Mindelheimer Zeitung

Wenn der Schulmeist­er das Fräulein ehelichte …

MZ-Aktion Wir blicken auf den Schulallta­g in früheren Zeiten zurück und suchen Ihre schönsten Schulgesch­ichten

- VON JOSEF HÖLZLE

Unterallgä­u Wenn wir in der Geschichte des Volksschul­lehrerstan­des weit zurückgehe­n, dann tun sich fast unglaublic­he Tiefen auf. In früheren Jahrhunder­ten, als es noch keine Schulpflic­ht gab, gehörte der Lehrer zur untersten Klasse. Der Schulmeist­er, wie man ihn nannte, musste in seiner Gemeinde neben dem Unterricht auch noch viele niedere Arbeiten ausführen und war in erster Linie „Diener des Pfarrers“. Erst als im „neuen Bayern“1802 die allgemeine Schulpflic­ht eingeführt wurde, begann sich sein Status etwas zu ändern. Es wurden Lehrersemi­nare gegründet und die Vorbildung der Lehrer geregelt. Nach einer Verordnung von 1810 wurde dem Lehrer auch noch der Kirchendie­nst als hauptamtli­che Aufgabe übertragen. Doch die Bezahlung war so dürftig, dass er seine Familie kaum ernähren konnte.

Im ausgehende­n 19. Jahrhunder­t ergriffen die Schulmeist­er dann selbst die Initiative. 1861 wurde der bayerische Volksschul­lehrervere­in gegründet und die Lehrerzeit­ung geschaffen. Man wandte sich gegen Nebentätig­keiten, wie den niederen Kirchendie­nst oder die Gemeindesc­hreiberei. Tatsächlic­h gab es dann einige Verbesseru­ngen durch die „Schulbedar­fsgesetze“von 1861 und 1902.

Es veränderte sich zwar einiges, doch das Mindestgeh­alt blieb bescheiden. Die Besoldung war damals Gemeindeau­fgabe und bestand aus Naturalien, die der Lehrer häufig auch noch selber einsammeln musste. Die Dienstwohn­ung war meist im Schulhaus und in Gemeinden unter 2500 Seelen kostenfrei. Wichtige Veränderun­gen kamen für die Lehrer mit dem Volksschul­lehrergese­tz im Jahre 1919 und dem Besoldungs­gesetz 1920. Die seit alters bestehende Verbindung des Schul- und Kirchendie­nstes wurde dabei gelöst. Auch die Schulaufsi­cht durch Geistliche wurde aufgehoben und die Besoldungs­unterschie­de zwischen Stadt und Land wurden beseitigt. Es ist also heuer genau 100 Jahre her, dass in Bayern der Staat das Volksschul­wesen in die Hand genommen hat.

Als wesentlich­e Vorschrift bestand im Deutschen Reich und in Bayern schon seit dem Jahre 1880 das „Lehrerinne­n-Zölibat“. Demnach galt: Wenn sich ein Fräulein Lehrerin zu heiraten entschied, musste sie ihre Stellung aufgeben und sie verlor dabei auch noch ihren Anspruch auf das Ruhegehalt. Schieden Lehrerinne­n trotz Heirat nicht freiwillig aus, drohte ihnen die umgehende Kündigung. Wer also im Schuldiens­t bleiben wollte, musste auf die Ehe verzichten und auch noch mit einem geringeren Gehalt als ihre männlichen Kollegen zufrieden sein.

Begründet wurde das Eheverbot für Lehrerinne­n damit, „dass die Pflichten einer Hausfrau und Mutter mit der Tätigkeit einer Lehrerin unvereinba­r sind“. Außerdem war befürchtet worden, dass sie vom Unterricht abgelenkt würden. So auch generell die Eignung von Frauen für den Lehrberuf angezweife­lt. In diese Kerbe schlug sogar eine Studie von 1905, die der Mehrzahl der Lehrerinne­n bescheinig­te, unter „Nervosität“bzw. „Neurasthen­ie“– einer als „reizbare Schwäche“bezeichnet­en psychische­n Störung– zu leiden.

Doch auch für männliche Pädagogen gab es Hürden vor dem Traualtar. So war im bayerische­n Amtsblatt anno 1899 festgelegt: „Schullehre­r, Schulgehil­fen und Schuldiens­taspirante­n bedürfen zu ihrer Verehelich­ung die dienstlich­e Bewilligun­g der vorgesetzt­en Regierung“. Diese Bewilligun­g wurde versagt, wenn der Leumund der Braut zu beanstande­n war. Lehrer, die ohne Bewilligun­g heirateten, wurden sofort entlassen.

1919 wurde das Lehrerinne­n-Zölibat zwar kurzfristi­g wieder abgeschaff­t, doch in den nachfolgen­den Inflations- und Krisenjahr­en zur Sicherung der Arbeitsste­llen für männliche Lehrer wieder als bindend eingeführt. Endgültig endete das Lehrerinne­n-Zölibat dann erst zu Beginn der 1950-er Jahre. Damit verschwand auch die früher allgemein verbreitet­e Anrede einer Lehrerin mit „Fräulein“. Vor allem auf dem Land hielt sich jedoch der Begriff „s’Freila“für eine Lehrerin noch recht hartnäckig.

Grundlegen­d geändert hat sich auch die Lehrer- und Lehrerinne­nStruktur im Lauf der letzten Jahrwurde zehnte. Unterricht­eten in früheren Zeiten überwiegen­d Männer an den Volksschul­en, so ist der Beruf hier mittlerwei­le zu rund 85 Prozent weiblich geprägt.

MZ-Aktion Wir suchen die schönsten Schulgesch­ichten unserer Leser. Schreiben Sie uns, was Sie früher erlebt haben. Egal ob als Schüler oder als Lehrer, wir freuen uns auf Ihre Geschichte­n. Schicken Sie uns Ihre Berichte einfach per E-Mail an redaktion@mindelheim­er-zeitung.de oder per Post an die Mindelheim­er Zeitung, Dreerstraß­e 6, 87719 Mindelheim. Wenn Sie auch noch passende Fotos haben, legen Sie sie einfach dazu. Und bitte vergessen Sie nicht, bei allen Einsendung­en das Kennwort „Schulgesch­ichten“anzugeben.

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Fotos: Archiv Hölzle Dieses „Klassenbil­d“aus Pfaffenhau­sen stammt aus dem Jahr 1919. Es zeigt die Geburtsjah­rgänge 1910 bis 1912 mit ihrem Fräulein Lehrerin.
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Blick in den Schulsaal von Egelhofen am 5.6. 1930 mit dem bekannt strengen Schulfräul­ein Maria Cäcilia Stegherr.

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