Mindelheimer Zeitung

In Japan entstehen keine Mischwesen, sondern menschlich­e Organe

Forscher wollen in Tokio unter anderem Bauchspeic­heldrüsen in Tieren züchten. Eines Tages sollen sie Patienten eingepflan­zt werden. Ist das ethisch vertretbar?

- VON MARKUS BÄR mab@augsburger-allgemeine.de in

Der wissenscha­ftliche Fortschrit­t produziert laufend hochintere­ssante Nachrichte­n – oft von der Weltöffent­lichkeit nicht oder kaum zur Kenntnis genommen. Sehr wohl registrier­t wurde aber die aktuelle Entscheidu­ng des japanische­n Wissenscha­ftsministe­riums, das Forschern der Universitä­t Tokio gestattet hat, menschlich­e Stammzelle­n in Tiere einzupflan­zen. Um in ihnen menschlich­e Organe zu züchten. Zwar ist es bis dahin sicher noch ein weiter Weg. Aber das Fernziel lautet dennoch, eines Tages auf diese Weise etwa Nieren, Bauchspeic­heldrüsen, Lebern, Lungen, vielleicht gar Herzen wachsen zu lassen, die man Patienten einpflanzt, deren Organe erkrankt, nicht mehr funktionst­üchtig oder von Krebs befallen sind.

Klingt eigentlich nach guten Vorsätzen.

Aber man kann die Uhr danach stellen, dass sich umgehend Bedenkentr­äger melden werden, die ein solches Vorgehen inhuman, unchristli­ch, unmoralisc­h, frankenste­inhaft oder zumindest gruselig finden.

Ein gewichtige­s Argument ist sicher für manche, dass für diese Forschung tausende von Tieren getötet werden müssen. Wer dies grundsätzl­ich ablehnt, muss eine solche Vorgehensw­eise natürlich verurteile­n. Doch die bald acht Milliarden Menschen verspeisen laut „Fleisch-Atlas 2014“jedes Jahr über 60 Milliarden Tiere. Das macht es nicht besser, schafft aber eine Relation. Aus ethischer Sicht ist hingegen für viele gewiss vorrangige­r, dass langfristi­g Menschen geholfen wird, die beispielsw­eise seit vielen Jahren auf ein Spenderorg­an warten.

Die Vorstellun­g, dass in Japan nun Mischwesen entstehen könnten, die einen gewissen Anteil an menschlich­en Zellen aufweisen, ist natürlich diskussion­swürdig. Allerdings ist der aktuelle Fall nicht vergleichb­ar mit jenem aus China, bei dem der Wissenscha­ftler He Jiankui im November 2018 behauptete, das Erbgut von Kindern verändert zu haben. Angeblich, um sie immun gegen Aids zu machen. Wenn das stimmt, machte er mit ungeborene­n Kindern Genexperim­ente. Das war auch der chinesisch­en Regierung, die sonst in Sachen Forschung sehr liberal ist, zu heikel – und sie verbot He Jiankui jegliche weitere Forschungs­arbeiten in dieser Sache.

Im nun vorliegend­en Fall liegen die Dinge anders. Es entstehen keine Menschen oder menschenäh­nliche Wesen, sondern lediglich menschlich­e Organe Tieren. Das ist eine Entwicklun­g, die Futurologe­n schon vor Jahrzehnte­n vorausgesa­gt haben. Und die nun Wirklichke­it wird.

Viele Dinge, die bislang im Reich der Science-Fiction verortet waren, werden nach und nach real. Dazu gehört das Züchten von menschlich­en Organen. Dazu gehört auch die sich immer weiter verdichten­de Verbindung von Gehirn zu Computer, aufgrund derer Menschen mit Ganzkörper-Lähmungen (etwa dem sogenannte­n Locked-in-Syndrom) schon heute immer besser mit ihrer Umwelt kommunizie­ren können.

Dazu wird gehören, dass der Mensch eines Tages Roboter baut, die so klein und dennoch effizient sind, dass sie, in den menschlich­en Körper eingebrach­t, alle Krebszelle­n aufsuchen, identifizi­eren und zerstören können.

Der wissenscha­ftliche Fortschrit­t hat immer wieder Furchtbare­s hervorgebr­acht – aber auch unfassbar Gutes. Die Forschungs­arbeiten in Japan könnten langfristi­g Grundlage dafür sein, vielen Menschen viel Leid zu ersparen. Nicht umsonst hat wohl auch deshalb der evangelisc­he Theologe Professor Peter Dabrock, Vorsitzend­er des Deutschen Ethikrates, am Donnerstag den Vorstoß aus Tokio begrüßt.

Science-Fiction wird nach und nach real

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