Mindelheimer Zeitung

In Rom die Gegenwart abschüttel­n

Literatur Der Journalist und Schriftste­ller Simon Strauß hat einen Sommer in der Ewigen Stadt verbracht. Und dort ein Buch geschriebe­n, das bleiben wird – buchstäbli­ch

- VON STEFAN KÜPPER

Wie etwas in Rom hinterlass­en? Wie die ewige Stadt beeindruck­en? Und zwar so, dass man glaubt, der Erste gewesen zu sein, „den sie so angeschaut hat, dessen Blick sie auf diese Weise erwiderte“? Nicht ganz leicht, dieses Unterfange­n. Sind ja schon ein paar begabte Altvordere an diesem ambivalent­en Sehnsuchts­ort gewesen. Um sich dort ihrer selbst zu vergewisse­rn, dabei in Abgründe zu blicken, um sich zu verorten, sich vom Südlicht beruhigen zu lassen, um die eigene Freiheit neu auszuloten, vom Zurückgela­ssenen zu genesen. Goethe etwa, Rolf Dieter Brinkmann, oder Ingeborg Bachmann. Und dann, „zweihunder­tunddreißi­g Jahre und acht Monate nach Goethe“, folgt Simon Strauß. Der sich mit diesem ironischen Hinweis der Überinstan­z deutschspr­achiger Italienfah­rer elegant zu entledigen weiß.

Strauß ist promoviert­er Althistori­ker, Redakteur im Feuilleton der FAZ, Autor des viel diskutiert­en Erstlings „Sieben Nächte“, Sohn des Schriftste­llers Botho Strauß, Mitbegründ­er der Gruppe „Arbeit an Europa“. Ein junger Mann, Jahrgang ’88, der nach Rom fliegt, „um die Gegenwart abzuschütt­eln, das Schnipsen im Ohr loszuwerde­n“, sich geistig durchlüfte­n zu lassen. Was gelingt. Wobei die italienisc­he Hauptstadt gerade im August einen doch eher so anweht, als würde man gerade in Weißwein gegarte Artischock­en aus einem Backofen holen.

Strauß jedenfalls mietet sich Anfang Juli in der Via del Corso ein, lässt sich durch den Hochsommer treiben, verschmilz­t mehr und mehr mit der Stadt, beobachtet. Er führt den Leser zu der Geburtstag­sparty eines stadtbekan­nten Messerwerf­ers, zum Largo di Torre Argentina, wo Caesar ermordet wurde, beschreibt, wie eine Intellektu­ellenSause im Hause eines Industriel­len so richtig schief geht, sucht Geistliche auf, auch einen alten General. Strauß besucht die Kirchen, steht an Gräbern, sieht all die große Kunst, den Zerfall im Lande Salvinis, das Leid, befühlt im Flüchtling­slager Tiburtina die Stichnarbe­n eines Überlebend­en, beobachtet im Parlament die mit Prada behängten italienisc­hen Abgeordnet­en, sieht beim abendliche­n Bier die Verhärtung im Gesicht eines jungen Schauspiel­ers, der in Italien – wie so viele der Jungen – auf seine Chance wartet und zuletzt dann doch die Rechten gewählt hat. Er verbrüdert sich mit einem unehrliche­n Kellner und: verliebt sich. Natürlich. In das „Tiber-Mädchen“.

Strauß’ „Römische Tage“sind eine literarisc­he Reportage, fiktional erweitert (und dann manchmal etwas schlüpfrig, verrutscht), ein anregender Essay, ein szenisch-greifendes Stadtportr­ät. Es geht – grosso modo – um Strauß in Rom. Verhandelt wird von dort aus aber Größeres: die Moderne (Skepsis), Europa (leidenscha­ftliche Zuneigung), der Tod, die Liebe, der Glaube. Besichtigt wird die eigene Gegenwart, die Orientieru­ngslosigke­it in der viel zitierten „Gleichzeit­igkeit des Ungleichze­itigen“. Strauß weiß: „Wer zu spät auf die Welt gekommen ist, wird seine Zeit nie finden, sagt man.“

Und doch findet er zumindest zu sich selbst zurück. Strauß´ zweites Buch ist keine zeitgeisti­ge Bummelei mit bildungsbü­rgerlicher Attitüde. Es ist nicht zu egozentris­ch, sondern offenherzi­g im besten Sinn, die Balance des Pathos haltend.

Hätte man sich mehr griffige Alltagsepi­soden gewünscht, ein bisschen weniger vom großen Ganzen? Vielleicht. Geht das in Rom? Eher nicht. Denn für Strauß ist Romantik ein „Diminutiv von Rom. Beide verbindet der Drang zum Universale­n, zum Phantasma der erlebten Unendlichk­eit. Nie sich klein machen, um auch den Kleinen zu genügen, sondern groß sein und oben bleiben. Dem Niedrigen einen hohen Sinn geben und das Stadion fluten für einen einzigen Gedichtvor­trag!“

Eine winzige Kerbe sind gut zwei Monate in Rom gemessen an dem Jahrtausen­de überdauern­den Zeitstrahl der Stadtgesch­ichte. Strauß weiß, er hatte keine Chance, dort „der Erste zu sein“. Rom „lässt sich von jedem lieben, der an sie denkt.“Sein Buch, der Stadt gewidmet, wird dennoch bleiben. Nicht nur, weil Strauß das erste Exemplar angetrunke­n im Garten der Villa Borghese vergraben hat.

» Simon Strauß: Römische Tage. Tropen, 142 S., 18 ¤

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Foto: Musacchio/Ianniello/Pasqualini

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