Mindelheimer Zeitung

Tatort Bahnsteig

Kriminalit­ät Ein Mann stößt in Frankfurt Mutter und Sohn vor einen ICE, der Junge stirbt. Und alle fragen sich: Wie sicher sind Deutschlan­ds Bahnhöfe?

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Frankfurt Noch Stunden später flattern die rot-weißen Absperrbän­der der Polizei. Mehrere Gleise sind großräumig abgesperrt, damit Experten die Spuren sichern können. Mitten im Frankfurte­r Hauptbahnh­of ist es ungewöhnli­ch ruhig, die Stimmung wirkt gespenstis­ch.

Am Vormittag, kurz vor 10 Uhr, spielten sich an Gleis 7 grauenhaft­e Szenen ab. Eine Mutter stand mit ihrem acht Jahre alten Sohn am Bahnsteig, als die beiden plötzlich vor einen einfahrend­en ICE gestoßen wurden. „Das Kind wurde vom Zug überrollt und tödlich verletzt, es starb noch im Gleisbett“, sagt Polizeispr­echer Thomas Hollerbach später. „Der 40 Jahre alten Mutter ist es noch gelungen, sich zur Seite zu rollen und zu retten.“Eine dritte Person, die der Täter ebenfalls anrempelte, schaffte es, das Gleichgewi­cht zu halten.

Der mutmaßlich­e Täter, der aus Eritrea stammen und 40 Jahre alt sein soll, wurde von Passanten verfolgt; die Polizei konnte ihn außerhalb des Bahnhofs festnehmen. Berichten zufolge wohnt der Mann in der Schweiz.

Was verleitet jemanden zu einer solchen Attacke? Diese Frage stellen sich nun die Ermittler. „Es gibt keinerlei Anhaltspun­kte, dass Täter und Opfer sich kannten“, sagt eine Polizeispr­echerin. Die Ermittler riefen Zeugen auf, sich mit sachdienli­chen Hinweisen bei der Polizei zu melden. Am Hauptbahnh­of wurden die Gleise 4 bis 9 für mehrere Stunden gesperrt. Es kam zu Ausfällen und Verspätung­en. Die Deutsche Bahn schaltete am Nachmittag eine Sonder-Telefonnum­mer zur psychologi­schen Betreuung für Zeugen des Vorfalls frei.

Der Frankfurte­r Hauptbahnh­of gehört zu den größten Bahnhöfen in Deutschlan­d und wird täglich von fast 500 000 Menschen besucht.

Für viele Reisende stellt sich nun noch eine Frage: Wie sicher sind Bahnhöfe? Eine Patentlösu­ng für mehr Sicherheit sieht Thomas Kraft vom Fahrgastve­rband Pro Bahn Hessen nicht. „Ich weiß keinen Rat. Man kann so etwas nicht hundertpro­zentig verhindern“, sagt er. An größeren Bahnhöfen wie dem Frankfurte­r Hauptbahnh­of gebe es sogar noch vergleichs­weise viel Aufsichtsp­ersonal. An kleinen Bahnhöfen könne letztlich auch jemand aus einer Hecke hervorspri­ngen und Reisende auf die Gleise stoßen.

Christian Lüdke, Kriminalex­perte und Kinder- und Jugendlich­enpsychoth­erapeut aus Essen, kann sich gut in Reisende hineinvers­etzen: „Jetzt Angst zu haben oder sich unsicher zu fühlen, wenn ich am Gleis stehe, ist völlig normal“, sagt er. Der Mensch habe immer ein konstantes Angstnivea­u. Was sich ändere, sei die Richtung der Angst. „Mal haben wir Angst vor Jobverlust, mal vor einem Terroransc­hlag oder mal davor, dass der Partner sich trennt“– oder eben vor einem Angriff am Gleis. Petra Knobel und Jenny Tobien, dpa

 ?? Foto: Andreas Arnold, dpa ?? Polizisten und Feuerwehrl­eute spannen im Frankfurte­r Hauptbahnh­of eine weiße Plane als Sichtschut­z vor einen ICE. Kurz zuvor ist ein achtjährig­er Junge aufs Gleis gestoßen und vom Zug überrollt worden.
Foto: Andreas Arnold, dpa Polizisten und Feuerwehrl­eute spannen im Frankfurte­r Hauptbahnh­of eine weiße Plane als Sichtschut­z vor einen ICE. Kurz zuvor ist ein achtjährig­er Junge aufs Gleis gestoßen und vom Zug überrollt worden.

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