In aller Öffentlichkeit
Gastbeitrag Thomas Frings wurde bundesweit bekannt, weil er als katholischer Pfarrer zurücktrat. Plötzlich stand er im Mittelpunkt, Zeitungen berichteten. Dabei hatte er sich zurückziehen wollen. Seine Erfahrungen mit dem Medienrummel
Am 7. Juni 1987, dem Tag meiner Priesterweihe, wurde ich zu einer öffentlichen Person. Allerdings stand ich mit meinem Nachnamen schon immer im Schatten einer anderen Person, meines Großonkels. Seine Rolle als Kardinal von Köln auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, Initiator der Hilfswerke Adveniat und Misereor sowie als volksnaher Bischof führte schon immer zu Fragen nach einer möglichen Verwandtschaft. Und wer kann schon von seinem Familiennamen sagen, dass es diesen auch als Verb gibt, bezeichneten die Menschen nach dem Krieg das Kohlenklauen doch als „fringsen“, das „sich nehmen, was man zum Überleben braucht“bedeutete.
Mein Name ist Thomas Frings, und bis zu meinem Rücktritt als Pfarrer im Jahre 2016 war ich nur einer lokalen Öffentlichkeit im Bistum Münster bekannt. Die unerwartete Resonanz auf diesen Schritt änderte dies jedoch innerhalb einer Woche. Ein Priester als Mann Gottes und Öffentlichkeit – sollte sich so etwas nicht ausschließen? Oder aber: Ein Priester als Mann der Kirche, geht so etwas überhaupt unter Ausschluss der Öffentlichkeit?
Schon an der ersten Stelle im westfälischen Dorf Freckenhorst wurde mir schnell klar: Jetzt bist du eine Person des öffentlichen Lebens. Die Kleidung wurde kommentiert, der Einkauf im Supermarkt beobachtet, der Besuch und jedes Getränk in der Dorfkneipe wahrgenommen. Nun wollen wir das Amt eines Priesters in diesem Rahmen mal nicht zu hoch hängen, aber es gibt nicht wenige Mitbrüder, für die die ständige Beobachtung auch zur Belastung geworden ist. Als Priester steht man nun mal vor Menschen: am Sonntag, bei Taufen, Trauungen oder Beerdigungen. Unabhängig davon, ob man dann mehr oder weniger von sich preisgibt, sachlich spricht oder persönlich wird, man wird wahrgenommen und bewertet. Öffentlichkeit kann als belastend erfahren werden, ich sehe sie aber auch als Chance, für etwas einzustehen und Position zu beziehen.
Mein Schritt im Jahre 2016, den ich unter anderem auf Facebook erklärt habe und mit dem ich mich eigentlich erst einmal aus dem bisherigen Leben zurückziehen wollte, hatte eine unerwartet gegenteilige Wirkung. Von Hamburg bis Passau und von Aachen bis Berlin berichteten die Zeitungen und brachten meiner Person bundesweite Aufmerksamkeit. Diese war allerdings weder meinem Nachnamen geschuldet noch eigentlich meiner Person. Diese Berichterstattung über den „Pfarrer aus Münster“galt allein der Begründung, mit der er die Aufgabe seines Amtes erklärte – aber nach einer Woche war in meinem Leben nichts mehr so wie vorher.
bekam hunderte von Reaktionen, zustimmender als auch ablehnender Art. Wer sich mit der Begründung meines Schrittes erst gar nicht auseinandersetzen wollte, dem kam meine plötzliche Öffentlichkeit als Argument zu Hilfe, und er konnte sagen, dass dies meine eigentliche Absicht gewesen sei. Ein Politiker braucht die Öffentlichkeit, um zu überleben; für einen Mann der Kirche jedoch kann sie riskant und gegen ihn verwandt werden.
„Es wäre leichter für alle, wenn Du heiraten würdest. So jedoch stellst Du alle infrage, die den Weg weitergehen, seien es Bischöfe, Hauptamtliche oder die Gemeinden.“So sagte es ein Freund und Mitbruder, und er traf den Nagel auf den Kopf. Die Aufgabe des Amtes wegen einer Heirat hätte ein kurzes mediales Echo hervorgerufen.
Ich jedoch begründete meinen Schritt mit der Situation der Seelsorge vor Ort in der Gemeinde. Dabei war ich keineswegs enttäuscht von meiner Tätigkeit als Pfarrer, beschrieb diese jedoch als eine „Pastoral der Vergeblichkeit“, die von vielen so gesehen wird, aber an der sich nichts ändert aufgrund eines Beharrungsvermögens auf allen Ebenen der Kirche. Und das hatte so noch kein Pfarrer gesagt. Enttäuscht war ich nicht von meiner Arbeit, sondern von einer mangelnden Veränderungsbereitschaft.
Eines konnte man mir zumindest nicht vorwerfen, dass ich eine erfolgreich agierende Organisation verlassen hätte, in der ich mich bis dahin über dreißig Jahre mit aller Kraft engagiert habe. Den Optimisten galt ich zwar als Pessimist, aber die meisten bestätigten meine Analyse als realistisch, und ein erfahrener Mitbruder meinte fast schon fatalistisch: „Wir wissen doch alle, dass wir eine Situation haben wie im Herbst 1944, aber was sollen wir denn machen?“Ich weiß um die Schwierigkeit dieses Bildes, doch das es richtig gewählt war, zeigte sich an Bezeichnungen, mit denen ich dann auch beschrieben wurde: der Fahnenflüchtige, der Kneifer, der Drückeberger!
Als öffentliche Person hat man nicht mehr die alleinige Deutungshoheit über sein Tun. War ich bisher lokales Gesprächsthema, wurde ich plötzlich zum öffentlichen. Meist hört man nicht, was die Mitmenschen über einen sagen, aber was die Medien über einen schreiben, dem ist man ausgeliefert. „Die Öffentlichkeit“übernimmt die Deutungshoheit über das, was man sagt und tut. Richtig bewusst ist mir dies erst geworden, als ich meinen Namen in den Medien las und hörte. Dann falsch verstanden zu werden, kann man kaum mehr korrigieren.
Wenn jemand schrieb, ich sei gegangen, weil zu wenig Menschen am Sonntag gekommen sind, und ich sei ein Beispiel pastoraler EnttäuIch schung, so wurde nicht im Ansatz verstanden, was meine Motivation war. Matthias Drobinski schrieb in der Süddeutschen Zeitung, ich sei „das Gesicht der Krise“der Kirche in Deutschland, denn ich gehe ohne Frust und wolle nicht heiraten. Das war treffend beschrieben, aber dennoch nicht leicht zu lesen, denn jeder will lieber das Gesicht der Lösung sein und nicht das Gesicht der Krise. Im Zusammenklang der unterschiedlichen journalistischen Stimmen konnte ich mich in dem, was ich las und hörte aber gut wiedererkennen. Einen Wikipedia-Eintrag zu bekommen, war ein netter Nebeneffekt, wobei mir schleierhaft bleibt, wer so etwas initiiert und darüber entscheidet.
Hätte ich vorher gewusst, welche Auswirkung mein Schritt, der ja ein Schritt heraus aus der Öffentlichkeit sein sollte, mit sich bringen würde, ich hätte ihn vielleicht nicht gemacht. Wenn man mich heute zu dem Mut beglückwünscht, diesen getan zu haben, dann relativiere ich ihn, denn ich war nicht wirklich mutig, wusste ich doch nicht, was geschehen würde. Die Trennung von Hab und Gut und der Verzicht auf ein Gehalt waren vielleicht mutig, doch das ist nicht gemeint.
Interessant sind auch die unterschiedlichen Reaktionen verschiedener Bischöfe. Einer warnte in seinem Priesterrat vor meinem Buch, ein anderer sprach mich auf der Straße an, als er mich erkannte und meinte, ich hätte vielen Priestern aus dem Herzen gesprochen. Und wieder ein anderer lud mich zum Gespräch ein. Nach einem Jahr Auszeit wurde jedoch noch etwas anderes deutlich: In einer großen Institution ist eine überproportionale Öffentlichkeit für einen untergeordneten Mitarbeiter für diesen eher kontraproduktiv.
Ich habe mich ja nicht zum Zölibat oder zum Priestertum der Frau geäußert, sondern zur aktuellen Situation der Kirche vor Ort. Bei all ihren guten Bemühungen der letzten Jahrzehnte bezeichnete ich diese eben dennoch als eine „Pastoral der Vergeblichkeit“. Da ich nicht gleichzeitig mit einer Lösung aufgetreten bin, muss ich mir den Vorwurf gefallen lassen, allein schon mit der Situationsbeschreibung die „Moral der Truppe“geschädigt zu haben. Denn „Herbst 1944“hin oder her, man muss vom Weg überzeugt sein, um ihn mitgehen zu können. Mit dem beabsichtigten Rückzug aus der Öffentlichkeit wurde ich erst recht zum Objekt derselben.
„Was die Medien über einen schreiben, dem ist man ausgeliefert“
Über seine Beobachtungen
„Nicht ich habe die Öffentlichkeit gesucht, sondern sie suchte jetzt mich“
Über seinen Schritt und die Folgen
Nicht ich habe sie gesucht, sondern sie suchte jetzt mich.
„Aus, Amen, Ende – so kann ich nicht mehr Pfarrer sein“, lautet der Titel des Buches, das ich 2017 geschrieben habe. Es gelangte in die Bestsellerliste des Spiegel, und seine Übersetzung ins Italienische brachte mir eine Einladung der Diözese Rom zu einer Fortbildung. Handelte dieses Buch über die Krise der Institution, so war das nachfolgende Buch „Gott funktioniert nicht – deswegen glaube ich an ihn“ein sehr persönliches über meinen Glauben in einer Zeit, in der der Glaube für viele in eine Krise geraten ist.
Die Öffentlichkeit, die mir jetzt zuteilwird, gilt meiner Person, nicht mehr dem Amt. Der Preis, den ich dafür zahle, ist, dass die Institution sich schwertut, für mich noch ein Amt zu finden.