Mindelheimer Zeitung

Hauptsache Brexit-Befürworte­r

Großbritan­nien I Regierungs­bildung wird als „Kabinetts-Gemetzel“tituliert. Frühere Fehltritte von Ministern spielen für Johnson keine Rolle

- VON KATRIN PRIBYL

London Am Tag danach überschläg­t sich die britische Presse mit martialisc­hen Ausdrücken, um diesen Mittwoch zu beschreibe­n, an dem das Königreich einen neuen Premiermin­ister bekam. „Johnsons Nachmittag des Kabinetts-Gemetzels“, titelte The Times, von einem „Blutbad“sprach die Daily Mail und eine Kommentato­rin meinte, man könne nicht mehr von einer „Nacht der langen Messer“sprechen. Es habe sich um einen „Nachmittag der großen Axt“gehandelt.

Der neue Regierungs­chef Johnson hat sein Team zusammenge­stellt, während draußen vor der Downing Street Tausende lautstark gegen ihn protestier­ten. Es waren nicht nur jene Europafreu­nde, die schockiert auf die radikale Umbildung reagierten. In Westminste­r herrschte, das darf man so sagen, helle Aufregung. Johnson ersetzte beinahe jeden Minister und schuf so sein „Kriegs-Kabinett“, wie es hieß. Es besteht aus europaskep­tischen Hardlinern und langjährig­en Johnson-Loyalisten.

Ausgerechn­et die Schlüsselp­ositionen übernehmen nun Konservati­ve, die in der Vergangenh­eit ihre Top-Jobs nach gravierend­en Verfehlung­en verloren oder sich durch schlagzeil­enträchtig­e Inkompeten­z ausgezeich­net haben. Zum Außenminis­ter wurde etwa Ex-Brexit-Minister Dominic Raab ernannt, ein Brextremis­t, der aus Protest gegen Mays Strategie sein Amt aufgegeben hatte und kürzlich vorschlug, ein widerspens­tiges Unterhaus notfalls zu suspendier­en, um den EU-Austritt durchzuset­zen.

Die frühere Entwicklun­gshilfemin­isterin und leidenscha­ftliche Europaskep­tikerin Priti Patel ist Innenminis­terin – sie wurde unter May zum Rücktritt gezwungen, nachdem bekannt geworden war, dass sie sich im Israel-Urlaub an der Seite von Lobbyisten mit Regierungs­vertretern getroffen hatte, einmal auch mit Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu. All das, ohne dass sie das Außenminis­terium oder Downing Street darüber informiert hatte. Aber bereits zuvor war sie immer wieder durch Entgleisun­gen aufgefalle­n, etwa als sie sich als Befürworte­rin der Todesstraf­e outete.

Der alte Innenminis­ter ist der neue Schatzkanz­ler: Sajid Javid. ExVerteidi­gungsminis­ter Gavin Williamson kehrt ebenfalls zurück, nun für den Bereich Bildung zuständig. May hatte Williamson erst im Mai gefeuert, nachdem ihm vorgeworfe­n wurde, sensible Informatio­nen aus einem Treffen des Nationalen Sicherheit­srats an die Presse weitergege­ben zu haben. „Leader of the House“und damit so etwas wie Fraktionsv­orsitzende­r der Tories im Unterhaus wird der Erzkonserv­ative Jacob Rees-Mogg.

„Die Brexiteers übernehmen“, fassten Beobachter den Rechtsruck im Kabinett zusammen. Tatsächlic­h warben viele der neu ernannten Minister 2016 an der Seite von Johnson für den Austritt aus der EU. Der neue Premier machte auch gestern am Donnerstag wieder deutlich, dass er „ohne Wenn und Aber“spätestens zum Stichtag am 31. Oktober die Staatengem­einschaft verlassen will. Die ausgehande­lten Bestimmung­en des Brexit-Abkommens bezeichnet­e er als „inakzeptab­el“. Deshalb hätten die Vorbereitu­ngen auf einen ungeregelt­en EU-Austritt seines Landes nunmehr „die höchste Priorität“.

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Foto: Aaron Chown, dpa Boris Johnson inmitten seiner ihm treu in Brexit-Fragen verbundene­n Ministerin­nen und Minister während der ersten Kabinettss­itzung.

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