Meisterin höherer Heiterkeit
Nachruf Die Georg-Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer starb 78-jährig in Hamburg
Hamburg Vor harschen Worten von Literaturkritikern musste sich Brigitte Kronauer nicht fürchten. Marcel Reich-Ranicki nannte sie einst gar „die beste Prosa schreibende Frau der Republik“. Und Rezensenten lobten oft den Blick der Schriftstellerin für kleinsten Dinge und Regungen beim Schreiben über große Themen. Aber sie selbst blieb bescheiden. Geschichten seien „Bestandteil meiner Existenz“, sagte die Wahl-Hamburgerin dazu.
Auf jeden Fall galt Brigitte Kronauer als eine der wichtigsten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen. Nun ist die preisgekrönte Autorin 78-jährig in Hamburg gestorben. Für sie war Schreiben von Kindesbeinen an eine Leidenschaft, die sie nicht losließ. Angefangen hatte alles mit ein paar Fingerübungen. Weil ihrem Vater ihre Schrift zu unleserlich war, musste das in Essen geborene Mädchen Schönschreibübungen machen. „Ich konnte meinen Vater überreden, eigene Geschichten schreiben zu dürfen, statt Texte abschreiben zu müssen. So fing das an“, erklärte Kronauer 2010. Bereits als 16-Jährige schrieb sie Hörspiele und schickte Geschichten an Verlage. Sie sei von jeher fasziniert davon gewesen, wie man mit Sprache umgehen könne. So wurde Kronauer mit Romanen wie „Frau Mühlenbeck im Gehäus“(1980) bis „Gewäsch und Gewimmel“(2013), mit Erzählungen und Essays ein Profi dieser Kunst.
„Ich wollte das schreiben, was meine Wahrnehmung von Menschen, von Gesellschaft und von Landschaft ist“, sprach die Literatin, die Germanistik studierte, um zunächst als Lehrerin wirtschaftlich unabhängig zu sein. Ihr Generalthema wurde die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft. „Der Einzelne steht immer in Kontrast zu dem, was durch die kollektive Interpretation vom Leben behauptet wird“, sagte sie, „dagegen versuche ich in meiner Arbeit etablierte Zusammenhänge zu zerstören.“Die heute oft vernachlässigte, persönlich entwickelte Form sei ihr so wichtig wie der Inhalt.
Mit fortschreitendem Alter dann beschäftigte sich Kronauer vermehrt mit der Zerbrechlichkeit aller Menschen und Dinge. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung würdigte sie als eine „Meisterin des Vexierspiels, der höheren Heiterkeit und des musikalischen Schreibens“, als sie ihr 2005 den Georg-Büchner-Preis verlieh, die renommierteste deutsche Literaturauszeichnung. Dazu kamen der Thomas-Mann-Preis, der FontanePreis der Stadt Berlin, der HeinrichBöll-Preis, der Hubert-Fichte-Preis der Stadt Hamburg, der JosephBreitbach-Preis, der Jean-PaulPreis – die Liste ihrer Auszeichnungen ist lang. Und es hätten sogar noch mehr Preise sein können. „Ich habe auch Preise abgelehnt“, sagte sie 2010. „Nicht etwa, weil ich das Geld nicht gebraucht hätte. Sondern weil ich der Meinung war, dass andere die Auszeichnung mehr verdient
hätten oder besser gebrauchen könnten.“Das habe sie später nicht mehr gemacht, „um niemanden zu brüskieren“.
Nicht nur den Traum des Schreibens hat Kronauer für sich wahrgemacht. Sie wollte auch immer gern in Hamburg leben und schreiben. „In einer Stadt am Strom mit weißen Villen und Segelbooten, das erschien mir paradiesisch.“Im Liebesroman „Teufelsbrück“(2000) hat Kronauer ihre hanseatische Umgebung sowie das auf der anderen Elbseite liegende Alte Land dann einer poetisch-skurrilen Analyse unterzogen. Zu dieser Zeit hatte sie sich den Wunsch einer neuen Heimat im Norden längst erfüllt. Mehr als 40 Jahre lang war deshalb die Dachstube in einem Backsteinhaus in einem Hamburger Elbvorort der Ort, in dem ihre Geschichten und ihre Gedanken zu Romanen und Erzählungen wurden.
Nur hier könne sie eine „magische Stimmung“aufrechterhalten und an die Welt glauben, die sie selber errichtet, sagte sie 2005. In ihrem posthum am 9. August erscheinenden Buch „Das Schöne, Schäbige, Schwankende“lässt Kronauer eine Autorin den Abgründen der Schriftstellerei auf den Grund gehen. Christiane Bosch, dpa