Der unsterbliche Wal
Moby Dick Vor 200 Jahren wurde Autor Herman Melville geboren. Erst nach seinem Tod wurde der Roman zum Klassiker
„Bis zum Letzten ring ich mit dir, aus dem Herzen der Hölle stech ich nach dir, dem Hass zu liebe spei’ ich meinem letzten Hauch nach dir.“Es ist der dritte und letzte Tag der legendären Jagd nach dem weißen Wal. Dämonisch und zwanghaft sucht Kapitän Ahab nach dem Ungetüm, das ihm einst das Bein abgebissen hat. Er fordert sogar die Elemente heraus: „Ich würde auch nach der Sonne schlagen, wenn sie mich beleidigte.“Diese Überheblichkeit muss er mit dem Leben bezahlen. Sein Schiff, die „Pequod“geht mit Mann und Maus unter. Nur einer, Ismael, überlebt und erzählt diese unerhörte Geschichte weiter – in Herman Melvilles Klassiker „Moby Dick“.
Als das Buch 1851 erschien, begann für Herman Melville (1819– 1891) eine schwere Zeit: Der Roman war ein Misserfolg. Erst in den 1920er Jahren wurde „Moby Dick“von US-Literaturwissenschaftlern wiederentdeckt, da war Melville schon tot. Heute gehört der Roman über den verbitterten Kapitän Ahab und seine Jagd nach dem weißen Wal zu den bedeutendsten Werken der Weltliteratur.
In diesem Jahr jährt sich Melvilles Geburtstag zum 200. Mal, er wurde am 1. August 1819 in New York geboren. Sein Vater, ein Importkaufmann schottischer Herkunft, ging 1830 in Konkurs. Der Sohn musste daraufhin die Schule verlassen und sich als Hilfskraft in einer Bank, auf der Farm seines Onkels und im Pelzgeschäft seines Bruders verdingen. 1841 dann heuerte auf dem Walfänger „Acushnet“an.
Die amerikanische Walfangindustrie stand dann auch Pate für „Moby Dick or The Whale“, das zehn Jahre später erschien, und in das er seine eigenen Erfahrungen einbrachte. Das Schiff, die „Pequod“, benannte er nach amerikanischen Ureinwohnern. Befehligt wurde der Walfänger von Kapitän Ahab – nach dem jüdischen König und Baal-Anbeter des Alten Testaments, der für seinen Hochmut von Gott bestraft wurde. Auch Shakespeares „König Lear“ging in diese Figur ein.
Melville selbst hatte dem Alltag auf dem Walfänger schnell den Rücken gekehrt: Schon beim ersten Zwischenstopp desertierte er wegen der harten Bedingungen an Bord und versteckte sich bei den Ureinwohnern auf der Marquesa-Insel Nuku Hiva. Was er hier erlebte, erzählte er später in seinem ersten Südsee-Roman „Typee“, der 1846 erschien und ihn berühmt machte. Den Erfolg setzte er 1847 mit dem Roman „Omoo“fort, in dem er weitere Südsee-Abenteuer verarbeitete: seine Fahrt nach Tahiti, wo er wegen Meuterei verhaftet wurde, seine Flucht nach Moorea und weiter nach Hawaii.
Ein Jahr später kehrte er nach Boston zurück, heiratete und wurde Vater von vier Kindern. Dank seines wohlhabenden Schwiegervaters konnte er eine kleine Farm bei Pittsfield/Massachusetts erwerben. Dort lernte er den benachbarten Schriftsteller Nathaniel Hawthorne („Der scharlachrote Buchstabe“) kennen, den er als Vorbild verehrte und dem er „Moby Dick“widmete.
Melville war intellektuell ein Autodidakt. Ohne höhere Schulbildung konnte er über den deutschen Idealismus von Immanuel Kant bis Georg Wilhelm Friedrich Hegel diskutieren. Er plante einen „totalen Roman“, wie in seinen Reisetagebüchern nachzulesen ist: Realistisch und metaphysisch sollte er sein. Das Ergebnis – „Moby Dick“– wussten aber zu seinen Lebzeiten weder die Verleger noch die Kritik und erst recht nicht die Leser zu schätzen. Mit Melville ging es bergab.
Rheuma plagte ihn, seine Bücher nahm niemand mehr ernst. Sein Schwiegervater spendierte ihm eine Erholungsreise, die ihn 1856/57 in den Orient und nach Italien führte. Von seinem Versepos „Clarel“über das Heilige Land wurden aber nur noch 300 Exemplare gedruckt. 1863 verkaufte er seinen Hof und ließ sich in New York nieder, nahm eine Stelle als Zollinspektor im Hafen an.
Als Melville 1891 starb, war er vergessen. Er wurde auf dem Woodlawn Cemetery in der Bronx begraben. Hinterlassen hatte er „Billy Budd, Foretopman“, einen unvollendeten Roman, der erst 1924 veröffentlicht und dann von Benjamin Britten zu einer Oper vertont wurde. Zu dieser Zeit wurde endlich auch „Moby-Dick“entdeckt. Sein Kollege und Nachbar Nathaniel Hawthorne schrieb über Herman Melville: „Er ist der Unsterblichkeit eher würdig als die meisten von uns.“