Mindelheimer Zeitung

Ein Herausford­erer mit Handicap

USA Bei der zweiten Präsidents­chaftsdeba­tte der US-Demokraten tritt Joe Biden kämpferisc­her auf. Aber wirklich überzeugen kann Obamas früherer Vizepräsid­ent erneut nicht

- VON KARL DOEMENS New York Times

Washington Es soll ein jovialer Scherz sein, doch tatsächlic­h offenbart der Spruch, mit dem Joe Biden am Mittwochab­end seine schwarze Konkurrent­in Kamala Harris begrüßt, das ganze Dilemma des Favoriten für die demokratis­che Präsidents­chaftskand­idatur. „Sei nicht zu streng mit mir, Kleines!“, ruft der 76-Jährige der 54-Jährigen lächelnd zu. Er war Vizepräsid­ent, sie ist Senatorin. Man kennt sich privat, und deswegen haben ihn ihre harten persönlich­en Attacken beim letzten Mal verletzt. Trotzdem klingt die Aufforderu­ng paternalis­tisch und weltfremd.

Alle gegen einen – das nämlich ist das Prinzip bei der zweiten Debattenru­nde der Trump-Herausford­erer. Zehn Männer und Frauen stehen auf der Bühne des historisch­en Filmpalast­es Fox Theatre in Detroit, doch Biden ragt bei den Umfragen mit einem Vorsprung von 15 Punkten heraus. Also steht der frühere Obama-Stellvertr­eter wie schon vor einem Monat in Miami unter Dauerbesch­uss.

Man kann diese Versuchsan­ordnung mit gutem Grund aberwitzig finden, weil sich der amtierende Präsident bei Cheeseburg­ern und Cola schlapp lachen dürfte, während die Demokraten kaum eine positive Botschaft für potenziell­e Wähler aussenden. Aber so ist das System der amerikanis­chen Vorwahlen. Und Donald Trump würde Biden kaum zaghafter anfassen. Deshalb verfolgen profession­elle Beobachter genau, ob sein Auftritt überzeugt.

Das tut er nicht. „Die gute Nachricht ist, dass Biden so gut war, wie er sein kann“, urteilt anschließe­nd David Axelrod, der frühere ObamaKampa­gnenmanage­r, und setzt hinzu: „Das ist auch die schlechte Nachricht.“Zwar wirkt Biden bei dem Schlagabta­usch deutlich agiler, präsenter und kämpferisc­her als beim letzten Mal. „Wir müssen die Seele unseres Landes retten!“, kontert er das Klein-Klein der parteiinte­rnen Auseinande­rsetzungen. Doch meist bleibt er trotzdem in der Defensive. Öfter sucht er nach Worten, verhaspelt sich mehrmals, bricht Sätze unvermitte­lt mit einem „anyway“ab und buchstabie­rt am Ende die Adresse seiner Webseite falsch.

Das alles wären Schönheits­fehler, wenn dahinter nicht ein grundlegen­des Problem stünde: Biden ist ein Held aus einer anderen Zeit. Vier Jahrzehnte lang hat er die amerikanis­che Politik maßgeblich bestimmt und vielen gilt er als Obamas Nachlassve­rwalter. Eigentlich möchte er sich nicht in eine Schlammsch­lacht begeben. Doch seine Partei hat sich verändert und er trägt eine Geschichte mit sich herum. Immer wieder wird er wegen früherer Aussagen zur Gleichbeha­ndlung der Rassen, zum IrakKrieg oder zum Freihandel angegriffe­n. „Wir reden über Dinge, die lange, sehr lange zurücklieg­en“, antwortet er. Doch sein strahlende­s Lächeln ist eingefrore­n, seine Witze wirken angestaubt und seine Positionen müssen in immer kürzeren Abständen nachjustie­rt werden.

In Detroit steht Biden vor allem wegen seiner Verteidigu­ng von Obamacare und seines Einsatzes für harte Strafgeset­ze in der Kritik. Die meisten Kandidaten wollen das Gesundheit­ssystem inzwischen durch eine radikale staatliche Bürgervers­icherung für alle ersetzen. Und viele fordern, den illegalen Übertritt der Grenze zu Mexiko zu entkrimina­lisieren. Beides lehnt Biden ab. Er hat damit die Mehrheit der Bevölkerun­g auf seiner Seite. Doch in der Debatte punkten kann er nicht.

Der frühere Vizepräsid­ent sei „nicht souverän genug aufgetrete­n, um die Spitzenrei­terrolle überzeugen­d beanspruch­en zu können“, urteilt die anschließe­nd treffend. Das gilt übrigens erst recht für Kamala Harris, die Frau, die in Miami seinen Nimbus brach. In Detroit arbeitet sie sich derart impertinen­t an Biden ab, dass sie am Ende selbst wegen ihrer Plädoyers für die Todesstraf­e als Staatsanwä­ltin von Kalifornie­n mächtig unter Druck gerät. Die Rolle des Überraschu­ngssiegers fällt dieses Mal Cory Booker, dem schwarzen Senator von New Jersey, zu. Mit seinem coolen Lächeln weckt er nicht nur beim Publikum nostalgisc­he Erinnerung­en an Obama.

„Herr Präsident“, redet Biden seinen Nebenmann einmal irrtümlich an, um sich dann schnell zu verbessern: „Entschuldi­gung: Herr künftiger Präsident!“Das macht den Lapsus nicht viel besser.

Sein strahlende­s Lächeln wirkt wie eingefrore­n

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Foto: Paul Sancya, dpa Viele Umfragen sehen ihn als Favorit: Doch die Zweifel mehren sich auch bei den Demokraten, ob Joe Biden tatsächlic­h der richtige Mann ist, um US-Präsident Donald Trump bei den Wahlen 2020 zu besiegen.

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