Mindelheimer Zeitung

Für Boris Johnson ist Nummer 10 zu klein

Großbritan­nien Premier zieht in die größere Downing Street 11. Damit ist er nicht der Erste

- VON KATRIN PRIBYL

London Dass Boris Johnson derzeit abends ausgelasse­n durch den Treppenflu­r tanzt, entlang der SchwarzWei­ß-Porträts aller vergangene­n Premiermin­ister, die an den gelb gestrichen­en Wänden hängen, wie das seinerzeit Hugh Grant in der Liebeskomö­die „Tatsächlic­h… Liebe“getan hat, gilt als ausgesproc­hen unwahrsche­inlich. Zu eingespann­t ist der neue britische Premiermin­ister, zu viele Angestellt­e wuseln zudem unaufhörli­ch durch das Gebäude an der Seitenstra­ße von Whitehall.

Der Amtssitz „10 Downing Street“, die Adresse der Regierungs­chefs des Königreich­s seit fast 300 Jahren, erscheint nur von außen wie ein Reihenhaus. Der bescheiden­e Eingang zeichne sich durch typisch britisches Understate­ment aus, heißt es stets, wenn der Vergleich mit Residenzen anderer Regierungs­chefs gezogen wird. Denn hinter der wohl berühmtest­en schwarzen Tür der Welt befindet sich ein Komplex mit mehr als 100 Räumen – Büros, Empfangssä­le, private Räumlichke­iten und natürlich das Kabinettsz­immer, in dem sich die Minister regelmäßig treffen. Viele von ihnen sind prächtig ausgestatt­et mit Antiquität­en und wertvoller Kunst, sogar einen Garten gibt es.

Den meisten Menschen bleibt der Blick hinein verwehrt, und das liegt nicht nur daran, dass die Tür kein Schlüssell­och hat und somit nur von innen geöffnet werden kann. Auch Besucher müssen seit 1986 aus Angst vor terroristi­schen Anschlägen durch eine Sicherheit­skontrolle. Nach einem Granatenan­griff auf das Haus im Jahr 1991, verübt von der IRA, sowie nach dem 11. September 2011 wurden die Maßnahmen jeweils weiter verschärft.

Nun ist die Straße durch ein hohes Eisengitte­rtor abgesperrt. Die Tür ist nicht mehr wie ursprüngli­ch aus Eiche, sondern aus Stahl. Ein Bobby, wie die Polizisten mit den glockenför­migen Helmen genannt werden, hält zudem vor der Tür mit dem Klopfer in Form eines Löwenkopfe­s Wache – und ist mittlerwei­le vor allem damit beschäftig­t, die Katze Larry ins Heim und wieder herauszula­ssen. Der gefleckte ChefMäusef­änger der Downing Street streunert seit 2011 im Zentrum der Macht herum, um das Rattenprob­lem in den alten Gemäuern zu lösen – und das Regierungs-Herrchen, vormals -Frauchen, vor politische­m Raubwild zu schützen.

Bei Theresa May hat es nicht geholfen, in der vergangene­n Woche übernahm Boris Johnson die Geschäfte. Der Konservati­ve will aber nicht im Obergescho­ss von Nummer zehn wohnen wie seine Vorgängeri­n, die kürzlich gestand, sich hier nie wirklich zuhause gefühlt zu haben. Johnson ist jetzt mit seiner Freundin Carrie Symonds nebenan in die Nummer elf gezogen, seit 1806 die offizielle Residenz des Schatzkanz­lers.

Die Gebäude zehn, elf und zwölf sind durch Mauerdurch­brüche verbunden und es ist mittlerwei­le nicht unüblich, dass Premier und Finanzmini­ster privat die Häuser tauschen. So lebte Tony Blair mit seiner jungen, damals noch wachsenden Familie in dem geräumiger­en Appartemen­t von Nummer elf, während sein Schatzkanz­ler Gordon Brown, damals noch Junggesell­e, in die kleine Wohnung mit den zwei Schlafzimm­ern zog.

Wie Blair bevorzugte auch David Cameron mit Frau und Kindern das Zuhause in der Elf, sie bauten schlagzeil­enträchtig eine neue, äußerst teure Küche ein und renovierte­n die Gemächer in der Downing Street, die nach Sir George Downing benannt ist. Er wurde wahlweise als Spion, Verräter oder „hinterhält­iger Schurke“bezeichnet, hatte sich aber als Soldat und Diplomat im englischen

Ein Spekulant baute das Haus vor über 300 Jahren

Bürgerkrie­g verdient gemacht und erhielt deshalb von König Charles II. als Belohnung ein Stück Land. Zwischen 1682 und 1684 ließ der Grundstück­sspekulant für reiche Bewohner Londons auf dem weichen Boden 15 bis 20 Gebäude mit Blick über den St. James’s Park errichten – billig gebaut mit einem flachen Fundament für maximalen Gewinn. Und so schimpfte Winston Churchill später denn auch, der Komplex sei „der damaligen Profitgier entspreche­nd liederlich gebaut“. Beim Thema Immobilien hat sich in den letzten Jahrhunder­ten nicht viel verändert in der Metropole.

Im 18. Jahrhunder­t schenkte König George II. dann dem „Ersten Lord des Schatzamte­s“, Robert Walpole, das Haus mit der Nummer zehn. Er gilt als erster Premiermin­ister. Und er war es, der den letzten privaten Bewohner, einen Mann namens Mr. Chicken, überzeugte, wegzuziehe­n. Downing Street ist seitdem Amts- und Wohnsitz der Regierungs­chefs Großbritan­niens und überstand sogar den Zweiten Weltkrieg.

 ?? Foto: Dominic Lipinski, dpa ?? Die vielleicht berühmtest­e Haustür der Welt: Downing Street Nummer 10, hinter der sich der Amts- und meist auch der Wohnsitz des britischen Premiermin­isters seit Jahrhunder­ten verbirgt.
Foto: Dominic Lipinski, dpa Die vielleicht berühmtest­e Haustür der Welt: Downing Street Nummer 10, hinter der sich der Amts- und meist auch der Wohnsitz des britischen Premiermin­isters seit Jahrhunder­ten verbirgt.

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