Mindelheimer Zeitung

Ein Helfer in der Not

Tennis Er hat als Junior drei Grand-Slam-Turniere gewonnen. In einem vierten verlor er erst im Finale. Jetzt hat der Ausnahmesp­ortler Daniel Elsner seine Karriere beendet. Im Interview zieht der 40-Jährige eine selbstkrit­ische Bilanz

- VON MANFRED JÖRG

Nach dem plötzliche­n Tod ihres Mannes übernimmt die Ehefrau – eigentlich Zahnarzthe­lferin – den Milchviehb­etrieb. Doch es gab einen Helfer in der Not.

Memmingen Er hat bei den TennisJuni­oren nicht nur 1996 die US Open gewonnen, sondern auch 1997 bei den Australian Open und French Open den Titel geholt und nur in Wimbledon im Finale verloren: Daniel Elsner aus Memmingerb­erg. Vor Kurzem hat der mittlerwei­le 40-Jährige beschlosse­n, sich vom aktiven Tennisspor­t zurückzuzi­ehen.

Herr Elsner, im Alter von 40 Jahren darf man eine lange Karriere auch mal beenden. Dennoch kam Ihr Entschluss für Außenstehe­nde überrasche­nd. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen? Der Verlauf dieser Saison kann’s ja nicht gewesen sein …

Daniel Elsner: Ich fühle mich geschmeich­elt, dass noch von einer Karriere gesprochen wird. Aber um ehrlich zu sein, habe ich meine aktive Karriere ja bereits vor über zehn Jahren beendet. Seitdem spiele ich – bis auf wenige Ausnahmen – keine Turniere mehr und trainiere kaum noch. Die Mannschaft­sspiele für den TC Memmingen in der Landesliga haben Spaß gemacht. Und es tut natürlich auch gut zu sehen, dass man noch einigermaß­en mithalten kann. Allerdings macht der Körper nicht mehr so mit, wie er sollte und die Tage nach den Spielen waren teilweise nur mit Schmerztab­letten zu bewältigen. Da ich als Tennistrai­ner meinen Körper noch einige Jahre brauche, habe ich mich entschiede­n, aus gesundheit­lichen Gründen in Zukunft kürzerzutr­eten.

Sie haben im Tennis bei Grand-SlamTurnie­ren im Nachwuchs wahrhaft Großes erreicht. Was bedeutet Ihnen das heute?

Elsner: Ich werde natürlich oft mit meinen drei Grand-Slam-Siegen und dem Finaleinzu­g in Wimbledon der Junioren in Verbindung gebracht – und ich bin auch stolz darauf. Die Jugendzeit war enorm erfolgreic­h. Schon in jungen Jahren bin ich um die Welt gereist und habe wahnsinnig viel gelernt und schöne Erinnerung­en daran. Ich denke, dass ich mich dadurch auch sehr gut in talentiert­e und ehrgeizige Nachwuchss­pieler hineinvers­etzen kann. Und es macht mir Freude, meine Erfahrunge­n weiterzuge­ben und die Talente auf ihrem Weg zu begleiten.

Wenn Sie zurückblic­ken, was waren die absoluten persönlich­en KarriereHi­ghlights für Sie – jenseits der reinen Titelgewin­ne?

Elsner: Die schönsten Erinnerung­en an die Profizeit waren zum Beispiel der Sieg gegen die damalige Nummer eins der ATP-Rangliste, Magnus Norman, im Stuttgarte­r Weißenhof im Jahr 2000. Die Stimmung war gigantisch. Ich ging als totaler Außenseite­r ins Match, und keiner hätte damit gerechnet. Ein Gänsehautm­oment. Was mir enorm viel Spaß gemacht hat, war die Zeit bei Grün-Weiß Mannheim in der Bundesliga­mannschaft, in der ich elf Jahre gespielt habe.

Eine schöne Abwechslun­g, fünf Wochen im Jahr mit der Mannschaft zu spielen und als Team aufzutrete­n. Den Rest des Jahres ist man meistens als Einzelkämp­fer unterwegs und spielt für sich alleine. Dazu kam, dass wir mit Mannheim auch einige deutsche Meistertit­el holen konnten.

In Ihrer 1997 beginnende­n Profikarri­ere konnten Sie an die Erfolge bei den Junioren nicht mehr anknüpfen. Ihre beste Platzierun­g in der Weltrangli­ste erreichten Sie im Oktober 2000. Damals wurden sie auf Rang 92 geführt. Manch einer würde viel dafür geben, diese Position zu erreichen. Von Ihnen würde ich jedoch gerne wissen: Aus heutiger Sicht, aus dem Blickwinke­l eines erfahrenen Mannes: Woran lag es, dass Ihnen der ganz große Durchbruch als „zweiter Boris Becker“nicht gelang?

Elsner: Im Nachhinein bin ich sogar froh, dass ich es zumindest unter die Top 100 bei den Herren geschafft habe, es sah die ersten Jahre nicht aus. Ein großes Problem war der hohe Erwartungs­druck von außen. Öffentlich als Nachfolger von Boris Becker gehandelt zu werden, war in meinem jungen Alter etwas zu viel, zudem ich mich selbst schon genug unter Druck setzte und überehrgei­zig und selbstkrit­isch war.

Die Zeit in Hannover im DTBInterna­t ist die schönste Erinnerung, allerdings waren diese zwei Jahre für meine Weiterentw­icklung im Tennis nicht förderlich. Wir waren vier 18-jährige Freunde, die das gleiche Ziel hatten. Nur war ich damals mit Abstand der Beste und im Trainingsa­lltag oft unterforde­rt. Mir haben ganz einfach bessere Spielpartn­er in dieser Zeit gefehlt.

Heute weiß ich, wie wichtig es für junge Talente ist, mit erfahrenen und auch besseren Partnern spielen zu können, um sich kontinuier­lich zu steigern und natürlich auch regelmäßig zu merken, dass noch Luft nach oben ist und man noch viel zu lernen und zu verbessern hat. Ich war schlichtwe­g zu erfolgsver­wöhnt und musste zu wenige harte Niederlage­n einstecken.

Der Weg nach Wien zu Günter Bresnik und raus aus Deutschlan­d hat mich letztendli­ch ein wenig gerettet. Hier fühlte ich mich geborgen, war einer von vielen, nichts Besonderes und wurde zum Glück auch nicht so behandelt. Es wurde hart gearbeitet, ich lernte technische und taktische Methoden, von denen ich zuvor nie gehört hatte. Mein Spiel verbessert­e sich enorm und das Selbstvert­rauen kam zurück, ich wurde langsam erwachsen und bescheiden­er – und die Freude am Tennis war wieder da. Was denken Sie, wenn Sie sehen, wie es „dem Leimener“heute ergeht, wie schlecht er physisch drauf ist, wie er öffentlich bei Versteiger­ungen seiner Pokale gedemütigt wird?

Elsner: Dieser Mann war verantwort­lich für einen regelrecht­en Tennisboom in den Achtzigerj­ahren. Jeder wollte Tennis spielen, und die Tennisvere­ine platzten aus allen Nähten. Ohne Boris Becker wäre wahrschein­lich auch ich nie zum Tennis gekommen. Ich hatte das große Glück, ihn persönlich kennenzule­rnen, wir haben einige Male zusammen trainiert und die Trainingsw­oche mit Boris auf Fisher Island war ein absolutes Highlight und bleibt bis heute unvergessl­ich. Ich war 18 Jahre alt und er natürlich mein großes Idol.

Die körperlich­en Beschwerde­n sind bei Ex-Profis keine Seltenheit. Auch ich habe mit Rücken- und Hüftproble­men zu kämpfen. Ob ihn die Versteiger­ung seiner Pokale wirklich demütigt, kann ich nicht beurteilen. Für mich persönlich hatte ein Pokal nicht viel Wert. Die Erinnerung an den Matchball, der Nervenkitz­el und die Aufregung vor einem Finale, das Gefühl unmittelba­r nach einem Turniersie­g waren für mich die Momente, die mich antrieben und süchtig nach Erfolg machten.

Wenn Sie die Möglichkei­t hätten, rückwirken­d etwas zu ändern: Würden Sie es tun? Oder sagen Sie: Es ist alles in Ordnung, wie es gekommen ist? Elsner: Ich bin jemand, der in der Gegenwart lebt und sich nicht viel über Vergangene­s den Kopf zerbricht. Es ist wichtig, Ziele zu hadanach ben, die einem den nötigen Antrieb mit auf den Weg geben. Ich kann morgens mit einem guten Gefühl in den Spiegel schauen und bin sehr zufrieden mit dem Leben, wie es jetzt ist. Zu bereuen gibt es nichts, anders machen würde ich auch nichts, ich weiß ja nicht, wie es anders ausgegange­n wäre. Alles nur unnötige Spekulatio­nen. Natürlich gab es Entscheidu­ngen, die damals nicht zielführen­d waren, dadurch blieb die große Karriere aus. Genauso sammelte ich aber viele wertvolle Erfahrunge­n und hatte trotzdem eine super Zeit. Als Fazit würde ich sagen, dass es in der Übergangsz­eit vom Jugend- zum Herrentenn­is schwer ist, sich durchzukäm­pfen und eine starke Persönlich­keit zu entwickeln, wenn man zu viel verwöhnt wird. Wenn Dir die Leute ständig erzählen, wie toll Du bist, dann ist die Gefahr groß, schon zu früh zufrieden zu sein und nicht die nötige Arbeitsmor­al an den Tag zu legen. Das ist generell bei unseren Jugendlich­en ein verbreitet­es Problem.

Haben Sie noch Kontakt zu Spitzenspi­elern aus Ihrer erfolgreic­hsten Zeit? Elsner: Der Kontakt hält sich in Grenzen, es gibt viele FacebookFr­eunde von damals. Man schreibt sich hin und wieder.

Ein Wort zum aktuellen Tennis: Das Wimbledon-Finale der Herren war der absolute Wahnsinn, oder? Was braucht man, um heute an die Weltspitze zu kommen: Stichwort: Ernährung ohne Fleisch wie Djokovic?

Elsner: Federer, Djokovic und Nadal sind absolute Ausnahmesp­ortler. Und das Finale von Wimbledon war das Beste, was es seit Langem zu sehen gab. Das Thema Ernährung hat heutzutage einen viel höheren Stellenwer­t als in meiner Zeit. Allerdings ist es in diesem individuel­len Sport nie zu verallgeme­inern. Was für einen Djokovic der richtige Weg ist, muss für einen Federer nicht unbedingt sinnvoll sein. Tennis ist ein individuel­ler Sport. Wichtig ist, dass jeder Spieler für sich seinen idealen Weg findet und selbst spürt, was ihm guttut. Da gibt es meiner Meinung nach kein Patentreze­pt. Was man braucht, um an die Weltspitze zu kommen, ist definitiv ein gut aufgebaute­s Team, zu dem man Vertrauen hat. Wichtig ist es, sein Ziel nie aus den Augen zu verlieren, Rückschläg­e in Kauf zu nehmen und als Lektion auf dem Weg zu sehen. Für Pessimiste­n wird es schwer, an die Spitze zu kommen. Der Glaube an sich selbst, ausdauernd­er Ehrgeiz und unbedingte­r Wille sind maßgebend für den späteren Erfolg.

Wie ist es Ihnen in den Neunzigern gelungen, so weit nach oben vorzustoße­n? Wem haben Sie am meisten zu verdanken?

Elsner: Der Antrieb kam von mir selbst. Man musste mich zu keiner Zeit zum Tennisspie­len überreden, ich war schlichtwe­g davon besessen. Völlige Hingabe und Leidenscha­ft haben es möglich gemacht, Berge zu versetzen. Dazu kam natürlich das nötige Talent. Ein überdurchs­chnittlich­es Ballgefühl sowie koordinati­ve Qualitäten, die den Weg nach oben beschleuni­gten.

Man glaubt es kaum, aber Sie wollen sich jetzt vom aktiven Tennis zurückzieh­en. Haben Sie schon einen Plan, wie es für Sie weitergeht? Werden Sie weiterhin die Tennisbase in Memmingen betreiben?

Elsner: Wie schon eingangs erwähnt, habe ich mich im Endeffekt schon vor etlichen Jahren vom aktiven Tennis zurückgezo­gen. Die Saison von Mai bis Juli war die letzten vier, fünf Jahre eine nette Abwechslun­g vom Trainerall­tag. Ich konnte auch ohne regelmäßig­es Training mein Können unter Beweis stellen, und es war eine schöne Zeit. Die körperlich­en Beschwerde­n, die regelmäßig während oder nach den Matches auftraten, waren beziehungs­weise sind das Hauptprobl­em, weshalb ich die Handbremse ziehe. Mein Körper ist als hauptberuf­licher Tennistrai­ner mein Kapital, und ich sollte vernünftig und sorgsam mit ihm umgehen.

Gibt es weitere Pläne?

Elsner: Die Tennis-Base Memmingen ist erfolgreic­h, und wir haben uns durch zielstrebi­ge und zuverlässi­ge Arbeit ein Fundament aufgebaut. Unser Team besteht aus mir, Stefan Raschke und Oliver Stenger. Wir sind leidenscha­ftliche Trainer und verstehen uns blendend, sind also ein absolutes Dream-Team. Kinder, Senioren und natürlich auch zahlreiche Nachwuchst­alente kommen zu uns, weil sie sich wohlfühlen und merken, dass wir ehrliche und kompetente Arbeit leisten und einen guten Draht zu ihnen haben. Das Vertrauen zu den Trainern ist für die Spieler das A und O und maßgeblich für eine positive Entwicklun­g. Der Plan für die Zukunft ist, noch viele Jahre in diesem harmonisch­en Umfeld zu arbeiten.

Zum Abschluss ein paar private Fragen: Wo leben Sie? Haben Sie Familie? Und was machen Sie, wenn Sie nicht auf dem Tennisplat­z stehen? Elsner: Ich lebe mit meiner Frau Serena, meiner zweijährig­en Tochter Rosalie und unserem Hund Maja in Ungerhause­n in einem alleinsteh­enden Haus abseits des Alltaglärm­s. Der perfekte Ort, um abzuschalt­en und Kraft zu tanken. Wenn ich nicht auf dem Tennisplat­z stehe, stehe ich vielleicht am Grill, an der Gitarre, sitze am Lagerfeuer oder entspanne im Whirlpool, um Kraft zu tanken. Meine Familie ist das Allerwicht­igste.

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Fotos: Ingo Jensen, Olaf Schulze Zwischen den beiden Bildern liegen mehr als 20 Jahre und eine Karriere, die ihn in extreme Höhen, aber auch in gefährlich­e Abgründe führte. Heute ist der 40-jährige Daniel Elsner ein ausgeglich­ener Mann. Er sagt: „Ich kann morgens mit einem guten Gefühl in den Spiegel schauen und bin sehr zufrieden mit dem Leben, wie es jetzt ist.“

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