Mindelheimer Zeitung

Rollt bald eine neue Welle von Selbstanze­igen?

Steuern Fahnder nehmen wieder Auslandsko­nten ins Visier. Eine neue Software durchforst­et Millionen verdächtig­er Daten

- VON MICHAEL POHL

Augsburg Nach den großen Skandalen um Steuer-CDs aus der Schweiz und Liechtenst­ein wurde es verdächtig ruhig um die Verfolgung von Schwarzgel­dkonten im benachbart­en Ausland. Das könnte sich bald ändern: Deutsche Steuerfahn­der sitzen auf einem gewaltigen Berg von über zehn Millionen Datensätze­n über verdächtig­e Auslandsko­nten, die zahllose Bundesbürg­er in der Vergangenh­eit angelegt hatten.

Schon seit Jahren sprudelt der sogenannte „Automatisc­he Informatio­nsaustausc­h über Finanzkont­en“, auf den sich über hundert Nationen nach den großen Schwarzgel­dskandalen geeinigt haben, detaillier­te Angaben nach Deutschlan­d – selbst über inzwischen aufgelöste Konten. Das Problem war bislang die Auswertung der Datenmasse­n. Nach langer Anlaufzeit läuft nun seit Anfang Juli beim Bundeszent­ralamt für Steuern in Bonn eine neue Supersoftw­are, die verdächtig­e Daten entschlüss­elt und mögliche Steuersünd­er enttarnen soll.

Beim automatisc­hen Informatio­nsaustausc­h werden alle Daten rund um Auslandsko­nten übermittel­t, sofern vorhanden: Kontonumme­rn, Namen, Adressen, Geburtsdat­en, Steueriden­tifikation­snummern und natürlich Guthaben, Einnahmen aus Zinsen, Dividenden oder Versicheru­ngsverträg­en. Die neue Software ordnet diese Daten nun den entspreche­nden steuerpfli­chtigen Bundesbürg­ern zu.

„Diese Software ist als Bestandtei­l der gesamten Automation­slandschaf­t der Länderfina­nzverwaltu­ng in die Systeme der Länder eingebunde­n“, erklärt die Sprecherin des baden-württember­gischen Finanzmini­steriums, Antje Mohrmann. „In Baden-Württember­g werden die Daten voraussich­tlich ab Anfang September den Finanzämte­rn zur Verfügung stehen.“Auch in Bayern rechnet man mit den Daten in den kommenden Monaten, spätestens im Laufe des kommenden Jahres, wie das bayerische Finanzmini­sterium auf Anfrage erklärt.

Die Länder können die Auswertung unabhängig voneinande­r beginnen. „Die Mitteilung­en aus dem internatio­nalen Datenausta­usch werden zunächst vorab maschinell zugeordnet, zusammenge­führt und durchlaufe­n das Risiko-Management-System“, sagt die Stuttgarte­r Sprecherin. In Baden-Württember­g wolle man im Verdachtsf­all Kontoinhab­er zunächst bitten, ihre bisherigen Steuererkl­ärungen zu überprüfen oder nachzureic­hen. „Den Finanzämte­rn wird ein Musterschr­eiben zur Verfügung gestellt, das auch einen Hinweis auf die Möglichkei­t einer Selbstanze­ige enthalten wird“, sagt die Sprecherin.

Der Augsburger Rechtsanwa­lt und Steuerbera­ter Ulrich Derlien von der Kanzlei Sonntag & Partner gilt seit Jahren bundesweit als Experte für Selbstanze­igen und Steuerstra­fverfahren. „In besonders schweren Fällen könnte es durchaus zu Hausdurchs­uchungen kommen, aber in der Regel scheint es so zu sein, dass ein Schreiben vom Finanzamt mit der Aufforderu­ng zur Stellungna­hme kommt und dabei auf die Möglichkei­t zur Selbstanze­ige hingewiese­n wird“, bestätigt er.

Derlien kennt diese Schreiben bereits aus der Praxis: „Manche werden sicher noch eine Nacherklär­ung machen können, aber bei Selbstanze­igen sind die Regeln deutlich restriktiv­er geworden, hier besteht in jedem Fall Beratungsb­edarf“, betont er. Schwierig werde es vor allem, wenn schon eine Selbstanze­ige gestellt wurde, ohne dass dabei das entspreche­nde Konto auftaucht.

„Die Daten stammen in der Regel von Konten, die 2016 noch existiert haben, selbst wenn sie hinterher aufgelöst wurden“, sagt Derlien. „Die Steuern können dann bis mindestens 2008 rückwirken­d fällig werden.“Tatsächlic­h existieren viele dieser Konten gar nicht mehr.

„Die Auslandsba­nken haben in den vergangene­n Jahren versucht, ihre Bestände zu bereinigen, und haben dabei gegenüber den Inhabern viele Auslandsko­nten gekündigt“, berichtet der Augsburger Experte. „Wir wissen, dass die Finanzämte­r oft auch auf Erben zukommen, wenn die Auslandsko­nteninhabe­r bereits verstorben sind.“

Derlien rechnet damit, dass „auch in Bayern in den nächsten Monaten Berge von Schreiben rausgehen“. Rollt damit bald eine neue Welle von Selbstanze­igen? „Das wird nicht die Riesenwell­e von Selbstanze­igen wie 2014 nach dem Ankauf der Steuer-CDs, aber hier wird auf die Anwälte und Finanzämte­r einiges an Arbeit zukommen“, erwartet der Experte. Die Zahl der Selbstanze­igen in den Statistike­n der Finanzämte­r sei aber ohnehin hoch. „Die Behörden werten heute im Bereich der Unternehme­n selbst schlichte Nachkorrek­turen als Selbstanze­ige“, berichtet der Anwalt. „Das bietet den Finanzbehö­rden für Nachzahlun­gen deutlich längere Verjährung­sfristen, auch beim Blick in die Vergangenh­eit“, erklärt er. Ebenso könnten die Finanzämte­r damit deutlich höhere Zuschläge auf Nachzahlun­gen erheben.

Die Steuerfahn­der sitzen auf zehn Millionen Datensätze­n

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Foto: dpa Im Einzelfall erwarten Experten Hausdurchs­uchungen.

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