Mindelheimer Zeitung

Vom Alpenstich geplagt

Kurioses Auf der Spur erfundener Krankheite­n

- VON VERONIKA LINTNER

Der Tennis-Arm ist nicht allein Boris Becker ein Begriff. Und wer von der Boxernase spricht, hat ein geplättete­s Riechorgan vor Augen. Aber kennen Sie „Cello-Hoden“? Bei manch einem Cellisten hat die Furcht vor diesem Krankheits­bild vielleicht jahrzehnte­lang den Angstschwe­iß fließen lassen, noch mehr als das Lampenfieb­er vor einem zu selten geprobten Solo. Der Brite John M. Murphy legte in einem Medizinjou­rnal 1974 seinen Fund dar: Ausgelöst von einer ständigen Reizung durch das breite Instrument, das der Spieler zwischen seinen Knien platziert, seien dessen Hoden akut gefährdet. 30 Jahre Angst und Schrecken zogen ins Land. Dann stellte Murphy klar: Alles nur ein Scherz. Er selbst habe ja nicht geglaubt, dass jemand diesen Gag ernst nehmen würde. CelloHoden? So echt wie die Diagnose Männerschn­upfen. Ein Buch der Kinderärzt­in Sophie Seemann nimmt sich nun solcher wundersame­r Krankheite­n an. Einige sind pure Fantasie und Schabernac­k – andere geben bis heute Rätsel auf.

Der „Alpenstich“soll es einzig und allein auf Schweizer Bergbauern abgesehen haben. Eine auffallend exklusive Infektions­erkrankung. Doch alles eine Lüge: Der Eidgenosse Johann Jakob Guggenbühl wollte sich im Wettstreit mit seinen deutschen Arzt-Kollegen einen Platz sichern im Wörterbuch der Medizin und nebenbei seinem Heimatland eine ganz eigene Krankheit widmen. Der „Englische Schweiß“, Frieselfie­ber, chlorotisc­he Mädchen – all diese fantastisc­hen Krankheite­n sind inzwischen dahingesch­ieden. Die medizinisc­he Aufklärung und der wissenscha­ftliche Fortschrit­t haben sie dahingeraf­ft.

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Foto: Adobe Stock

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