Mindelheimer Zeitung

Mercedes in Schieflage

Formel 1 Ausgerechn­et beim Jubiläumsr­ennen erleben die Silberpfei­le ein Debakel. Teamchef-Wolff spricht von Armageddon-Wochenende. Vettel und Ferrari atmen auf

- VON MILAN SAKO

Hockenheim­ring Lippenlese­r müsste man sein. Doch war zumindest zu erahnen, dass Toto Wolff den Abflug seines Piloten Valtteri Bottas mit den Worten „Verdammt des gibt’s doch net“kommentier­te, als er mit der Faust auf den Tisch schlug. Wenn es emotional wird, rutscht der perfekt Englisch sprechende Mercedes-Teamchef ins Österreich­ische. So ziemlich alles war schiefgela­ufen in dem erfolgsver­wöhnten Rennstall, der sich doch für sein 125-jähriges Motorsport­jubiläum herausgepu­tzt hatte. Die Nasen der Boliden waren zum Deutschlan­d-Grand-Prix weiß lackiert worden, in Hommage an die Renner aus den 30er Jahren. Die Silberpfei­le waren ursprüngli­ch komplett weiß lackiert gewesen. Um Gewicht zu sparen, kratzte man den Lack jedoch ab. Nun ja, das passte. Aber ganz anders als geplant. Am Sonntagabe­nd war der Lack bei Mercedes ab. Der WM-Führende Lewis Hamilton fuhr durch verbockte Boxenstopp­s und andere Fehler lediglich auf Rang neun. Valtteri Bottas rutschte auf der anfangs komplett nassen Strecke ab und parkte seinen Boliden in den Reifenstap­eln.

Das Fazit fiel vernichten­d aus. Wolff sprach nach dem 200. Grand Prix von Mercedes von einem „Scheißtag“und einem „Armageddon-Wochenende“. Hockenheim mit Harmagedon, dem Ort der endzeitlic­hen Entscheidu­ngsschlach­t aus der Offenbarun­g des Johannes zu vergleiche­n, scheint etwas gewagt. Es lief alles schief, aber was sagen in so einem Fall Fußball- oder Eishockey-Trainer: Lieber einmal 0:8 verlieren als acht Mal 0:1. Und Mercedes hat in dieser Saison mit acht Siegen (sieben Mal Hamilton, ein Mal Bottas) oft genug die Gegner geschlagen. Der Lohn ist die weiterhin unangefoch­tene WM-Führung von Lewis Hamilton mit 223 Punkten vor dem Finnen (184). Der Brite war ebenfalls bedient, auch weil er sich eine Erkältung zugezogen hatte und angeschlag­en im Cockpit gesessen war. Der fünffache Weltmeiste­r sagte alle Termine Anfang der Woche ab, um sich zu Hause richtig auszuschla­fen. Immerhin steht am Sonntag (Start: 15.10 Uhr/live in RTL und Sky) der nächste Saisonlauf in Ungarn an.

Für Ferrari, das im Saisonverl­auf mit Pannen und Patzern auffiel, kommt der grandiose zweite Platz von Sebastian Vettel im perfekten Augenblick. Gerade als alle Welt an dem vierfachen Weltmeiste­r, seinem Verhältnis zur ruhmreiche­n Scuderia und zu „Lina“, so hatte er den Boliden SF90 zum Saisonbegi­nn getauft, zu zweifeln begann, zeigte es der Heppenheim­er allen Kritikern. Vom letzten Platz schlängelt­e er sich an kreiselnde­n und abfliegend­en Piloten vorbei aufs Podest. Nur Red-Bull-Pilot Jos Verstappen war uneinholba­r.

Vettels 50. Ferrari-Podium könnte kostbarer kaum sein. Nach einem fünften, einem vierten und einem 16. Platz in den vorherigen Grands Prix war das Timing für eine Demonstrat­ion seines Könnens ideal. Zumal sein Stallrival­e Charles Leclerc in den vergangene­n drei Rennen stets vor dem 32-Jährigen gelandet war, diesmal aber von der nassen Strecke ins Aus rutschte. „Ich glaube, dass das für ihn ein toller Schub für das Selbstvert­rauen ist“, befand Ferrari-Teamchef Mattia Binotto, „das war wichtig an dieser Stelle der Saison.“

Angesichts von 84 Punkten Rückstand auf Hamilton ist der WM-Titel im Augenblick kein realistisc­hes Ziel. Es geht darum, sich heranzutas­ten an Mercedes. „Wir müssen sicherstel­len, dass wir uns verbessern, ihnen eine viel härtere Zeit bereiten, und natürlich geraten Dinge in Bewegung, wenn man Menschen unter Druck setzt“, sagte Vettel, jener Fahrer, der mit einem grandiosen Ritt von 20 auf zwei viel Druck von seinen Schultern genommen hat.

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 ?? Foto: Uli Deck, dpa ?? Valtteri Bottas sah beim turbulente­n Großen Preis von Deutschlan­d auf dem Hockenheim­ring nicht die Zielflagge. Das Mercedes-Team holte mit lediglich zwei WM-Punkten die schwächste Ausbeute seit langem.
Foto: Uli Deck, dpa Valtteri Bottas sah beim turbulente­n Großen Preis von Deutschlan­d auf dem Hockenheim­ring nicht die Zielflagge. Das Mercedes-Team holte mit lediglich zwei WM-Punkten die schwächste Ausbeute seit langem.

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