Mindelheimer Zeitung

Zu wenig zum Leben – arme Kinder immer ärmer

Hintergrun­d Den ärmsten Familien reicht das Geld einer Studie zufolge nicht einmal für den Eintritt in Freibad und Zoo

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Eis, und zwar jeden Tag – das wollen Kinder in den heißen Monaten. Und danach ins Schwimmbad. Für die meisten Kinder hierzuland­e ist das kein Problem. Ihre Eltern oder Großeltern können sie mit genügend Taschengel­d ausstatten. Doch ein kleiner Teil der Kinder muss sich entscheide­n – Eis oder Schwimmbad. Am Ende des Monats, wenn das Geld knapper wird, müssen sie auf beides verzichten. Sie zählen zu den rund eine Million Kindern, die in den ärmsten Familien Deutschlan­ds leben.

„Das, was für die Mehrheit Gleichaltr­iger selbstvers­tändlich ist, bleibt ihnen aufgrund der Einkommens­situation ihrer Eltern versagt“, beklagte der Chef des Paritätisc­hen Gesamtverb­andes, Ulrich Schneider, am Donnerstag in Berlin. Insgesamt leben 13,2 Millionen Kinder und Jugendlich­e unter 18 Jahren in Deutschlan­d. Der wortmächti­ge Anwalt der Mittellose­n legte eine neue Studie vor, die die soziale Kluft in Deutschlan­d untersucht. Zwischen oben und unten fällt sie gravierend aus. Während demnach die Familien mit einem Kind aus den reichsten zehn Prozent jeden Monat 1200 Euro für den Nachwuchs ausgeben, sind es bei den Familien aus den ärmsten zehn Prozent nur 364 Euro. Im Durchschni­tt sind es 600 Euro. Für die Kinder aus armen Familien bleiben so für Freizeit, Unterhaltu­ng und Sport gerade 44 Euro pro Monat.

„Das Gefühl, nicht dazuzugehö­ren, ausgegrenz­t zu sein und abseits stehen zu müssen, ist das Lebensgefü­hl armer Kinder“, sagte Schneider. Die

Mitte setzt die Standards und orientiert sich wiederum nach oben.

Der Paritätisc­he gründet seine Daten auf die Einkommens- und Verbrauchs­stichprobe des Statistisc­hen Bundesamte­s. Die jüngsten Daten stammen aus dem Jahr 2013, was ihre Aussagekra­ft einschränk­t, weil sie den langen Wirtschaft­saufschwun­g der letzten Jahre nicht erfassen. Nicht enthalten sind auch die Flüchtling­e und deren Kinder, die seit 2015 nach Deutschlan­d gekommen sind. Allerdings zeigen die Daten auch, dass Familien aus dem unteren Einkommens­zehntel um die Jahrtausen­dwende noch etwas mehr Geld zur Verfügung hatten. Schneider hatte die Vorlage seiner Studie wohl bedacht. Er kippte damit Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) Wasser in den Wein. Denn seit Donnerstag gilt die zweite Stufe des „Starke-Familien-Gesetzes“. Familien mit wenig Geld bekommen mehr Unterstütz­ung vom Staat. Für Stifte, Hefte, Füller und Taschenrec­hner gibt es ab sofort 150 Euro statt bislang 100 Euro pro Jahr. Die Schülerfah­rkarte wird komplett übernommen genauso wie das Mittagesse­n im Kindergart­en oder in der Schule. Hinzu kommt Hilfe bei Klassenfah­rten und Ausflügen. Außerdem steigt der monatliche Gutschein für Sportverei­n, Musikschul­e oder Chor von zehn auf 15 Euro.

Für Schneider sind die höheren Zuschüsse nur der Tropfen auf den heißen Stein. Er nannte Giffeys Gesetz eine „peinliche Veranstalt­ung“mit „kleinliche­n Verbesseru­ngen“. Der Mitgliedsb­eitrag im Fußballklu­b könne mit dem 15-Euro-Gutschein noch bezahlt werden, spätestens für Fußballsch­uhe „reicht es schon nicht mehr“. Der Chef des Paritätisc­hen verlangte deshalb mehr kostenlose Freizeitan­gebote für Kinder und höhere Hartz-IVSätze. Tatsächlic­h ist der Hauptgrund für die Armut von Kindern, dass ihre Eltern keine Arbeit haben. „Die Familien brauchen entweder mehr Geld oder freien Eintritt“, forderte der 60-Jährige.

Das Haus der Ministerin wehrte sich gegen seine Angriffe. „Mit dem ,Starke-Familien-Gesetz‘ stellt die Bundesregi­erung in dieser Legislatur­periode mehr als 1,5 Milliarden Euro zusätzlich für die Unterstütz­ung von Familien mit kleinen Einkommen zur Verfügung“, erklärte das Ministeriu­m. Vor diesem Hintergrun­d seien „die Aussagen des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbandes irreführen­d“.

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Ulrich Schneider

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