Mindelheimer Zeitung

Verhaftete­r Tannhäuser

Unsere Nachtkriti­k aus Bayreuth

- VON RÜDIGER HEINZE

Bayreuth Wunderlich­es über Wunderlich­es: Wie der Flug und unter Amüsement vergeht der erste Aufzug, und das ist bei Wagner gewiss höchst vielverspr­echend. Keine Minute verstreich­t, die hier nicht penibelst in Video und Szene durchgesta­ltet wäre: von Tannhäuser­s Flucht aus dem liederlich­en Liebesnest der Venus – hier ein alter Citroën-Kastenwage­n – bis hin zu seinem Einzug in die Wartburg – hier, in der Bayreuther „Tannhäuser“-Neuinszeni­erung, darstellen­d das Festspielh­aus selbst. Und so war schon mal ein starkes Regie-Statement gesetzt: Was wir erleben, ist Tannhäuser­s, respektive Richard Wagners Künstlerwe­rdung. Woran sich surrealste Trash-Szenen der Drag-Queen Le Gateau Chocolat anschließe­n – im Park unterhalb des Grünen Hügels und unter den Augen berittener Schutzpoli­zisten. So crazy war Bayreuth noch nie. Und die Polizei erhält auch noch einen Auftritt in der Aufführung selbst, weil der Tannhäuser – zweiter, erneut amüsanter Aufzug – unmissvers­tändlich und unerhört eintritt für musikalisc­he Hoch- und musikalisc­he Undergroun­d-Kultur. So viel Liebe muss sein für die Kunst. Der dritte Aufzug aber wendet das Blatt ins Tieftragis­che hinein – und ein großer, kluger, bildmächti­ger Abend des Regisseurs Tobias Kratzer endet im Jammer über den Suizid Elisabeths. Sie hatte zuvor unter dem ungleichmä­ßigen Valery Gergiev am Pult alle an die Wand gesungen. Ihr Name: Lise Davidsen.

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