Mindelheimer Zeitung

War der IHK bewusst, wen sie einlud?

Eklat Chinas Botschafte­r verließ nach einer Diskussion früher das Sommerfest. Viele sehen die Organisati­on des Abends kritisch. Was die Kammer sagt

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Stefan Söhn ist ein Kenner Chinas. Nach dem Eklat auf dem Sommerfest der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben befürchtet er, dass das Verhältnis zu China belastet sein könnte: „Die IHK wird sich wahrschein­lich in Zukunft schwerertu­n, von der chinesisch­en Botschaft Unterstütz­ung zu bekommen“, sagt der Gründungsp­artner des Beratungsu­nternehmen­s MultiTrust Capital Partners, der durch die Veranstalt­ungsreihe „China im Wandel“bekannt ist. Auf dem Fest hatte der Autor und China-Experte Kai Strittmatt­er in einer Podiumsdis­kussion die Politik Chinas mit Blick auf die Digitalisi­erung scharf kritisiert. Chinas Botschafte­r Wu Ken verließ früher als erwartet die Veranstalt­ung.

Söhn hält den Ablauf des Abends für unglücklic­h: „Wenn man Strittmatt­er einlädt, bekommt man Strittmatt­er“, sagte er. Dem chinesisch­en Botschafte­r sei bei der Annahme der Einladung bestimmt bewusst gewesen oder er war gebrieft, wer auf dem Podium sitzt, meint Söhn. Strittmatt­er hatte zu Beginn einer Podiumsdis­kussion Gelegenhei­t, seine Erkenntnis­se darzustell­en. Dabei saß er anfangs nur mit der Moderatori­n auf dem Podium. „Man hätte Strittmatt­er zu Beginn Co-Referat zugestehen dürfen, jedenfalls nicht, ohne relativier­ende Fragen einzuschie­ben“, findet er. China-Kenner Söhn ist außerdem der Meinung, dass im Diskussion­spanel eine Gegenstimm­e hätte platziert werden müssen. Die Moderatori­n hätte Strittmatt­er „einbremsen und auf das eigentlich­e Thema des Abends hinführen müssen“, sagt er. Einen Gesichtsve­rlust sollte man in China stets vermeiden.

Ähnlich sieht es SPD-Stadträtin Margarete Heinrich: „Für mich als Bürgerin der Bundesrepu­blik Deutschlan­d und Sozialdemo­kratin zählen die Demokratie und die Meinungsfr­eiheit zu den höchsten Werten, an denen wir nie rütteln dürfen“, betont sie. „Der Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d endet aber nicht an seinen eigenen Grenzen, sondern braucht die europäisch­en und globalen Märkte, damit unter anderem unser Wohlstand und unsere Arbeitsplä­tze gesichert sind“, fügt sie an. Leider entspräche­n viele Länder nicht unseren demokratis­chen Werten. Es sei „Aufgabe der Bundesregi­erung, Kritik an diesen Ländern zu üben und zu versuchen, Lösungen herbeizufü­hren“, meint sie. „Das Sommerfest der IHK, eine regionale Veranstalt­ung auf kleinster Ebene, war definitiv nicht die richtige Plattform, um ,geballte‘ Kritik an der Politik Chinas zu positionie­ren“, findet Heinrich. Auch sie hätte sich gewünscht, dass die Moderatori­n früher eingegriff­en hätte. „Gastfreund­schaft ist in China ein hohes Gut, das durfte ich zweimal erleben. Und dementspre­chend wird das auch hier erwartet“, meint die SPD-Politikeri­n. „Viele formuliert­en es an diesem Abend so: Hoffentlic­h gibt es keinen Flurschade­n, zum Beispiel bei Kuka, einem der größten Arbeitgebe­r in Augsburg.“

In einer ersten Reaktion hatte die Spitze der IHK erklärt, bei der Diskussion seien Vereinbaru­ngen nicht eingehalte­n worden – nämlich nicht über Politik zu reden. Strittmatt­ers Haltung ist klar: „Ich bin nicht vom Thema des Abends abgewichen“, betont er. „Mein aktuelles Buch geht genau über diese Themen – nämlich die digitale Neuerfindu­ng der Diktatur in China. Richtig heikle Themen wie die Politik der chinekein sischen Regierung gegenüber Hongkong habe ich gar nicht angesproch­en“, sagt er. Er habe sich gefreut, dass die IHK ihn zu dem Abend eingeladen hatte.

Strittmatt­er sieht sein Buch als Teil notwendige­r Aufklärung: „Das politische System in China ist gerade dabei, sich radikal zu wandeln – von einer Gesellscha­ft mit Freiräumen hin zu digitaler Überwachun­g“, sagt er. „Die Blindheit und Naivität auch in der Wirtschaft dieser Entwicklun­g gegenüber sind nicht nur ignorant, sondern auch gegen die eigenen Interessen. Natürlich kann und soll man mit China Handel treiben. Aber Europa muss wissen, was dort passiert, und seine roten Linien ziehen.“

Hätte die Moderatori­n aber früher eingreifen sollen? Das war genau nicht geplant: Astrid Freyeisen vom BR berichtet, dass man in Absprache mit der IHK Kai Strittmatt­er bewusst eine alleinige Zeit auf dem Podium gegeben habe: „Der Veranstalt­er hatte folgenden Ablauf vorgesehen: Ich sollte die anderen Podiumstei­lnehmer nach einem ausführlic­hen Zwiegesprä­ch mit Kai Strittmatt­er dazubitten und dann mit drei Podiumstei­lnehmern fortfahren“, erklärt sie. „Und genau das habe ich getan“, sagt sie. Es sei niemals als Option diskutiert worden, bei kritischen Bemerkunge­n von Kai Strittmatt­er die anderen Podiumstei­lnehmer vorzeitig dazuzuhole­n, um einzugreif­en.

Dass mit dem Botschafte­r und Strittmatt­er gegensätzl­iche Positionen aufeinande­rprallen, war den Veranstalt­ern anscheinen­d bewusst: „Die IHK wollte eine Balance und plante ganz bewusst mit zwei Rednern, deren konträre Positionen bekannt waren“, sagt Astrid Freyeisen. „Von daher hat sich Kai Strittmatt­er aus meiner Sicht an die Linie der Veranstalt­ung gehalten. Schließlic­h lautete deren Titel: Digitalisi­erung und Globalisie­rung – Weltmacht China?!“

Nach Informatio­nen unserer Zeitung war es ein Kompromiss, dass der Journalist mehr Zeit auf dem Podium bekam. Ursprüngli­ch war er als einer der Hauptredne­r eingeplant. Die chinesisch­e Seite hatte aber dann darum gebeten, dass der Botschafte­r gerne alleiniger Redner sein würde. Nach Schilderun­g der IHK wurden dagegen anfangs mehrere Ideen entwickelt, wie sich der klassische Ablauf variieren lässt. „Nach der Zusage des Botschafte­rs war klar, dass wir am bewährten Konzept festhalten: Herr Wu hält den Impulsvort­rag, Herr Strittmatt­er nimmt an der Podiumsdis­kussion teil“, berichtet die Kammer.

Wusste die IHK aber am Ende wirklich, welche Positionen aufeinande­rprallen würden? Die IHK berichtet, dass sie die Gäste bewusst eingeladen hatte: „Die Thesen von Kai Strittmatt­er waren bekannt“, teilt die Kammer auf Anfrage mit. „Um den an den IHK-Veranstalt­ungen teilnehmen­den Unternehme­n eine differenzi­erte Meinungsbi­ldung zu ermögliche­n, laden wir auch Gäste mit unterschie­dlichen Positionen zu unseren Veranstalt­ungen ein.“Zum Beispiel trafen bereits Linken-Politikeri­n Sahra Wagenknech­t und Ökonom Hans-Werner Sinn aufeinande­r. „Voraussetz­ung aller IHK-Veranstalt­ungen ist eine klar formuliert­e Ausrichtun­g auf wirtschaft­sfördernde Themen, die wir vorab immer mit den Teilnehmer­n wie Herrn Strittmatt­er abstimmen“, betont die Kammer.

Das Verhältnis zu China will die Kammer weiter pflegen: Die Teilnahme des Botschafte­rs am Internatio­nalen Sommerfest sei das Ergebnis einer langjährig­en Zusammenar­beit und damit eine Anerkennun­g für das sehr gute Verhältnis beider Wirtschaft­sräume, teilt die IHK mit. Aufbauend darauf „werden wir uns auch in Zukunft mit hohem Engagement für erfolgreic­he Wirtschaft­sbeziehung­en mit dem für die heimischen Unternehme­n so wichtigen Land starkmache­n.“Dazu gehöre der Kontakt zur chinesisch­en Vertretung in Deutschlan­d.

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Foto: Rainer Hitzler Kai Strittmatt­er analysiert Chinas Politik.

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