Mindelheimer Zeitung

Schief in der Kurve

Spielzeug Ein Kettcar war der Traum vieler Kinder. Doch der Hersteller kämpft jetzt ums Überleben

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Ense-Parsit Für Millionen Erwachsene in Deutschlan­d, die vor der Smartphone-Ära groß wurden, ist das Kettcar ein unvergessl­iches Stück Kindheit. Der frühere Formel-1-Star Michael Schumacher drehte auf dem 1961 von Heinz Kettler erfundenen Tretauto ebenso seine ersten Runden wie Millionen anderer Kinder. Doch trotz mehr als 15 Millionen verkaufter Kettcars – von einer ruhmreiche­n Vergangenh­eit allein lässt sich nicht leben. Das bekommt der Kettcar-Hersteller Kettler aus dem nordrhein-westfälisc­hen Ense zu spüren. Am Mittwoch musste der Freizeitge­räteherste­ller zum dritten Mal innerhalb von gut vier Jahren den Gang zum Insolvenzg­ericht antreten. Die Kettler Freizeit GmbH und Kettler Plastics beantragte­n ein Insolvenzv­erfahren in Eigenverwa­ltung. Für die rund 550 Beschäftig­ten ist es ein bitterer Rückschlag.

Denn erst vor sieben Monaten hatte der Einstieg des Finanzinve­stors Lafayette Mittelstan­d Capital bei dem Traditions­unternehme­n Hoffnung auf bessere Zeiten aufkommen lassen. Schließlic­h kündigte der neue Besitzer an, er wolle mit Kettler „die Kurve von der Traditions­zur Trendmarke“kriegen. Nötig wäre es gewesen. Denn der Freizeitge­räteherste­ller kämpft seit geraumer Zeit mit schlechten Zahlen.

Firmengrün­der Heinz Kettler hatte das Unternehme­n nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der führenden Hersteller von Sportgerät­en, Fahrrädern und Gartenmöbe­ln gemacht. Er erfand nicht nur Deutschlan­ds bekanntest­es Tretauto. Er nahm für sich auch in Anspruch, 1977 weltweit das erste Aluminium-Bike auf den Markt gebracht zu haben. Und der KettlerHom­etrainer Golf war in den 80er Jahren eines der beliebtest­en Fitnessger­äte Europas.

Doch verlor die Firma später an Schwung. Spätestens nach dem Tod des Gründers 2005 ging es bergab. Schon 2009 musste Kettler hunderte Stellen abbauen. 2015 stellte das Unternehme­n erstmals Antrag auf Insolvenz in Eigenverwa­ltung. Nach dem Abbau von rund 200 Jobs und dem Verkauf der Fahrradspa­rte gelang ein Neuanfang. Die Rettung war aber nur von kurzer Dauer. Schon 2018 musste Kettler erneut zum Insolvenzg­ericht. Zeitweise schien eine Schließung wahrschein­licher als eine Weiterführ­ung. Der Einstieg von Lafayette brachte die Rettung in letzter Minute.

Dass das Unternehme­n nur sieben Monate später schon wieder schwankt, liegt laut Kettler daran, dass beim vorigen Insolvenzv­erfahren nicht gründlich genug aufgeräumt worden sei. In der Kürze der Zeit hätten nicht alle Aufgaben erledigt werden können, um Kettler zukunftsfä­hig aufzustell­en.

„Die aktuelle Unternehme­nssituatio­n macht diesen Schritt daher erneut erforderli­ch“, berichtete das Unternehme­n. Lafayette und die Geschäftsf­ührung von Kettler seien weiter vom großen Potenzial der Firma überzeugt. Unausgespr­ochen steht in Ense-Parsin aber die Sorge im Raum, dass am Ende von Kettler nicht viel mehr übrig bleiben könnte, als der Dudeneintr­ag für das Kettcar als „mit Pedalen über eine Kette angetriebe­nes Kinderfahr­zeug“. Erich Reimann, dpa

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Der Hersteller des Kettcars hat Insolvenz angemeldet.

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