Talfahrt eines Managers
Justiz Rupert Stadler stand über Jahre für den Erfolg des Ingolstädter Autobauers Audi. Dann kam das Jahr 2015 und der Absturz begann. Nun hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Stadler droht ein Strafprozess
Ingolstadt Ein über Jahre sehr erfolgreicher, weit über die Stadt hinaus bekannter Ingolstädter steht vor Gericht. Gegen ihn wurde lange ermittelt, dann wurde Anklage erhoben. Die Strafkammer prüfte die dicken Aktenordner, ließ die Klage gegen ihn zu, schließlich begann der Prozess. Der Mann bestritt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe vehement, dann, spät im Verfahren, gibt er doch Fehler zu, legt eine Art Teilgeständnis ab, sagt einen Satz wie: „Das ist meine Verantwortung.“Ob dem Angeklagten eine drohende Haft erspart bleiben wird, ist ungewiss. Es gilt – bis zu einem rechtskräftigen Urteil – die Unschuldsvermutung.
Die Rede ist hier noch nicht von Ex-Audi-Chef Rupert Stadler. Sondern von dem früheren Ingolstädter Oberbürgermeister Alfred Lehmann, der wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht erscheinen musste. Im Gegensatz zu dem weit über die Stadt hinaus bekannten Lehmann hat der weit über Bayern hinaus bekannte Ingolstädter Stadler ein Gefängnis schon von innen gesehen. Der frühere Vorstandsvorsitzende der Audi AG war bereits in U-Haft. Auch Stadler bestreitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Und auch er könnte – wie es beim Ex-OB schon seit März der Fall ist – bald einen Strafprozess durchstehen müssen.
Der Fall Lehmann und der Fall Stadler haben nichts miteinander zu tun. Gemeinsam ist den beiden bekanntesten Ingolstädtern, dass ihre Namen für den rasanten Aufstieg von Stadt und Autokonzern in den vergangenen Jahren stehen. Gemeinsam ist ihnen allerdings auch der Absturz, dass sie beide gerade mehr mit der Justiz zu tun haben, als ihnen lieb sein kann.
Das gilt für Stadler seit Mittwoch mehr. Nicht überraschend hat die schon seit Mai 2018 gegen ihn ermittelnde Staatsanwaltschaft München II Anklage gegen den früheren Star-Manager der VW-Tochter erhoben. Wegen Betrugs, mittelbarer Falschbeurkundung und strafbarer Werbung. Ob das Landgericht München II die Klage zulässt, bleibt abzuwarten. Und ob Stadler – sollte es zum Prozess kommen – Verantwortung für den größten Skandal der Unternehmensgeschichte übernehmen muss, steht nicht fest. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Sicher ist dagegen, dass der tiefe Fall des 56-Jährigen mit der Anklageerhebung nicht gestoppt wurde. Und die Fallhöhe ist hoch. Das Unternehmen weist am Mittwoch in einem Statement auch darauf hin, dass Audi während Stadlers knapp zwölf Jahren an der Spitze „ein international erfolgreiches Unternehmen geworden“sei. Man hat die Verdienste Stadlers nicht vergessen.
Der kommt von einem Bauernhof in Wachenzell bei Eichstätt, studierte in Augsburg Betriebswirtschaftslehre und stieg 1990 bei Audi ein, wo damals noch Ferdinand Piëch Chef war. Stadler gewann das Vertrauen des VW-Patriarchen, machte im Konzern Karriere und wurde 1997 Leiter des Piëch direkt zuarumso beitenden Generalsekretariats in der Wolfsburger VW-Zentrale. 2003 kehrte er zurück nach Ingolstadt. Er wurde Finanzvorstand bei Audi. Sein Chef: Martin Winterkorn (der sich wegen des Abgasskandals wohl vor einem Braunschweiger Gericht wird verantworten müssen). Als Winterkorn 2007 in Wolfsburg übernahm, rückte Stadler – als erster Nicht-Ingenieur – in Ingolstadt an die Spitze. Und es begannen fette Jahre, die dem Konzern Rekordwerte und der Region Wohlstand brachten.
2015 dann kam der VW-AbgasSkandal an die Öffentlichkeit. Nach und nach wurde klarer, wie sehr Audi darin verstrickt ist. Die Staatsanwaltschaft München II begann zu ermitteln – und rückte im März 2017 kurz vor der Jahrespressekonferenz mit mehr als hundert Polizisten und Ermittlern in der AudiZentrale an. Die Ermittlungen weiteten sich aus. Im Mai 2018 stand dann auch Stadler auf der Liste der Beschuldigten. Wenig später kam er in U-Haft. Wegen Verdunkelungsgefahr. Ende Oktober 2018 setzte das Oberlandesgericht München den Haftbefehl gegen Auflagen zwar außer Vollzug. Stadler kam frei, musste aber eine „empfindlich hohe“Kaution hinterlegen, wie es heißt. Mit einer Verfassungsbeschwerde gegen den Haftbefehl kam er zuletzt auch nicht weiter. Und als Audi-Chef und VW-Konzernvorstand ist er längst abgelöst. Sein Nachfolger an der Unternehmensspitze – erst interimsmäßig, dann regulär bestellt – wurde der Niederländer Bram Schot. Der hat einen Neuanfang initiiert, einen rigiden Sparkurs angeordnet und baut das mit vielen Problemen kämpfende und unter erheblichen Absatzproblemen leidende Unternehmen um. Allerdings werden Schots Nachrichten vom Aufbruch immer wieder von Altlasten des Abgas-Skandals überlagert. Nun mit der Anklage gegen seinen Vorgänger.
Um Stadler selbst ist es still geworden, seit er das Gefängnis verlassen durfte. Ab und zu wird er gesehen. Im Golfclub zuletzt, mal im Stadttheater oder bei einem Spaziergang. Es gibt Gründe für ihn, sich zurückzuhalten. Denn zu den Auflagen des Oberlandesgerichts gehört ein Kontaktverbot zu allen für das Ermittlungsverfahren relevanten Personen.
Zwangsläufig mehr wird man wohl erst wieder von ihm hören, sollte er – wie derzeit der Ex-Oberbürgermeister – vor Gericht kommen.