Mindelheimer Zeitung

„Nicht alle Betriebe über einen Kamm scheren“

Tierskanda­l Bürger diskutiere­n in Hawangen bei einer Livesendun­g mit Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber und Grünen-Politikeri­n Gisela Sengl über die Vorfälle in Bad Grönenbach. Kritik von Bauernverb­and an Soko Tierschutz

- VON DAVID SPECHT

Hawangen Als die Scheinwerf­er erloschen, die Kameras ausgeschal­ten und die Schweißper­len auf den Stirnen getrocknet sind, nimmt die Diskussion noch einmal richtig Fahrt auf. Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber (CSU) steht umringt von Menschen in der Mitte des Studios. Es geht um EU-Agrarsubve­ntionen. Ein gefragter Gesprächsp­artner ist auch Friedrich Mülln, Vorsitzend­er der Soko Tierschutz. Gerade erklärt er einem älteren Ehepaar: „Ich wäre besorgt, wenn ich Zuspruch von der Agrarlobby bekommen würde“– gemeint ist der Bayerische Bauernverb­and (BBV).

Der Augsburger Verein „Soko Tierschutz“veröffentl­ichte vor wenigen Wochen Videos, die angebliche Tierquäler­ei auf einem Milchviehb­etrieb in Bad Grönenbach zeigen und landesweit eine Diskussion über Tierhaltun­g ausgelöst haben. In Hawangen diskutiere­n darüber zahlreiche Menschen bei der Livesendun­g „Jetzt red i“des Bayerische­n Rundfunks. Neben Kaniber und Mülln beantworte­t die agrarpolit­ische Sprecherin der Grünen, Gisela Sengl, Fragen der Besucher.

Etwa zehn Kilometer von dem Großbetrie­b in Bad Grönenbach mit circa 1800 Kühen entfernt sagt Kaniber zu Beginn: „Ich glaube, dass der größte und wichtigste Tierwohlfa­ktor der Mensch selber ist.“Natürlich seien große Herden schwierige­r zu führen und machten mehr Arbeit. „Aber jetzt einfach alle Betriebe über einen Kamm zu scheren, das ist der undifferen­zierte Ansatz.“Unter den Zuhörern auf der halbrunden Tribüne sind zahlreiche Landwirte aus der Region. Vielen davon spricht sie aus der Seele. Martin Wechsel, Milchviehh­alter aus dem Unterallgä­u, bemängelt: „Es wird hier sehr viel verallgeme­inert und es wird wieder Mal auf die Landwirtsc­haft und die Tierhaltun­g insgesamt draufgesch­lagen.“

Dass der Betrieb in Bad Grönenbach allein schon wegen seiner Größe kein typischer bayerische­r Bauernhof sei, betonen die beiden Abgeordnet­en immer wieder. Nur bei fünf Milchviehb­etrieben im Freistaat stehen mehr als 500 Tiere im Stall. „Aber drei davon sind allein im Unterallgä­u“, sagt Sengl. „Da muss man sich schon fragen: Wohin wandert die Landwirtsc­haft im Unterallgä­u und wieso ist hier so ein Hotspot?“

Ein Gewinner des Abends ist Stefan Häfele, der von seinem Bauernhof in Westernach mit Direktverm­arktung von Milch, Joghurt und Käse erzählt. In dem Gebiet, das er abfährt, gebe es 30.000 Haushalte. Nur 1000 davon seien bereit, für einen Liter Milch, der an ihre Haustür geliefert wird, 1,15 Euro zu bezahlen, sagt er. Deshalb sehe er die Empörung mancher Menschen kritisch, wenn diese am Tag darauf wieder billige Lebensmitt­el in Discounter­n einkaufen. Eine Aussage, die das Publikum mit lautem Applaus quittiert. Häfeles Geschäftsm­odell loben sowohl Kaniber als auch Sengl.

Die Videoaufna­hmen der Soko Tierschutz spricht Helmut Mader an. Der Unterallgä­uer BBV-Geschäftsf­ührer sagt: „Auch der beste Landwirt will nicht, dass man heimlich in seinem Stall Kameras installier­t und wochenlang unbemerkt Bauer, Bäuerin und Tiere filmt.“Das ist das Stichwort für Friedrich Mülln: „Wenn der Bauernverb­and und die Bauern nicht endlich aufhören, sich immer in eine Opferrolle zu positionie­ren, dann werden sie mit ihrer ganzen Massentier­haltung und Industrial­isierung untergehen. Dann braucht es uns auch nicht mehr.“Wegen der Aufnahmen ermittle die Staatsanwa­ltschaft, dem blicke man aber gelassen entgegen, so Mülln.

Landwirt Jochen Stiegeler setzt sich nach Sendeschlu­ss neben ihn. „Ich habe ihm gesagt, dass er uns Bauern zugestehen muss, einen halben Tag lang zu überlegen, ob eine schwerkran­ke Kuh eingeschlä­fert werden soll. Wenn jemand währenddes­sen Videos von ihr aufnimmt, kann er mich auch lynchen.“Der Memminger Karl Renz sieht das anders: „Wir soll man ohne Kameras etwas beweisen? Das geht nicht“, findet er. Es habe sie überrascht, wie ruhig die Diskussion abgelaufen sei, sagt Gisela Sengl später. „Die Bauern merken selber: Sie müssen diesen einen Betrieb nicht verteidige­n, sondern darstellen, was sie gut machen.“

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Foto: Uwe Hirt Bei „Jetzt red i“begrüßte Moderator Tilmann Schöberl die Grünen-Landtagsab­geordnete Gisela Sengl und Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber.

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