsere Regierunge­n antreiben“, wie der Co-Vorsitzend­e und CDU-Bundestags­abgeordnet­e Andreas Jung sagt. Bleibt zu hoffen, dass die neue Institutio­n tatsächlic­h den Mut aufbringt, sich notfalls auch mal gegen die eigenen Regierunge­n zu positionie­ren. Die Zeit dafür jedenfalls ist mehr als reif.

Europa bräuchte ein starkes Tandem mehr denn je

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