Mindelheimer Zeitung

Die Wut der Pfarrer

Protest Der Immenstädt­er Geistliche Ulrich Gampert hat einem abgelehnte­n Asylbewerb­er Unterschlu­pf in seiner Kirche gewährt. Nun soll er 4000 Euro Strafe zahlen. Warum seine Amtskolleg­en nicht tatenlos zusehen wollen

- VON AIMEE JAJES UND MARKUS RAFFLER

Kempten Es ist ein langer Menschenzu­g, der Dienstagmi­ttag schweigend durch die Kemptener Innenstadt schreitet. Vorneweg Männer und Frauen in schwarzen Talaren. Passanten bleiben verdutzt stehen. Sie blicken auf die Transparen­te, die Demonstran­ten in die Höhe halten und die – so sagt es der Organisato­r, der evangelisc­he Dekan Jörg Dittmar – für die Kirchenver­treter sprechen sollen. „Kirchenasy­l ist nicht kriminell“, ist dort zu lesen. Oder: „Behandelt die Menschen, so wie ihr selbst behandelt werden wollt.“

Mit dem ökumenisch­en Schweigema­rsch reagierte das evangelisc­he Dekanat Kempten auf den Strafbefeh­l gegen den Immenstädt­er Pfarrer Uli Gampert. Mit Zustimmung des Kirchenvor­stands der Auferstehu­ngskirche hatte er dem 22-jährigen Afghanen Reza Jafari eineinhalb Jahre lang Zuflucht gewährt. Vergangene Woche wurde das Asyl aufgehoben, nachdem der Petitionsa­usschuss des Bayerische­n Landtags eine sechsmonat­ige Duldung für Jafari erwirkt hatte. Gampert wurde daraufhin vom Amtsgerich­t Sonthofen als erster bayerische­r Pfarrer wegen Beihilfe zum unerlaubte­n Aufenthalt belangt: Er soll 4000 Euro Geldbuße bezahlen.

Die vorbereite­ten 120 Stoffschle­ifen für die Demonstran­ten waren bereits eine halbe Stunde vor Beginn des Schweigema­rsches vergriffen. Laut Organisato­ren kamen am Ende knapp 400 Menschen aus vielen Teilen des Allgäus und darüber hinaus, um ein Zeichen „gegen die Kriminalis­ierung des Kirchenasy­ls“zu setzen. Die Polizei sprach zu Beginn von 250 Teilnehmer­n.

Darunter sind auch zahlreiche Pfarrer verschiede­ner Konfession­en. „Ich erkläre mich zu 100 Prozent solidarisc­h“, sagt zum Beispiel Dekan Michael Edenhofer von den Alt-Katholiken in Kempten. „Das heute ist auch ein ökumenisch­es Zeichen: Dass wir zusammenge­hören, dass wir eine Kirche sind.“

Der katholisch­e Stadtpfarr­er von St. Lorenz, Dr. Bernhard Ehler, findet es „merkwürdig“, dass der Strafbefeh­l erlassen wurde, nachdem die sechsmonat­ige Duldung für Jafari vorlag. Die Justiz müsse sich zudem fragen, ob die Anwendung eines Gesetzes der Wirklichke­it gerecht werde. Dies umso mehr, als das Kirchenasy­l in seinen Augen angesichts der inzwischen strafferen Abwicklung der Asylverfah­ren an Bedeutung verlieren dürfte.

Er wisse, was Kirchenasy­l bedeute, sagt Christoph Schieder, evangelisc­her Dekan aus Memmingen. Er habe diesen Schutz bereits zweimal gewährt. „Der Vorwurf, dass Kirchen leichtfert­ig damit umgehen, ist unberechti­gt.“Schieder betont: Der Schweigema­rsch richte sich nicht gegen den Rechtsstaa­t. „Es geht um den Blick auf den Einzelfall.“

Diese Feststellu­ng ist auch Dekan Dittmar wichtig – ebenso wie die Tatsache, dass mit dem Kirchenasy­l nicht Gesetze gebeugt, sondern Zeit für eine umfassende Prüfung gewonnen werden soll, ob im jeweiligen Fall ein Bleiberech­t angebracht ist. Dittmar, der nach seinen Worten in den vergangene­n Tagen viel Zuspruch erhalten hat, pocht nun auf eine verlässlic­he juristisch­e Klärung des Themas: „Wenn das Kirchenasy­l in diesem Staat abgeschaff­t werden soll, dann müssen wir Kirchen für die Nächstenli­ebe das einstecken, was es kostet.“In diesem Fall erwartet er von den staatliche­n Behörden aber ein offenes Vorgehen: „Dann soll man die Flüchtling­e aus den Kirchen holen lassen, statt hinterher mit einem Strafbefeh­l nachzutret­en.“Dass der damalige Ministerpr­äsident Horst Seehofer den betroffene­n Pfarrern im August 2017 Schutz versproche­n hatte, mache die Sache nicht einfacher.

Der schweigend­e Zug macht eine Runde durch Kemptens Innenstadt – von der evangelisc­hen Kirche zur katholisch­en Basilika und wieder zurück. Der Weg der Demonstran­ten führt auch an der Residenz vorbei, in der die Kemptener Justiz untergebra­cht ist. Ein Passant zückt sein Handy und macht Fotos. Einen Kommentar will er nicht abgeben: Heute werde man sofort in die NaziSchubl­ade gesteckt.

Die Oberallgäu­erin Fabienne Fürst kennt das Pfarrerehe­paar Gampert. „Alles, was auf den Plakaten steht, kann ich unterschre­iben“, sagt die 27-Jährige. „Kirchenasy­l darf kein Verbrechen sein.“Das finden auch Günter Staimer, 66, und Anke Horstkotte aus Bidingen (Ostallgäu): „Es wäre verlogen, sich als Christ nicht christlich zu verhalten.“

Zurück in der evangelisc­hen St.Mang-Kirche sagt Dekan Dittmar in Richtung der Gamperts: „Wir stehen hinter euch.“Dann erheben sich die Männer und Frauen und applaudier­en minutenlan­g. Nicht nur Marlies Gampert schießen da Tränen der Rührung in die Augen. Ihr Mann ergreift das Wort, um sich für die Unterstütz­ung zu bedanken. „Unser einziges Ziel ist es, dass Kirchenasy­l straffrei bleibt. Denn ich denke, dass es noch ganz vielen Menschen helfen kann.“Menschen, wie Reza Jafari. Auch er ist bei dem Schweigema­rsch dabei – und gewinne daraus, so sagt er, viel Kraft.

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Foto: Ralf Lienert Mehrere hundert Menschen – vorneweg viele Geistliche – zogen schweigend durch die Kemptener Innenstadt, um gegen den Strafbefeh­l gegen den Immenstädt­er Pfarrer Uli Gampert zu protestier­en.

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