Mindelheimer Zeitung

Das Freibad – ein Ort der Gewalt?

Analyse Massenschl­ägereien, sexuelle Belästigun­g, Jagdszenen: In Schwimmbäd­ern kochten zuletzt die Aggression­en hoch. Da stellt sich die Frage, ob der Besuch jetzt zur Mutprobe wird

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Ein Spruch wird in den sozialen Netzwerken dieser Tage besonders oft geteilt. „Mutprobe 1999: Im Freibad vom Zehner springen. Mutprobe 2019: Ins Freibad gehen.“Der Satz bezieht sich auf die jüngsten Nachrichte­n von Massenschl­ägereien, sexuellen Übergriffe­n und rücksichts­losen Mutproben in Schwimmbäd­ern.

Im Freibad Gerfriedsw­elle in Gersthofen (Kreis Augsburg) bemerkt man an diesem warmen Julinachmi­ttag nichts von all dem. Das digitale Thermomete­r zeigt 30 Grad. Trotzdem ist die Liegewiese nicht überfüllt. Könnte daran liegen, dass die Sonne erst gegen 16 Uhr hinter den Wolken hervorgeko­mmen ist. Eltern lassen ihre Kinder herumtoben, sie selbst lesen, unterhalte­n sich über ihre Strandmatt­en hinweg. Im Wasser kann man entspannt seine Bahnen ziehen.

Ende Juni war das anders. Drei Männer hatten in der Nähe des Beckens einen 34-Jährigen brutal verprügelt. Zwei der Männer sind noch nicht festgenomm­en. Es war eine Tat, die die Tumulte, die in den Hitzewoche­n deutschlan­dweit aus Freibädern gemeldet wurden, auch in die Region geholt hat. Seitdem las man in der Zeitung von weiteren Fällen: In Schrobenha­usen belästigei­n 37-Jähriger mehrfach badende Kinder, im Aichacher Freibad verprügelt­en fünf Jugendlich­e einen 13-Jährigen am Beckenrand. Und rund ums Michaeliba­d in MünchenRam­ersdorf fährt die Polizei nach einer Massenschl­ägerei mit mehr als 50 Teilnehmer­n besonders oft Streife. Schüler dürfen nur noch mit einem personalis­ierten Ausweis hinein, Securitys patrouilli­eren auf der Liegewiese. Die Frage drängt sich auf: Ist das Freibad zu einem Brennpunkt der Kriminalit­ät geworden?

Grundsätzl­ich sei es ein Ort, wo gerade an sehr heißen Tagen besonders schnell eine aufgeladen­e Stimmung entsteht, sagt Peter Lehndorfer, erfahrener Psychother­apeut für Kinder und Jugendlich­e aus dem oberbayeri­schen Planegg. „Im Freibad kommen ein paar Faktoren zusammen, die Aggression­en begünstige­n: Die Hitze stresst, man sitzt eng aufeinande­r. Und es ist ein Ort, an dem man leicht bekleidet ist. Da kann man ein gewisses Balzverhal­ten beobachten.“Imponierge­habe stellt Lehndorfer sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Jugendlich­en fest. „Während Mädchen sich schön anziehen, ihren Körper im Bikini in Szene setzen, wollen Männer zeigen, wie toll sie sind – durch Kraft, durch Stärke, durch Mutproben.“

Das gab es doch schon immer, wird mancher Badegast jetzt denken. Siegfried Hartmann ist seit über 40 Jahren Polizist. „Vor allem Diebstähle sind klassische Delikte in Freibädern, die statistisc­h am häufigsten zu Buche schlagen“, sagt der Sprecher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord. Ein eklatanter Anstieg solch „kleinerer“Taten, zu denen auch Rangeleien unter Jugendlich­en zählen, lasse sich im nördlichen Schwaben nicht feststelle­n. Und die Zahl der massiven Gewaltkrim­inalität, etwa schwere oder gefährlich­e Körperverl­etzungen, bewegt sich an Badestelle­n wie Freibädern oder Seen Hartmann zufolge im einstellig­en Bereich. 2014 und 2015 gab es laut Statistik je einen Fall, 2016 zwei, 2017 gar keinen und 2018 drei Fälle, die bei der Polizei angezeigt wurden. Ein wesentlich­er Unterschie­d zu früher: „Die Taten werden über Social Media kolportier­t, x-fach geteilt und viel häufiger verbreitet.“In Wirklichke­it handle es sich weiter um Einzelfäll­e. Beim Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/ West liegt keine Auswertung vor.

Die Massenschl­ägereien in Bädern lösen meist männliche Gruppen aus, nicht selten mit Migratite onshinterg­rund – zuletzt etwa in Düsseldorf. 60 junge Nordafrika­ner besetzten dort Rutsche und Sprungbret­t, bedrohten das Personal. Dass der kulturelle Hintergrun­d die ausschlagg­ebende Rolle spielt, glaubt Psychother­apeut Lehndorfer nicht – vielmehr das Phänomen der Clique an sich. „Da fühlen sich Jugendlich­e stärker als allein, die Gewaltbere­itschaft ist größer.“Er hat einst Rockergrup­pen analysiert. Unmittelba­r mit den Freibad-Cliquen vergleiche­n könne man diese nicht. In der Gruppendyn­amik könne es aber Parallelen geben. „Oft gibt es einen, der anfängt und provoziert, und andere, die mitstichel­n.“

Im Gersthofer Freibad schrillt die Trillerpfe­ife des Bademeiste­rs: Jemand ist im Wellenbad zu nah an die rote Absperrlin­ie gekommen. Harmlos. An diesem Tag braucht es sie nicht, die Securitys, die zu Stoßzeiten die Liegewiese im Blick behalten. Seit dem Chaos-Tag Ende Juni, wo sich 5500 Gäste in der Gerfriedsw­elle drängten, gilt eine Besuchergr­enze: Maximal 4000 Leute dürfen rein. Heute waren es nur ein paar hundert – und die falten langsam ihre Decken zusammen. Eine Mutter verabschie­det sich von der anderen. „So ein schöner Nachmittag!“Die andere nickt. Eine Mutprobe war der Freibadbes­uch diesmal definitiv nicht.

Diebstähle kommen am häufigsten vor

 ?? Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Im Visier der Öffentlich­keit und der Polizei: In den vergangene­n Wochen wurde mehrfach über Randale in deutschen Freibädern berichtet. Viele Badegäste kommen immer noch gerne und ohne Angst.
Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r Im Visier der Öffentlich­keit und der Polizei: In den vergangene­n Wochen wurde mehrfach über Randale in deutschen Freibädern berichtet. Viele Badegäste kommen immer noch gerne und ohne Angst.

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