„Nicht alle Betriebe über einen Kamm scheren“
Tierskandal Bürger diskutieren in Hawangen bei einer Livesendung mit Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber und Grünen-Politikerin Gisela Sengl über die Vorfälle in Bad Grönenbach. Kritik von Bauernverband an Soko Tierschutz
Hawangen Als die Scheinwerfer erloschen, die Kameras ausgeschalten und die Schweißperlen auf den Stirnen getrocknet sind, nimmt die Diskussion noch einmal richtig Fahrt auf. Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) steht umringt von Menschen in der Mitte des Studios. Es geht um EU-Agrarsubventionen. Ein gefragter Gesprächspartner ist auch Friedrich Mülln, Vorsitzender der Soko Tierschutz. Gerade erklärt er einem älteren Ehepaar: „Ich wäre besorgt, wenn ich Zuspruch von der Agrarlobby bekommen würde“– gemeint ist der Bayerische Bauernverband (BBV).
Der Augsburger Verein „Soko Tierschutz“veröffentlichte vor wenigen Wochen Videos, die angebliche Tierquälerei auf einem Milchviehbetrieb in Bad Grönenbach zeigen und landesweit eine Diskussion über Tierhaltung ausgelöst haben. In Hawangen diskutieren darüber zahlreiche Menschen bei der Livesendung „Jetzt red i“des Bayerischen Rundfunks. Neben Kaniber und Mülln beantwortet die agrarpolitische Sprecherin der Grünen, Gisela Sengl, Fragen der Besucher.
Etwa zehn Kilometer von dem Großbetrieb in Bad Grönenbach mit circa 1800 Kühen entfernt sagt Kaniber zu Beginn: „Ich glaube, dass der größte und wichtigste Tierwohlfaktor der Mensch selber ist.“Natürlich seien große Herden schwieriger zu führen und machten mehr Arbeit. „Aber jetzt einfach alle Betriebe über einen Kamm zu scheren, das ist der undifferenzierte Ansatz.“Unter den Zuhörern auf der halbrunden Tribüne sind zahlreiche Landwirte aus der Region. Vielen davon spricht sie aus der Seele. Martin Wechsel, Milchviehhalter aus dem Unterallgäu, bemängelt: „Es wird hier sehr viel verallgemeinert und es wird wieder Mal auf die Landwirtschaft und die Tierhaltung insgesamt draufgeschlagen.“
Dass der Betrieb in Bad Grönenbach allein schon wegen seiner Größe kein typischer bayerischer Bauernhof sei, betonen die beiden Abgeordneten immer wieder. Nur bei fünf Milchviehbetrieben im Freistaat stehen mehr als 500 Tiere im Stall. „Aber drei davon sind allein im Unterallgäu“, sagt Sengl. „Da muss man sich schon fragen: Wohin wandert die Landwirtschaft im Unterallgäu und wieso ist hier so ein Hotspot?“
Ein Gewinner des Abends ist Stefan Häfele, der von seinem Bauernhof in Westernach mit Direktvermarktung von Milch, Joghurt und Käse erzählt. In dem Gebiet, das er abfährt, gebe es 30.000 Haushalte. Nur 1000 davon seien bereit, für einen Liter Milch, der an ihre Haustür geliefert wird, 1,15 Euro zu bezahlen, sagt er. Deshalb sehe er die Empörung mancher Menschen kritisch, wenn diese am Tag darauf wieder billige Lebensmittel in Discountern einkaufen. Eine Aussage, die das Publikum mit lautem Applaus quittiert. Häfeles Geschäftsmodell loben sowohl Kaniber als auch Sengl.
Die Videoaufnahmen der Soko Tierschutz spricht Helmut Mader an. Der Unterallgäuer BBV-Geschäftsführer sagt: „Auch der beste Landwirt will nicht, dass man heimlich in seinem Stall Kameras installiert und wochenlang unbemerkt Bauer, Bäuerin und Tiere filmt.“Das ist das Stichwort für Friedrich Mülln: „Wenn der Bauernverband und die Bauern nicht endlich aufhören, sich immer in eine Opferrolle zu positionieren, dann werden sie mit ihrer ganzen Massentierhaltung und Industrialisierung untergehen. Dann braucht es uns auch nicht mehr.“Wegen der Aufnahmen ermittle die Staatsanwaltschaft, dem blicke man aber gelassen entgegen, so Mülln.
Landwirt Jochen Stiegeler setzt sich nach Sendeschluss neben ihn. „Ich habe ihm gesagt, dass er uns Bauern zugestehen muss, einen halben Tag lang zu überlegen, ob eine schwerkranke Kuh eingeschläfert werden soll. Wenn jemand währenddessen Videos von ihr aufnimmt, kann er mich auch lynchen.“Der Memminger Karl Renz sieht das anders: „Wir soll man ohne Kameras etwas beweisen? Das geht nicht“, findet er. Es habe sie überrascht, wie ruhig die Diskussion abgelaufen sei, sagt Gisela Sengl später. „Die Bauern merken selber: Sie müssen diesen einen Betrieb nicht verteidigen, sondern darstellen, was sie gut machen.“