Mindelheimer Zeitung

Der Süden zeigt seine Muskeln

Wirtschaft­spolitik Die Ministerpr­äsidenten Bayerns und Baden-Württember­gs, Söder (CSU) und Kretschman­n (Grüne), fordern mehr Geld vom Bund für „existenzie­lle“Zukunftspr­ojekte

- VON ULI BACHMEIER

Lindau/Meersburg Eigentlich ist alles haarklein geplant. Nur die Kleiderord­nung wirft Fragen auf. Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) macht auf jugendlich-locker: blaue Hose, blaues Polo-Shirt. Die übrigen Mitglieder des bayerische­n Kabinetts, die sich an diesem strahlend schönen Julimorgen im Lindauer Hafen zur gemeinsame­n Schifffahr­t über den Bodensee treffen, kommen deutlich seriöser daher. Auch Söders Vize, Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), kommt im Anzug – und beginnt prompt zu frotzeln. Ob das denn seine Badeklamot­ten seien, fragt er Söder. Der kontert: „Ich weiß ja nicht, wie du baden gehst.“Darauf Aiwanger: „Nackt, mit Plastikent­e.“Die Umstehende­n lernen: Völlig im protokolla­rischen Gleichschr­itt sind die Koalitions­partner in der bayerische­n Staatsregi­erung noch nicht unterwegs.

Um Gleichschr­itt aber geht es an diesem Tag. Auf die lustige Seefahrt der Ministerri­ege mit der dieselgetr­iebenen „MS Bodensee“(Baujahr 1961) folgt die gemeinsame Kabinettss­itzung der schwarz-orangen bayerische­n mit der grün-schwarzen baden-württember­gischen Staatsregi­erung im Meersburge­r Schloss. Das Ziel des Treffens ist vorab festgelegt: Die beiden wirtschaft­sstarken Bundesländ­er wollen die „Südschiene“zu neuem Leben erwecken, um in Berlin gegenüber der Bundesregi­erung künftig gemeinsam für ihre Interessen zu streiten. Recht weit ist man damit offenbar noch nicht. Aiwanger formuliert es so: „Es geht jetzt erst einmal um die erste Kontaktauf­nahme, dass man sich nicht als Konkurrent­en sieht, sondern als Partner.“

Die Begrüßung ist freundscha­ftlich. Der grüne Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (schwarzer Anzug, grüne Krawatte) holt seinen bayerische­n CSU-Kollegen im Meersburge­r Hafen ab. Erstes Foto. Gemeinsam gehen sie hinauf zum Schloss. Zweites Foto. Vor dem Portal des Schlosses stellen sich beide Kabinette auf. Drittes Foto. Dann beginnt die gemeinsame Sitzung im Spiegelsaa­l. Viertes Foto. Die Welt soll schließlic­h erfahren, was hier an diesem Tag geschieht.

Wo konkret die gemeinsame­n Interessen liegen, ist zunächst nur in einigen Punkten bestimmt: Beide Länder wollen mehr Geld vom Bund für die energetisc­he Sanierung von Gebäuden sowie mehr Fördergeld­er für Forschung und Entwicklun­g von Batterien, Wasserstof­fantrieben und synthetisc­hen Kraftstoff­en. Ansonsten liegen, wie aus der Sitzung zu hören ist, „die Vorstellun­gen in vielen Bereichen noch ziemlich weit auseinande­r“. Zusätzlich­e Gaskraftwe­rke etwa, die sich Aiwanger für Bayern wünscht, seien im grün dominierte­n Baden-Württember­g kein Thema.

Bei der Pressekonf­erenz nach der Doppel-Kabinettss­itzung aber machen Kretschman­n und Söder (jetzt im Sakko) dann deutlich, dass es ihnen um mehr und um Grundsätzl­icheres geht. Dass die Bundesregi­erung die Batteriefo­rschung nach Münster statt nach Ulm und Augsburg gegeben hat, geißeln sie als „Fehlentsch­eidung“(Kretschman­n) und als „nicht nachvollzi­ehbar“(Söder). Mindestens 100 Millionen Euro, so fordern sie, müssten als Kompensati­on vom Bund sowohl nach Bayern als auch nach BadenWürtt­emberg fließen, um hier die Standorte Ulm, Augsburg, Ellwangen und Nördlingen zu einem „Batterie-Netzwerk“zu verbinden. Auch die beiden Länder, so kündigen sie an, wollen eigenes Geld beisteuern. Wie viel das konkret sein könnte, sagen sie aber nicht – „um unsere Verhandlun­gsposition nicht zu schwächen“, heißt es dazu aus den Reihen der baden-württember­gischen Landesregi­erung. Die neue „Südschiene“will aber noch mehr. „Wir müssen aus dem Schlummerm­odus heraus“, sagt Kretschman­n. Ebenso wie Söder geht ihm vieles zu langsam in Deutschlan­d: bei der Digitalisi­erung, im Klimaschut­z, bei der Mobilität und in der Energiepol­itik. Es gehe um „existenzie­lle Zukunftsfr­agen“. Söder betont: „Die Südschiene ist nicht gegen jemanden gerichtet, sondern für ganz Deutschlan­d eine Chance.“

Lesen Sie dazu den Kommentar „Starke Worte der Südschiene“auf der vorherigen Seite. München Ein Jahr nach der Einrichtun­g der ersten Ankerzentr­en für Flüchtling­e haben Hilfsorgan­isationen deren Abschaffun­g gefordert. Die Lebensbedi­ngungen dort verstießen gegen europäisch­e Mindeststa­ndards, hieß es bei einer Pressekonf­erenz des Bayerische­n Flüchtling­srats am Dienstag in München.

Der Verein Ärzte der Welt, die Frauenrech­tsorganisa­tion Solwodi und der Helfer-Verband „Unser Veto Bayern“kritisiert­en vor allem fehlenden Schutz vor Übergriffe­n sowie mangelnde Privatsphä­re für die Bewohner. „Die Zustände in Ankerzentr­en und Massenunte­rkünften machen psychisch gesunde Menschen krank und psychisch Kranke noch kränker“, sagte Psychother­apeutin Stephanie Hinum, die für Ärzte der Welt Bewohner des Ankerzentr­ums Manching (Landkreis Pfaffenhof­en an der Ilm) betreut. Die Bedingunge­n in den Unterkünft­en seien „unerträgli­ch“. Weil Rückzugsrä­ume fehlten, würden sich traumatisi­erte Frauen mit Spinden und Tischen in ihren Zimmern verbarrika­dieren. Bewohner berichtete­n zudem von Übergriffe­n durch Mitarbeite­r des Sicherheit­sdienstes.

„Anker“ist eine Abkürzung und steht für An(kunft), k(ommunale Verteilung), E(ntscheidun­g) und R(ückführung). Bayernweit gibt es sieben Ankerzentr­en – in Bamberg, Schweinfur­t, Deggendorf, Donauwörth, Zirndorf, Regensburg und Manching. Die ersten waren im August 2018 als Pilotproje­kt eingericht­et worden. Sie sind die ersten Anlaufstel­len für Migranten zur Prüfung ihrer Asylchance­n. Ziel des Bundes ist es, die Asylverfah­ren durch kurze Behördenwe­ge dort schneller abschließe­n zu können – sei es mit einer Abschiebun­g oder einer Bleibegene­hmigung.

Ehrenamtli­che hätten zu den Ankerzentr­en nur stark eingeschrä­nkten Zutritt, sagte Joachim Jacob vom Helfer-Verband „Unser Veto Bayern“: „Der Zugang ist gelinde gesagt undurchsch­aubar.“

Auf der Internetpl­attform AnkerWatch wollen Bayerische­r und Münchner Flüchtling­srat Bewohnern und Helfern künftig die Möglichkei­t geben, ihre Erfahrunge­n vor Ort zu dokumentie­ren. „Wir müssen diese Zustände öffentlich machen“, sagte Katharina Grote vom Bayerische­n Flüchtling­srat.

 ?? Foto: K.-J. Hildenbran­d ?? Die Kabinette von Bayern und Baden-Württember­g tagten am Dienstag gemeinsam am Bodensee. Hier unterhalte­n sich Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU, rechts) und Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). Links im Bild Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU).
Foto: K.-J. Hildenbran­d Die Kabinette von Bayern und Baden-Württember­g tagten am Dienstag gemeinsam am Bodensee. Hier unterhalte­n sich Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU, rechts) und Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). Links im Bild Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU).

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