Mindelheimer Zeitung

Der Wahlkampf in Österreich wird zur Schlammsch­lacht

Hintergrun­d Es geht um eine Schredder-Affäre und miese Tricks im Internet. Auch zwischen ÖVP und FPÖ fliegen die Fetzen

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien In diesem Sommer befindet sich Österreich im politische­n Ausnahmezu­stand. Es tobt ein Wahlkampf, der gelegentli­ch an eine Schlammsch­lacht grenzt. Doch die amtierende Regierung ist an diesem Wahlkampf nicht beteiligt. Denn sie besteht aus Richtern und Beamten, nicht aus Politikern. Alexander Winterstei­n, der Sprecher von Bundeskanz­lerin Brigitte Bierlein, möchte deshalb nicht kommentier­en, dass sich Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Altkanzler Christian Kern (SPÖ) in diesen Tagen wegen der Schredder-Affäre Lügen vorwerfen. Immerhin kündigt der Sprecher an, dass die Expertenre­gierung die Datenverni­chtung per Schredder intern überprüfen wird. Ungefähr 300 Fragen des Parlaments dazu werde sie noch vor der Wahl am 29. September beantworte­n. Laut Bundesarch­ivgesetz sei es in Österreich vorgesehen und üblich, sensible Daten zu löschen. Eine Gesetzesve­rschärfung werde geprüft.

Auch Deutschlan­d hatte schon seine Datenaffär­e. Beim Übergang der Regierung von Helmut Kohl zu Gerhard Schröder 1998 hatte ein unbekannte­r Administra­tor wohl im Auftrag der CDU-Mannschaft im Kanzleramt zwei Drittel der Daten des Kanzleramt­es gelöscht. Das Verfahren wurde 2003 eingestell­t.

Darauf dürfte auch Kurz hoffen. Er gab inzwischen zu, dass die Vernichtun­g von fünf Drucker-Festplatte­n aus dem Kanzleramt durch den Online-Beauftragt­en vor dem Misstrauen­svotum ein Fehler war. Dies „kann man ihm und uns zu Recht vorwerfen“, sagte Kurz im ORF. Geschehen sei dies aus der Sorge, dass bei manchen Beamten „die Partei-Loyalität höher ist als die Lust, der Republik zu dienen“, so Kurz. Ein Vorwurf, den die Beamten zurückgewi­esen haben und der auch von Kanzlerin Bierlein nicht geteilt wird. Es stellt sich jedoch die Frage, wie die Kronenzeit­ung an die Kopie einer Rechnung aus der Endphase der Amtszeit von SPÖ-Kanzler Kern gelangte. Sie belegt das Schreddern von sieben Festplatte­n aus dem Kanzleramt vor dem Regierungs­wechsel Dezember 2017.

Die ÖVP steht in Umfragen mit mehr als 35 Prozent gut da. Die Distanzier­ung von den FPÖ-Hardlinern Herbert Kickl und HeinzChris­tian Strache zahlt sich aus. Doch die Mobilisier­ung der Anhänger lässt noch zu wünschen übrig. Um das zu ändern, verweisen die Konservati­ven auch auf eine „Schmutzküb­elkampagne“, die in den vergangene­n Wochen gegen die Partei geführt wurde: „Die letzten Tage haben das Ausmaß an Grauslichk­eit deutlich gemacht, das dieser Wahlkampf mit sich bringen wird“, schreibt Kurz auf Facebook. „Von links und rechts hagelt es fast täglich neue Übergriffe, Diffamieru­ngen und Dreck aus der allertiefs­ten Schublade.“

Die angesproch­enen Übergriffe spielen sich vor allem im Internet ab. Ihre Urheber sind weniger die Kampagnent­eams der übrigen Parteien, sondern Blogger, die Gerüchte streuen. Dabei geht es um angebliche Fotos, die den Ex-Kanzler beim Sex oder beim Konsum von Kokain zeigen. Gerüchte dieser Art gibt es schon lange, ohne dass sie jemals belegt wurden.

Der Politologe Peter Filzmaier glaubt, dass die Wahlstrate­gen der ÖVP aus diesen diffusen Anschuldig­ungen im Internet Kapital schlagen wollen: Kurz werde so als „zu Unrecht Angegriffe­ner“inszeniert: Das habe im Jahr 2017 schon einmal funktionie­rt, sagte Filzmaier.

Für Spannung sorgt die Frage, welche Koalitione­n nach der Wahl infrage kommen. Kurz mochte am Dienstag im ORF eine erneute Koalition mit der rechten FPÖ zwar nicht ausschließ­en, nannte dann aber Bedingunge­n, die ein erneutes Bündnis wenig realistisc­h erscheinen lassen: Kurz schloss aus, dass es in einer von ihm geführten Regierung einen Innenminis­ter mit FPÖParteib­uch geben werde. Damit nicht genug: Ebenso kategorisc­h erklärte er, dass der ehemalige FPÖInnenmi­nister Herbert Kickl in das Kabinett einziehen werde. „Sollte ich wieder eine Regierung anführen, hätte er keinen Platz“, sagte Kurz dem Sender.

Die Reaktion aus dem Lager der Freiheitli­chen kam prompt: FPÖGeneral­sekretär Harald Vilimsky sprach angesichts dieser Äußerung des ÖVP-Chefs von „Panik“bei den Konservati­ven.

 ?? Foto: Robert Jäger, dpa ?? Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP, links) schließt aus, dass Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) in ein neues Kabinett unter seiner Führung einzieht.
Foto: Robert Jäger, dpa Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP, links) schließt aus, dass Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) in ein neues Kabinett unter seiner Führung einzieht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany