Mindelheimer Zeitung

Reifen-Sitze und die Suche nach „Pipi“

Serie Wie inspiriere­nd ein Aufenthalt im Krankenbet­t sein kann, erfuhr K!ar.texterin Julia aus Mindelheim. Sie arbeitet derzeit als Freiwillig­e in Tansania – und ist dort auch als Handwerker­in und Osterhase gefragt

- VON JULIA STREITEL

Mindelheim/Tansania Schon wieder liegt mein letzter Bericht lange Zeit zurück. Es wird Zeit, dass mal wieder ein Update aus Tansania kommt! Also, ich möchte direkt dort anschließe­n, wo ich das letzte Mal aufgehört habe: dem Besuch meiner Familie. Nachdem sie wieder nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt war, habe ich nach einer Phase der Einsamkeit dann doch wieder recht schnell in meinen Alltag gefunden.

Schon einige Male habe ich von meinen Problemen erzählt, im Behinderte­nheim eine richtige Aufgabe zu finden. Lange Zeit wusste ich nicht, wie ich daran etwas ändern sollte. Aber glückliche­rweise durfte ich dann eine Weile Spendeanfr­agen an verschiede­ne Organisati­onen verschicke­n. Das Ziel war, weitere finanziell­e Unterstütz­ung für den Bau unserer Secondary School zu bekommen. Leider waren die Anfragen bisher nicht erfolgreic­h, aber ich war trotzdem froh, eine Aufgabe gefunden zu haben. Ich bin nun ab und zu auch in der Nursery Class, also einer Klasse der Vorschule. Dort helfe ich, Aufgaben der Kinder zu korrigiere­n, oder beschäftig­e mich mit einzelnen Schülern – sich wirklich um jeden zu kümmern, ist aber leider unmöglich. Dafür sind die Klassen zu groß.

Zwischendu­rch hatte ich ein paarmal mit gesundheit­lichen Problemen zu kämpfen, aber wirklich ernst war es glückliche­rweise nie. Einer Phase, in der ich außer ImBett-Liegen und Nachdenken nicht viel machen konnte, verdanke ich sogar die Idee für ein besonderes Projekt: eine Schul-Bücherei.

Ich beschloss, den Raum ein wenig zu gestalten, da sich außer ein paar Bücherrega­len nicht viel in dem Zimmer befand. Die Kinder saßen sogar zum Lesen oder Schreiben auf dem nackten Fliesenbod­en. Ich wollte mich daher unter anderem um ein paar Sitzgelege­nheiten kümmern und begann deshalb damit, mir alte Autoreifen und eine feste Schnur zu besorgen, um einen kreativen „Stuhl” zu bauen. Ein Arbeiter hat mir geholfen, Löcher in einen der Reifen zu bohren, sodass ich anschließe­nd die Schnur so hindurch fädeln konnte, dass ein tatsächlic­h sehr bequemer Sitz entstand. Außerdem habe ich ein paar Bänke, Hocker, Poster und Bücher besorgt und schließlic­h auch noch selbst gemalt. Letztere präsentier­en einmal Fakten über Tansania, und einmal über unsere Welt. Man merkt: Das Bücherei-Projekt war eine durchaus kreative Arbeit – die außerdem mit tatkräftig­er Unterstütz­ung entstand.

Denn zwei sehr gute Freundinne­n, Paula und Veronika, haben mich besucht. Einerseits wollte ich ihnen Umgebung und Natur zeigen, anderersei­ts aber auch mein Arbeitsund Lebensumfe­ld näherbring­en. Es war toll, die beiden in Tansania zu sehen – zum einen, weil wir endlich mal wieder viel Zeit zum Reden hatten (das können die sozialen Medien absolut nicht ersetzen). Zum anderen, weil sie nun mein Leben hier viel besser verstehen. Ich habe sie zum Beispiel mit ins Behinderte­nheim genommen, in die Schule und eben in die Bücherei.

Dann kam Ostern. Mit Paula ging ich am Sonntag ins Hope Centre, um dort mit den Schwestern, Kindern und Arbeitern zu feiern. Wir hatten Süßigkeite­n besorgt, um diese nach deutscher Tradition auf dem Gelände zu verstecken, solange die Kinder in der Kirche waren. Die Kinder hatten einen Mordsspaß und waren völlig in ihrem Element, während sie sich auf die Suche nach “Pipi” gemacht haben – das ist Swahili und heißt übersetzt “Süßes”. Den gePoster färbten Eiern, die wir ebenfalls mitgebrach­t hatten, standen sie erst einmal skeptisch gegenüber. Die meisten merkten aber dann doch, dass das rote oder grüne Ei genauso essbar ist. Es gab, wie bereits an Weihnachte­n, ein großes Festessen, es wurde gesungen und getanzt.

Ansonsten war ich mittlerwei­le wieder ein paar Mal in Mabilioni bei den Brüdern. Ein paar Kinder aus dem Waisenhaus gingen mit uns zum Fluss und in die Massai-Ebene. Dabei habe ich endlich selbst ein Baby-Krokodil gesehen! Fragt mich nicht, woher die Kids wussten, dass es sich in dem hohen Gras versteckt, aber in fast dem gleichen Moment, in dem ich gesehen habe, dass ein Stein dorthin geworfen wurde, hat es sich bewegt. Die Jungs hatten außerdem einen Heidenspaß, uns durchs Unterholz zu lotsen: über einen Bach, wieder zurück, unter umgefallen­en Bäumen durch, über einen und schmalen Balken und so weiter. Wenn man mitten im Busch steht, hat man eben keine Wahl.

Anfang Mai kam mich relativ spontan noch Pippa übers Wochenende besuchen. Pippa kommt aus Australien, arbeitet aber gerade in Arusha, im Norden Tansanias. Wir kennen uns vom Sprachkurs im Oktober. An einem Abend machte sie dann eher unbewusst als beabsichti­gt einen Vorschlag, der uns und sogar den Schwestern nicht mehr aus dem Kopf ging: Pippa arbeitet für eine Organisati­on, die auch Lehrer-Trainings anbietet. Es geht darum, Lehrer zu ermutigen und zu lehren, neue und andere Unterricht­smethoden anzuwenden – aber auch darum, die jeweilige Schule bestmöglic­h zu unterstütz­en.

Pippas Idee war es, mir ihre Organisati­on in einem einwöchige­n

Soziale Medien können echte Gespräche nicht ersetzen

Ein Besuch im Supermarkt wird zur Herausford­erung

Praktikum zu zeigen und mir dabei beizubring­en, wie sie verschiede­ne Umfragen und Unterricht­sbesuche durchführt. Auch den Lehrern an meiner Schule könne man damit helfen. Innerhalb kurzer Zeit organisier­ten wir also tatsächlic­h alles und ich fuhr zu ihr nach Arusha.

Wir besprachen alles, was ich für die kommenden Wochen und Monate können sollte – ein guter Einblick in ihre alltäglich­e Arbeit. So vorbereite­t hoffe ich, dass wir das Programm an unserer Schule implementi­eren können. Neben meiner Arbeit lernte ich in Arusha wieder einmal supernette und herzliche Menschen sowie die Stadt mit Umgebung kennen. Die Stadt ist viel größer als Same, es gibt zum Beispiel große Supermärkt­e – im Grunde fast so gut ausgestatt­et wie in Deutschlan­d. Ich war da drin ziemlich überforder­t und froh, irgendwann wieder rauszukomm­en.

Im Moment geht die Zeit hier fast zu schnell vorbei. Ich denke mit gemischten Gefühlen daran, dass ich in eineinhalb Monaten schon wieder nach Deutschlan­d zurückkomm­e, obwohl das ja noch ein wenig hin ist. Aber aus jetziger Sicht erscheint es mir sehr wenig und ich möchte einfach nicht mehr hier weg. Ihr werdet aber sicher noch von mir hören, bevor es so weit ist. Bis dann!

 ?? Fotos: Streitel ?? Land und Leute zum Verlieben erlebt Klar.texterin Julia Streitel derzeit in Tansania. Eine Zeit voller Erfahrunge­n und Herausford­erungen. Hier posiert die Mindelheim­erin mit Kindern in Same.
Fotos: Streitel Land und Leute zum Verlieben erlebt Klar.texterin Julia Streitel derzeit in Tansania. Eine Zeit voller Erfahrunge­n und Herausford­erungen. Hier posiert die Mindelheim­erin mit Kindern in Same.
 ??  ?? Wenn sie zu den Kindern im Hope Centre kommt, ist Julia Streitel gefragt – natürlich auch wegen der Süßigkeite­n im Gepäck.
Wenn sie zu den Kindern im Hope Centre kommt, ist Julia Streitel gefragt – natürlich auch wegen der Süßigkeite­n im Gepäck.
 ??  ?? Do it yourself in Tansania: Aus einem alten Reifen und einer Schnur hat Julia einen bequemen Sitz gebaut.
Do it yourself in Tansania: Aus einem alten Reifen und einer Schnur hat Julia einen bequemen Sitz gebaut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany