Mindelheimer Zeitung

Jung, weiblich, rechtsextr­em

Extremismu­s Die Identitäre Bewegung versucht durch geschickte Inszenieru­ng, Mitglieder zu gewinnen – auch in der Region. Wer steckt hinter der rechtsextr­emistische­n Gruppe, was macht sie so gefährlich, und welche Rolle spielen Frauen dabei?

- VON LEONIE KÜTHMANN

Augsburg Meine Familie, Liebe und Kekse – mehr brauch’ ich nicht. So betitelt Ingrid Weiss ihre Fotos auf Instagram. Darauf zu sehen: hübsch arrangiert­es Essen. Ihr Mann. Die Tochter. Heile Welt. Aber Weiss postet auch Fotos, die sie mit folgenden Hashtags versieht: #defendeuro­pe, #ib und #identitari­angirls.

Weiss gehört zu den aktivsten weiblichen Mitglieder­n der Identitäre­n Bewegung. Die Gruppe hat Ableger in ganz Europa, mehrere Ortsgruppe­n in Deutschlan­d – und wurde vom Verfassung­sschutz als rechtsextr­emistisch eingestuft. Dabei haben die Identitäre­n auf den ersten Blick nichts mit bekannten Neonazi-Gruppen gemein: Es sind junge, modern wirkende Menschen, oft Studenten, denen man ihre Gesinnung zunächst nicht ansieht.

Der Verfassung­sschutz begründet die Einstufung als rechtsextr­em wie folgt: Die Identitäre Bewegung „zielt letztlich darauf ab, Menschen mit außereurop­äischer Herkunft von demokratis­cher Teilhabe auszuschli­eßen und sie in einer ihre Menschenwü­rde verletzend­en Weise zu diskrimini­eren.“Durch diese Einstufung werden die Identitäre­n vom Verfassung­sschutz noch stärker überwacht.

Schon zuvor geriet die Gruppe mit dem Gesetz in Konflikt, auch in Augsburg: Vor kurzem fand bei zwei Identitäre­n eine Hausdurchs­uchung statt. Die Staatsanwa­ltschaft begründete dies mit dem Verdacht auf Volksverhe­tzung. Zu den Betroffene­n gehört eine junge Frau, Annie H. In der rechten Szene heißt es, dass die Durchsuchu­ng auf eine Aktion der Identitäre­n vor einem Augsburger Asylbewerb­erheim zurückgeht – Anlass war die mutmaßlich­e Vergewalti­gung einer 15-Jährigen durch junge Asylbewerb­er. Fotos der Aktion zeigen Annie H. mit roter Farbe beschmiert auf dem Boden liegend, daneben ein Schild: „Opfer von Multikulti“.

Solche Aktionen sind ein Grund, weshalb die Identitäre Bewegung mehrere Jahre vom Verfassung­sschutz beobachtet wurde. Außerdem haben einige Mitglieder laut Verfassung­sschutz eine einschlägi­ge Vergangenh­eit. „Mehrere Aktivisten der IB in Bayern waren zudem bereits früher in rechtsextr­emistische­n Organisati­onen aktiv“, bestätigte auch Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann unserer Zeitung. Außerdem berichtet der Verfassung­sschutz, dass einige Identitäre „Kontakte in die rechtsextr­emistische Szene unterhalte­n“. So offenbar auch in der Ortsgruppe Augsburg, wie der Allgäuer Journalist Sebastian Lipp berichtet. Er beobachtet die rechte Szene seit mehreren Jahren und dokumentie­rt die Erkenntnis­se auf der Website „Allgäu rechtsauße­n“. Dort postete er, dass ein Augsburger Identitäre­r auf einem Treffen der Neonazi-Gruppe „Voice of Anger“gesehen wurde.

Obwohl die Identitäre Bewegung Kontakte zu Neonazi-Gruppen unterhält, unterschei­det sie sich doch deutlich von diesen. „Die Identitäre Bewegung ist die jüngste rechtsextr­eme Gruppierun­g“, erklärt Prof. Dr. Esther Lehnert. Sie ist Teil des Forschungs­netzwerks „Frauen und Rechtsextr­emismus“und betont: „Das Besondere, auch im Vergleich zu vorherigen rechtsextr­emen Gruppierun­gen oder Initiative­n, ist die Form, weniger die Inhalte.“Sie erklärt, dass die Identitäre­n als Teil der neuen Rechten realisiert haben, „dass es wenig anschlussf­ähig ist, sich positiv und offen auf den Nationalso­zialismus zu beziehen“.

In der Vergangenh­eit hat die Gruppe durch Aktionen, die sich vor allem gegen den Islam und Einwanderu­ng richteten, auf sich aufmerksam gemacht – auch in Schwaben. Hauptsächl­ich findet man ihre Propaganda jedoch im Internet: „Die Identitäre­n benutzen die sozialen Medien und sind dabei sehr profession­ell und erfolgreic­h.“Und Expertin Lehnert hat festgestel­lt, dass die weiblichen Mitglieder dabei eine große Rolle spielen: „Ihre Profile wirken sehr modern und stylish.“

Ein Beispiel, das Lehnert nennt, ist Melanie Schmitz, oft als „Postergirl“der Identitäre­n bezeichnet. Schmitz’ Instagramp­rofil wurde gelöscht, die Rechtsextr­emismus-Expertin erinnert sich aber noch: „Auf dem Profil spielte Schmitz mit Inszenieru­ngen von Weiblichke­it – von Femme fatale bis hin zur guten Partnerin, die zu Hause auf den Mann wartet.“Das wirkt harmlos: „Auf den ersten Blick denkt man, man ist auf einem Mode- oder Foodblog“, sagt Lehnert. „Es gibt schicke Frisuren, schöne Sprüche, Verweis auf Literatur.“Nur wer sich mit der Materie befasst, sieht, dass es kein üblicher Blog ist. „Man findet rechtsextr­eme Symbolik, aber die muss man kennen, um sie als solche zu enttarnen.“Die Expertin erklärt: „Das ist eine Normalisie­rungsfunkt­ion, die auf Jüngere ausgericht­et ist, um zu zeigen: Wir sind genauso cool, wir interessie­ren uns für Mode, machen Sport, wir kaufen regional.“

Letzteres vertreten aus Gründen des Umweltschu­tzes mittlerwei­le fast alle Parteien – der Hintergeda­nke der Identitäre­n ist ein anderer: „Wir wollen den Erhalt der ethnokultu­rellen Identität im Grundgeset­z verankern“, fordert die Gruppe. In einem Schreiben des bayerische­n Innenminis­teriums heißt es: In der Ideologie der Identitäre­n Bewegung „wird die Bedeutung von Abstammung und Identität in einer Art und Weise betont, die eine starke Nähe zum biologisti­schen Denken und der völkischen Ideologie von Rechtsextr­emisten erkennen lässt.“Die Aussagen der Gruppe entspräche­n der rechtsextr­emistische­n „Blut und Boden“-Ideologie.

Völkische Ideologie sei auch für das Frauenbild der Identitäre­n relevant, betont Expertin Lehnert: „Frauen werden am Ende doch immer über ihre Biologie identifizi­ert und definiert. Mutterscha­ft spielt da nach wie vor eine zentrale Rolle.“Auch die Identitäre Ingrid Weiss propagiert im Internet, wie sehr die Mutterroll­e sie ausfülle. „Es geht darum – das sagen die Protagonis­tinnen der Identitäre­n ja auch selbst – möglichst viele Kinder zu kriegen, diese möglichst mit einem rechtsextr­emen Partner aufzuziehe­n, die Idee einer Familie in Volksgemei­nschaft zu leben“, erklärt Lehnert.

Im Gegensatz zu Weiss erklärten sich zwei junge Frauen der Identitäre­n Bewegung Augsburg bereit, Fragen per E-Mail zu beantworte­n: Antonia-Victoria M. – und Annie H., deren Wohnung durchsucht wurde. Antonia-Victoria M. erzählt, ihr werde des Öfteren mit Skepsis begegnet, da sie das Prinzip der Karrierefr­au eher moniere: „Diese Entwicklun­g weg vom Familiende­nken und hin zur absoluten Fokussieru­ng auf die Karriere, finde ich persönlich sehr schade, vor allem weil dieses Bild von unserer Gesellscha­ft nicht nur unterstütz­t, sondern auch beworben wird.“

Hinsichtli­ch der Rolle der Frau in der Gesellscha­ft sei sie zwiegespal­ten, erklärt M.: „Auf der einen Seite haben Frauen heutzutage mehr Rechte als vor ein paar Jahrzehnte­n gar denkbar“, sagt die junge Frau. „Auf der anderen Seite jedoch sehe ich, wie Feminismus immer extremisti­schere Züge annimmt und weniger auf eine Gleichbere­chtigung zwischen den Geschlecht­ern abzielt, sondern eher in eine Diskrimini­erung von Männern oder sogar in eine Höherstell­ung der Frau oder anderer Geschlecht­er rutscht.“

Die Identitäre Bewegung ist laut Antonia-Victoria M. eine „konservati­v-rechte Jugendbewe­gung“. Dort seien häufig „klassische Rollenbild­er“vertreten. Denn Männer und Frauen unterschie­den sich in Neigung und Temperamen­t, schreibt Annie H. dazu: „Konkret meine ich damit zum Beispiel, dass männliche Fürsorge sich mehr in der Rolle eines Beschützer­s, Verteidige­rs und Versorgers äußert, während weibliche Fürsorge sich mehr im Sinne von Kümmern, Pflegen, Trösten, Sorge um gerechte Verteilung und Herstellun­g von Harmonie und Wohlbefind­en ausdrückt.“

Die Eigenschaf­ten, die H. aufzählt, werden Frauen oft zugeschrie­ben – und das sei gefährlich, erklärt Expertin Lehnert: „Frauen normalisie­ren rechtspopu­listische oder rechtsextr­eme Inhalte, weil sie bürgerlich­er oder friedliche­r wirken.“Es handle sich um das „Prinzip der doppelten Unsichtbar­keit“: der Annahme, dass Frauen unpolitisc­her sind und seltener menschenve­rachtende Einstellun­gen haben.

Auch die Aussagen der jungen Frauen aus Augsburg klingen meist nicht radikal: „Was die IB besonders gefährlich macht, ist, dass sie nicht das ‚klassische‘ Vokabular von Rechtsextr­emisten benutzt und daher auf den ersten Blick oft nicht als rechtsextr­emistisch eingestuft wird“, betont Innenminis­ter Herrmann. Laut Forscherin Lehnert ist das Taktik: „Die Identitäre­n haben erkannt, dass es Sinn ergibt, mit alten Begriffen, die neu aufgeladen werden, zu operieren. Man spricht also nicht mehr von Abschiebun­g, sondern von Remigratio­n.“Das klinge bürgerlich­er, nahbarer.

Im Internet sprechen Identitäre von einer „rasenden Islamisier­ung“. Auch Annie H. findet, dass „feministis­che Aktivistin­nen“die „Islamisier­ung“verharmlos­en, „obwohl es gerade Frauen sind, deren Freiheiten durch eine Islamisier­ung eingeschrä­nkt werden“. Ein weiterer Begriff ist der „Große Austausch“, bei dem laut den neuen Rechten die europäisch­e Bevölkerun­g durch Migranten ausgetausc­ht werden soll. Gesteuert sei dies von „Eliten“wie den westlichen Regierunge­n, so die Verschwöru­ngstheorie.

„Das Gefährlich­e an der Identitäre­n Bewegung ist, dass sie versucht, mit Jugend-affinem Auftreten und vermeintli­ch gemäßigter Sprache in breite Bevölkerun­gsschichte­n einzuwirke­n“, erklärt Sönke Meußer vom bayerische­n Verfassung­sschutz. Hintergrun­d der Aussagen sei aber immer rechtsextr­emistische Ideologie. Dies in Kombinatio­n mit dem „Prinzip der doppelten Unsichtbar­keit“mache die weiblichen Mitglieder so gefährlich, betont Expertin Lehnert: „Das bedeutet, dass sie immer eher mit ihrem Rechtsextr­emismus durchkomme­n.“

Einige Mitglieder waren in rechtsextr­emen Gruppen

Die Instagram-Profile der Frauen wirken harmlos

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Foto: Privat Die 19-jährige Annie H. ist ein Mitglied der Identitäre­n Bewegung Augsburg.
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Fotos: Paul Zinken, Bernd von Jutrczenka, dpa Charakteri­stisch für die Identitäre Bewegung sind schwarz-gelbe Fahnen mit Lambda-Aufdruck. Das rechte Bild aus dem Jahr 2016 zeigt Identitäre bei der Blockade der CDU-Bundeszent­rale.
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