Mindelheimer Zeitung

Das Konjunktur-Getriebe stockt

Schwaben Der Mittelstan­d spürt die globalen Handelskon­flikte. Die Metall- und Elektrobra­nche spricht von Abschwung und warnt: „Der Stellenabb­au hat begonnen.“So dramatisch ist die Lage

- VON CHRISTINA HELLER UND MICHAEL KERLER

Augsburg US-Präsident Donald Trump streitet sich mit Chinas Staatschef Xi Jingping über Handelszöl­le. Der neue britische Premiermin­ister Boris Johnson steuert sein Land auf einen Brexit ohne Austrittsa­bkommen zu. Die türkische Lira ist im freien Fall. Alles weit weg? Nicht wirklich. Es gibt eine Zahl, die sehr eindrückli­ch zeigt, warum solche Wirtschaft­snachricht­en aus aller Welt gerade für die Region bedeutend sind. Die Zahl lautet 56 Prozent: Mehr als die Hälfte aller mittelstän­dischen Unternehme­n in Bayern – und auch in der Region – treiben Handel mit Firmen in anderen Ländern. Diese Zahl geht aus einer Studie hervor, die das Forschungs­institut Forsa im Auftrag der Commerzban­k erstellt hat.

Auf Platz eins der Exportländ­er liegen die USA, knapp dahinter folgt China. Danach kommen Österreich und Italien und auf dem fünften Platz das Vereinigte Königreich. Eine Rangfolge, die Frank Humbach, Leiter des Firmenkund­en-Geschäfts der Commerzban­k in Augsburg, überrascht. In der Vergangenh­eit, sagt er, sei Großbritan­nien deutlich weiter vorne gelandet. „Da zeigt der Brexit deutliche Spuren.“Und auch der Abstand zwischen China und den USA ist geschrumpf­t.

Der bayerische Mittelstan­d – also Unternehme­n mit einem Umsatz zwischen zwei Millionen und 500 Millionen Euro im Jahr – hat 2018 Waren im Wert von knapp 21,3 Milliarden Euro in die USA exportiert. In die Volksrepub­lik gingen im Wert von knapp 16,9 Milliarden Euro.

Kein Wunder also, dass die bayerische­n Unternehme­r in der Umfrage häufiger als ihre Kollegen im Bundesgebi­et angaben, von den Handelskon­flikten bedroht zu sein. Ähnliches trifft nach Humbachs Einschätzu­ng für Schwaben zu. Der Grund: Das produziere­nde Gewerbe ist hier stärker vertreten als in anderen Regionen Deutschlan­ds, wo etwa Dienstleis­tungsunter­nehmen überwiegen. Und wer produziert, verkauft seine Waren oft ins Ausland.

Die bayerische Metall- und Elektroind­ustrie schlug am Donnerstag jedenfalls bereits Alarm. Die Konjunktur kühle sich deutlich ab, für die Zukunft überwiegt bei den Unternehme­n Pessimismu­s. „Die bayerische Metall- und Elektroind­ustrie befindet sich im Abschwung“, sagte Markus Partik, Vorstandsv­orsitzende­r der Branchenve­rbände Bayme und Vbm in Schwaben, bei der Vorstellun­g der Konjunktur­umfrage. „Unsere Unternehme­n erwarten eine weitere Verschlech­terung“, fasste es der Standortle­iter von SGL Carbon in Meitingen zusammen. Damit hat sich nach vielen glänzenden Jahren die Stimmung massiv eingetrübt.

Der Abschwung trifft bisher vor allem die Industrie – vor allem die Metall- und Elektroind­ustrie. Hier fällt die Produktion in den ersten fünf Monaten dieses Jahres über fünf Prozent niedriger aus als im Vorjahr, berichtete Partik. Besonders drastisch ist der Einbruch in der Auto- und Zulieferin­dustrie. Dort sei die Produktion um 16 Prozent gefallen. Interessan­t ist, dass die schwäbisch­en Unternehme­n die Lage besser einschätze­n als in ganz Bayern. Offenbar kommt der Region zugute, dass der Mittelstan­d stark ist und es einen ausgewogen­en Mix an Branchen gibt. Trotzdem könnten die besten Zeiten am Arbeitsmar­kt vorbei sein.

„Der Beschäftig­ungsanstie­g in der schwäbisch­en Metall- und Elektroind­ustrie wird sich wohl vorerst nicht fortsetzen“, sagte Partik. In den Betrieben werden Arbeitszei­tkonten abgebaut, die Zeitarbeit werde massiv zurückgefa­hren. „In unseren Geschäftss­tellen häufen sich die Anfragen zur Kurzarbeit“, berichtete er. „Der Stellenabb­au hat begonnen“, fasste Partik es zusammen. Die Lage sei dabei aber gespalten: Während sich Firmen auftragsbe­dingt von Leiharbeit­ern trennen, bleibt zugleich der Fachkräfte­mangel ein Thema. Spezialist­en, Facharbeit­er und Azubis seien weiterhin heiß begehrt.

Was ist zu tun? Das größte Problem für die Unternehme­n seien nicht die internatio­nalen Konflikte, sondern die Planungsun­sicherheit, die sie mit sich bringen, sagt Commerzban­k-Experte Humbach. „Unternehme­r müssen wissen, auf was sie ihr Geschäft aufbauen.“Er sieht deshalb die Politik in der Verantwort­ung, endlich klare Vorgaben zu machen. „Das Schlimmste, was den Unternehme­n passieren könnte, wäre ein weiterer Stillstand in der Großen Koalition.“Es müsse BeweWaren gung ins Land kommen, sowohl bei wichtigen Infrastruk­turfragen wie auch bei einer klaren Positionie­rung bei industriep­olitischen Interessen Deutschlan­ds. Denn: „Wenn die weltweiten Konflikte nicht gelöst werden, sind wir deutlich durch die exportgetr­iebene Wirtschaft angreifbar“, warnt Humbach.

Die Frage ist: Ist die momentan eingetrübt­e Stimmung in der Wirtschaft nur eine kleine Delle, oder steuern wir auf eine Rezession zu? Humbach hat darauf eine klare Antwort – und auch die liegt nicht in bayerische­r Hand. „Das Rennen wird in China entschiede­n“, sagt er. Geht es in China bergauf, profitiere­n Unternehme­n auf der ganzen Welt – auch in der Region. Verstricke­n sich die Wirtschaft­smächte China und USA aber immer tiefer in ihren Konflikt, wird es schwierig.

Die Metall- und Elektroarb­eitgeber haben bereits klare Vorstellun­gen, an welchen Stellschra­uben die deutsche Regierung und die Tarifpartn­er drehen müssten, damit das Land wettbewerb­sfähig bleibt: Die Verbände Bayme und Vbm pochen unter anderem auf weniger komplizier­te Tarifvertr­äge, den Ausbau digitaler Netze und die Absenkung der Unternehme­nsteuern auf internatio­nal wettbewerb­sfähige 25 Prozent. Sie erhoffen sich auch mehr Flexibilit­ät bei den Arbeitszei­ten. Gut wäre zudem ein niedrigere­r Strompreis, der von Steuern und Abgaben entlastet wird, sagt Partik.

Für ihn ist die Zeit gekommen, in der das Land über Reformen nachdenken müsse. „Der Standortwe­ttbewerb nimmt wieder Fahrt auf“, sagt Partik. „Wir aber haben in den vergangene­n Jahren an Wettbewerb­sfähigkeit verloren.“

„In unseren Geschäftss­tellen häufen sich die Anfragen zur Kurzarbeit.“

Markus Partik, Metallarbe­itgeber

 ?? Foto: 2JD, stock.adobe.com ?? In der Industrie läuft es nach vielen glänzenden Jahren nicht mehr so gut. Die Metall- und Elektrobra­nche in Schwaben ist besorgt.
Foto: 2JD, stock.adobe.com In der Industrie läuft es nach vielen glänzenden Jahren nicht mehr so gut. Die Metall- und Elektrobra­nche in Schwaben ist besorgt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany