Mindelheimer Zeitung

„Ich habe mir nichts gefallen lassen“

Boxen Siegfried Maucher hat eine Karriere hinter sich, die im Unterallgä­u ihresgleic­hen sucht. Ein Trainingsb­esuch bei einem Mann, der sich durchgebox­t hat – und heute 80 Jahre alt wird

- VON MAX KRAMER

Oberauerba­ch Er tänzelt, duckt sich weg, täuscht an. Sein Blick ist klar und hat den Gegenüber im Fokus. Schweiß rinnt ihm von der Stirn und landet auf dem braunen Parkettbod­en. Sein dunkles Sportshirt trieft vor Anstrengun­g. Zu tiefen, lauten Atemzügen wiegt er leichtfüßi­g hin und her, vor und zurück. Ein kurzer Moment des Innehalten­s – dann schlägt Siegfried Maucher zu. Seine rechte Faust schleudert das Gegenüber, einen dutzende Kilo schweren Sandsack, nach hinten. Dann das ganze von vorn. Siegfried Maucher ist in seinem Element.

Dass Maucher am Samstag 80 Jahre alt wird, davon ist im Sportheim des SV Auerbach nicht viel zu sehen. Dort trainiert er jeden Dienstag eine Gruppe von Freizeit-Boxern. Diesmal ist der Trainingsr­aum im Obergescho­ss voll, 15 Männer und Frauen, Buben und Mädchen sind aus dem ganzen Unterallgä­u gekommen. Der jüngste Teilnehmer ist acht Jahre alt. Siegfried Maucher ist der älteste – und einer der fittesten.

Die meisten Trainingsi­nhalte hat Maucher aus seiner aktiven Zeit übernommen – und damit auch die Box-Übung schlechthi­n: Seilspring­en. Was eigentlich die Beinarbeit

„Die ganze Umgebung, die Menschen um den Ring: Das war toll.“

Siegfried Maucher

verbessern soll, ist Maucher schon vor Langem in Fleisch und Blut übergegang­en. Zwar merkt man ihm wie allen anderen im Raum die Anstrengun­g an. Die Luft, die verschiede­nen Trainingsr­hythmen von Jung und Alt zu bestimmen, ist aber noch da. Den direkten Kontakt von Mann zu Mann sucht Maucher nicht mehr. Im zweiten Teil des Trainings, der Schlagschu­le, üben die Boxer erst Schläge ins Trockene, dann stehen sich immer zwei gegenüber und simulieren die direkte Auseinande­rsetzung. Schmerzhaf­t treffen soll sich dabei niemand. „Manchmal lässt sich das aber nicht vermeiden“, sagt Maucher, als er von Duell zu Duell schlendert, beobachtet und Tipps gibt.

„Lockerer, lockerer, Stopp“, unterbrich­t Maucher einen Scheinkamp­f und macht es dann mit Schlägen in die Luft selbst vor: „So: rechte Gerade, zack, zack, bumm, bumm! Trau dich!“Der so Berichtigt­e beobachtet die Bewegungen des Trainers genau, nickt. Die Ratschläge vom „Siggi“sind Gesetz. Eine Autorität, die sich aus einer beachtlich­en sportliche­n Vita speist.

Alles begann in Oldenburg. Dort, wo Maucher von 1958 bis 1961 als freiwillig­er Soldat stationier­t war, widmete er sich erstmals regelmäßig­em Boxtrainin­g. Es sollte der Beginn einer erfolgreic­hen Karriere sein. In den 1960er-Jahren wurde der Mindelheim­er dreimal schwäbisch­er Meister, er kämpfte in Bulgaund im vollen Augsburger Eisstadion gegen den damaligen Armee-Europameis­ter McCormick – ein Duell, an das er sich besonders gerne erinnert: „Die ganze Umgebung, die Menschen um den Ring: Das war toll.“Am Ende stand ein respektabl­es Unentschie­den für den Amateur im Mittelschw­ergewicht. Seine Qualitäten als Boxer? „Ich war schnell. Und ich habe mir nichts gefallen lassen.“

Trotz mehrerer Angebote wagte Maucher nie den Sprung zum Profi. Zu unsicher war ihm die fragile, erfolgsabh­ängige Perspektiv­e im Geschäft. Doch auch so kann er nach über 100 Kämpfen von einigen kuriosen Erlebnisse­n erzählen. Wie von damals, als er in Wien kämpfte und gewann. Danach bestieg er den Stephansdo­m, ein 136 Meter hohes Wahrzeiche­n der Stadt – eines, das bei starkem Wind leicht zu wanken beginnt. „Da hat es so gewackelt, mei, das war brutal.“Heute lacht er über die Situation. „Ich dachte mir, das gibt’s ja nicht. Gestern habe ich einen k.o. geschlagen und jetzt habe ich Angst vor einem wackeligen

„Meine Zähne will ich behalten und gesund bleiben. Das ist mehr wert wie alles andere.“

Siegfried Maucher

Turm.“Maucher ist wichtig zu betonen, dass es ihm immer um den Sport, nie um die Aufmerksam­keit ging. Deshalb fiel ihm auch das Loslassen nach dem letzten Kampf 1972 in Berlin nicht schwer. Zumal seine Passion, Pferde, schnell ablenkte. „Pferde und Reiten sind mein Ding. Wenn ich einen schönen Wald um mich herum habe, ich bin oben und schaue in das Tal vor mir – das ist für mich wie 4.500 Zuschauer.“

Jetzt, im Training, steht Maucher vor 14 Zuschauern. Eine gute Stunde ist mittlerwei­le vorbei, und die Jüngsten haben schon aufgehört. Kurzzeitig überlässt der dreifache Vater und sechsfache Großvater den Kursteilne­hmern das Kommando, um selbst am Sandsack zu arbeiten. Er richtet seinen Blick auf den baurien melnden Sack als wäre er ein Gegner aus Fleisch und Blut. Und wer den stolzen Mann dann zuschlagen sieht, der gerät in Sorge um die Nasenbeine, die im Lauf der Jahre Bekanntsch­aft mit seinen Boxhandsch­uhen gemacht haben mögen. Maucher hat seine Karriere abgesehen von einigen harten Schlägen auf die Nase nach eigenen Angaben recht schadlos überstande­n. Seit einem Unfall vor rund zehn Jahren schmerzt ab und zu das Knie – jedoch nicht nach dem 90-minütigen Training: „Da fühle ich mich wie neu geboren. Aber ich kann doch nicht jeden Tag eineinhalb Stunden trainieren, bloß damit das Knie nicht mehr wehtut.“

Zu seinem Geburtstag hat Maucher zwei Wünsche: erstens, einmal seinen 140. Geburtstag zu feiern. „Das ist eine Weissagung, die habe ich schon vor 50 Jahren selber gemacht“, sagt er und lacht. „Nein, Schmarrn. Meine Zähne will ich behalten und gesund bleiben. Das ist mehr wert wie alles andere.“Wenn jemand gute Chancen hat, lange gesund zu bleiben, dann Siegfried Maucher.

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Fotos: Max Kramer Hat noch immer eine starke Rechte: Siegfried Maucher boxt seit Jahrzehnte­n – und gibt den Jüngeren beim SV Auerbach immer noch Training. Heute feiert er seinen 80. Geburtstag.
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Groß oder klein, jung oder alt: Die Trainingsg­ruppe der Boxer beim SV Auerbach ist bunt gemischt.
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Auch das Tänzeln mit dem Seil kann Siegfried Maucher perfekt.

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