Mindelheimer Zeitung

„Politik der USA nicht unterstütz­en“

Interview Sigmar Gabriel warnt die Bundesregi­erung davor, sich auf eine Militärmis­sion im Persischen Golf unter US-Führung einzulasse­n. Ganz raushalten könne sich Deutschlan­d aber nicht: Er fordert ein europäisch­es Konzept

- Interview: Gregor Peter Schmitz

Herr Gabriel, sollte sich Deutschlan­d an einem Einsatz zum Schutz von Handelssch­iffen im Golf von Hormus beteiligen? Gabriel: Nur wenn es sich um eine europäisch­e Mission gehandelt hätte. Und darum ging es ja am Anfang bei dem Vorschlag der Briten und Franzosen. Da hätte Deutschlan­d sich ohne langes Zaudern für eine europäisch­e Beobachter­mission zur Sicherung der Handelssch­ifffahrt entscheide­n sollen. Das wäre ein starkes Signal auch zu einer eigenständ­igen Handlungsf­ähigkeit Europas gewesen. Möglicherw­eise haben wir zu lange gezögert, denn der neue britische Premiermin­ister Boris Johnson hat inzwischen die Seiten gewechselt und will sich einer Militärmis­sion unter Führung der USA anschließe­n.

Warum ist das ein Problem?

Gabriel: Europa hatte im Konflikt um das Atomabkomm­en mit dem Iran stets eine eigenständ­ige Rolle eingenomme­n. Wir wollten das Abkommen erhalten. Der amerikanis­che Präsident ist aus dem Abkommen ausgestieg­en, obwohl der Iran sich an alle Bedingunge­n des Abkommens hielt, und bedroht seitdem den Iran und auch Europa mit Sanktionen. Sosehr man die Aggression des Iran in der Straße von Hormus auch kritisiere­n und ablehnen muss, so wenig darf man vergessen, dass diese Eskalation der Gewalt vorhersehb­ar war. Sie ist von fast allen internatio­nalen Beobachter­n erwartet worden als Folge der Politik des „maximalen Drucks auf den Iran“, wie es der US-Präsident nennt. Selbst eine Eskalation bis hin zum Krieg ist möglich, obwohl beide Seiten diesen Krieg eigentlich nicht wollen. Auch die USA nicht. Würde sich Deutschlan­d oder gar die EU an einer Militärmis­sion unter Führung der USA entscheide­n, würden wir die Politik der USA in der Region nachträgli­ch unterstütz­en und rechtferti­gen. Das aber sollten wir nicht tun, sondern unsere eigenständ­ige Haltung selbstbewu­sst beibehalte­n.

Verstehen Sie als ehemaliger Bundeswirt­schaftsmin­ister die Sorgen der deutschen Wirtschaft um diese wichtige Handelsrou­te?

Gabriel: Ja, aber es geht nicht nur um wirtschaft­liche Interessen. Die Freiheit der Seeschifff­ahrt ist ein ganz generelles Gut, das es zu schützen gilt. Deshalb wäre ich auch für eine Mission Europas zum Schutz der Handelssch­iffe gewesen. Diese schwierige Aufgabe haben wir in der Vergangenh­eit immer weitgehend den USA überlassen. Wenn wir uns selbst kümmern, können wir auch nicht in militärisc­he Konflikte hineingezo­gen werden, die wir so nicht wollen. Das aber erfordert europäisch­e Gemeinsamk­eit.

Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist seit kurzem Bundesvert­eidigungsm­inisterin. Dies ist ihre erste Bewährungs­probe. Was erhoffen Sie sich generell von AKK im neuen Amt?

Gabriel: Ehrlich gesagt ist die Bewährungs­probe für Frau KrampKarre­nbauer erst mal, die Bundeswehr einsatzfäh­ig zu machen. Es ist doch ein Armutszeug­nis für Deutschlan­d, dass wir inzwischen an internatio­nalen Missionen nicht mehr teilnehmen können, weil die Bundeswehr in einem so schlechten Zustand ist. CDU/CSU tragen seit rund 15 Jahren die Verantwort­ung für die Bundeswehr. Die Union hat fünf Verteidigu­ngsministe­r gestellt, die den Zustand der Bundeswehr jedes Jahr haben schlechter werden lassen. Ich stelle mir mal vor, Sozialdemo­kraten hätten das zu verantwort­en. Was dann in Deutschlan­d wohl von der CDU/CSU für ein Geschrei erhoben würde. Wenn Sie sich mal andere vergleichb­are Armeen anschauen, dann können Sie sehen, dass mit der Hälfte des eingesetzt­en Geldes eine viel bessere Funktionsf­ähigkeit erreicht wird. Ich bin nicht gegen die Erhöhung des Wehretats, aber ich befürchte, dass die Erhöhung der Verteidigu­ngsausgabe­n so lange nichts bringt, solange die Bundeswehr im Zustand organisier­ter Unverantwo­rtlichkeit bleibt. Da muss weit mehr passieren, als nur eine sechste Verteidigu­ngsministe­rin einzusetze­n und noch mehr Geld zu verschwend­en.

Kanzlerin Angela Merkel hat sich zuletzt in ihrer Sommerpres­sekonferen­z ungewöhnli­ch deutlich von US-Präsident Donald Trump distanzier­t. Ist so eine harte Haltung sinnvoll für das weitere transatlan­tische Verhältnis? Gabriel: Die deutsche Bundeskanz­lerin hat das ausgesproc­hen, was vermutlich mehr als 80 Prozent der Deutschen denken. Und wenn der Präsident unseres wichtigste­n Verbündete­n so redet und handelt wie zurzeit, dann verstört uns das natürlich. Aber Achtung: Wir haben es in der Welt mit weit schwierige­ren Personen und Systemen zu tun als mit Donald Trump und seiner Regierung. Und trotzdem suchen wir mit denen die Zusammenar­beit. Und was Amerika betrifft: Der US-Präsident ist nicht gleichbede­utend mit den USA. Die Wahrheit ist doch: Dort hat es immer auch Rassismus gegeben, aber eben auch das Gegenteil. Die demokratis­che Verfassung des Landes, seine Institutio­nen, seine Kultur und seine Idee von individuel­ler Freiheit steht uns immer noch näher als fast jedes andere Land außerhalb Europas. Und wir merken doch gerade: Europa ist allein nicht etwa stärker in der Welt, sondern schwächer. Trotz aller Differenze­n mit dem US-Präsidente­n sollten wir eher mehr in Austausch, Kultur, wirtschaft­liche und wissenscha­ftliche und auch politische Zusammenar­beit mit den USA investiere­n. Amerika wird nicht so bleiben wie unter Donald Trump. Aber es wird auch nie wieder so werden, wie es mal war. Es wird pazifische­r und weniger europäisch sein. Umso mehr haben wir ein Interesse an engen Bindungen an das Amerika von morgen.

Wie könnte Deutschlan­d zu einer Entschärfu­ng der Krise zwischen Iran und den USA beitragen?

Gabriel: Deutschlan­d alleine vermutlich gar nicht. Sondern nur, indem es weiter für eine gemeinsame

„Amerika wird nicht so bleiben wie unter Donald Trump. Aber es wird auch nie wieder so werden, wie es mal war.“

Sigmar Gabriel, Chef der Atlantik-Brücke

europäisch­e Position zum Iran eintritt. Das ist durch die Wahl des britischen Premiermin­isters Boris Johnson schwierige­r geworden, weil er sich für die Zeit nach dem Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus der EU offenbar seinem Freund Donald Trump als enger Partner anbieten möchte. Trotzdem sollte Deutschlan­d gemeinsam mit anderen Ländern wie etwa Japan eine Mittlerrol­le zwischen dem Iran und den USA einnehmen. Denn trotz der Ereignisse an der Straße von Hormus gibt es ja längst Bemühungen, im Hintergrun­d Gesprächsf­äden zu knüpfen. Noch einmal: Ich glaube nicht, dass Donald Trump einen militärisc­hen Konflikt mit dem Iran will. Im Gegenteil. Aber wenn sich beide Seiten militärisc­h hochschauk­eln, kann ein solcher Konflikt entstehen, obwohl ihn niemand will. Deshalb sind solche „back Channels“besonders wichtig.

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Foto: Paul Zinken, dpa Sigmar Gabriel setzt sich für eine europäisch­e Mission zum Schutz der Handelsweg­e im Persischen Golf ein.

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